Etwas Besseres als Protest

Warum die Proteste gegen den G 8-Gipfel keine soziale Bewegung ersetzen und dieser auch nicht nutzen. von holger marcks

Wie auch immer es um die Kapitalismuskritik der No Globals genau bestellt sein mag, man trifft erfreulicherweise nur noch selten Leute, die die G 8 oder ähnliche Institutionen für das Grund­übel schlechthin halten. Immerhin scheint die Annahme verflogen, dass man sich mit dem Protest an die »Verantwortlichen« richte. Doch auch wer die Proteste in Heiligendamm nur als strategische Etappe eines größeren Plans begreift, hat damit den Sinn des Unterfangens noch nicht bewiesen. Dabei ist eine solche Strategie, die einiges über den Zustand der (radikalen) Linken offenbart, ebenfalls höchst diskussionswürdig.

Oft scheint es gar nicht reflektiert zu werden, weshalb man protestiert. So erläutern Petra Fischer (Jungle World, 4/07), Werner Rätz (6/07) oder Jessica Heyser (10/07) zwar ausführlich, wogegen und wofür es zu demonstrieren gelte, über ihre Gründe, warum sie sich der Form des Protests bedienen, aber legen sie kein Zeugnis ab.

In der Tat sind Proteste eine normative Angelegenheit. Neben Wahlen gelten sie als einzige legitime Ausdrucksform, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Man versucht, als außerparlamen­tarische Lobby Einfluss zu nehmen, und hofft, dass die Politiker irgendwann einlenken, sei es, weil sie Rücksicht auf ihre potenziellen Wähler nehmen müssen oder weil sie befürchten müssen, der Unmut könne andernfalls weiter wachsen. Dennoch bleiben derartige Meinungsäußerungen recht wir­kungs­los. Man kann lange protestieren, und dennoch verkünden Politiker, dass man sich irgend­welchen »Sachzwängen« zu beugen habe. Andere Einflüsse sind gewichtiger, und die sind in der Regel ökonomischer Natur, wirken also aus eben jenem Bereich, in dem die zu bekämpfenden Verhältnisse zu suchen sind. Proteste allein sind somit immer indirekt; sie sind nichts als Appelle an eine politische Bürokratie, deren Entscheidungen von ökonomischen Faktoren bestimmt werden.

Im Gegensatz zur gemäßigten Linken weiß ein großer Teil des radikalen Spektrums um die Sinnlosigkeit der appellativen Einflussnahme. Proteste gelten ihm als Teil einer übergeordne­ten Strategie. In der Tat lassen sie sich ebenso als diskursives Ereignis fassen, das bestimmte Prozesse auslöst, als Kommunikations­mittel. In diesem Sinne geht es bei der Zurschaustellung von Kritik nicht darum, Appelle zu formulieren, sondern eine Gegenmeinung zu etablieren, ohne die keine soziale Bewegung zustande kommt. Diese Überlegungen sind nach­vollzieh­bar. Aber auch sie sind nicht frei von Mängeln.

So lautet eine häufige genannte Absicht, dass man die G 8 durch das entschlossene Auftreten einer starken Bewegung delegitimieren wolle. Das Problem besteht darin, dass man sich dabei in erheblichem Maße von den Medien abhängig macht. Sicherlich kann es passieren, dass die Öffentlichkeit nicht nur die Verlautbarungen der Mächtigen zur Kenntnis nimmt, sondern auch über den Widerstand berichtet. Doch die Medien für die eigenen Zwecke zu nutzen, wovon die Interventionis­tische Linke und andere träumen, ist unmöglich. Für sie sind zwar Massen, Aktionen und vor allem mögliche Ausschreitungen ein probates Fut­ter, dass sie aber die Inhalte der Proteste transportieren werden, ist, wie Stephan Weiland bereits ausgeführt hat (Jungle World, 3/07), illusorisch.

Letztlich liefert man sich sogar der Desinformation und der Diskreditierung aus, hat man doch keine Kontrolle mehr darüber, was die Medien aus dem Ganzen machen. Zwar gibt es die Idee, das Problem dadurch zu umgehen, dass man Parteien, Gewerkschaften und anerkannte NGO einbezieht, doch ist auf dieser Basis keine gemeinsame Botschaft möglich, die darüber hinausgeht, dass man »dagegen« ist. Zudem sind es gerade diese Gruppen, die sich von den Inhalten, die über die verfasste Ordnung hinausreichen, ausdrücklich distanzieren, so dass sie sich nicht als Instrument eines Radikalisierungsprozesses eignen.

Eine radikale Linke, die meint, das Ereignis Gipfelprotest nutzen zu können, um aus einem Zustand der Isolation in die gesellschaftlichen Verhältnisse intervenieren und Impulse für soziale Bewegungen zu geben (so etwa argumentiert Gerda Maler, Jungle World, 11/07), macht sich die Dinge zu einfach. Denn dieser Gedanke mag schön klingen, ist aber völlig abstrakt, voluntaristisch und zwanghaft.

Das Beispiel Italien, auf das in diesem Zusammenhang gerne verwiesen wird und wo auf die Proteste in Genua eine spürbare Revitalisierung der sozialen Bewegungen folgte, ist kaum auf die deutschen Verhältnisse übertragbar. Denn die dortige Linke ist tra­ditionell kämpferischer und basisorientierter, die Organisierung an der Basis ist ihr kein Gräuel, soziale Kämpfe stehen auf der Tagesordnung, Gewerkschafter leiden nicht wie hierzulande unter der verknöcherten Konzeption der Einheitsgewerkschaft, und revolutionäre Inhalte sind keine Selten­heit.

Das Phänomen einer radikalen Linken, die im Wesentlichen im studentischen Milieu zu finden ist und zwar gerne Teil der sozialen Kämpfe wäre, aber Theorie- und Aktionsgruppen der Basisorganisierung vorzieht, ist – jedenfalls, was das Ausmaß anbetrifft – diesem Land vorbehalten. Diese radikale Linke meint, sich ent­weder bei kämpfenden Lohnabhängigen anbiedern zu müssen, imaginiert sich zur Vorhut einer sozialen Bewegung oder versucht, die »Öffentlichkeit« zu politisieren. Dass man von manchen Problemen selbst unmittelbar betroffen ist, wird verdrängt, und eine Organisierung im Alltag wird nicht einmal in Erwägung ge­zogen. Und das, obwohl sogar der stu­den­tische Teil dies dringend nötig hätte.

Es ist banal, aber die Proteste als Plattform zu nutzen, ergibt nur Sinn, wenn es darum geht, die eigenen Erfahrungen auszutauschen, die dazu beitragen, sich von falschen Vorstellungen und Strategien zu verabschieden. Leider deutet alles darauf hin, dass dies nicht geschieht und der Protest einmal mehr zum Ringelpietz mit Anfassen verkommt. Es werden weiterhin neue Kampagnen und Bündnisse geplant, und es wird viel von »Vernetzung« geredet – die standardisierten Konzepte, die bis heute erfolglos geblieben sind. Für all das bedarf es jedenfalls keines Großereignisses, die gesamte linke Kultur dient fast nur diesem Zweck.

Manche reden davon, das G 8-Treffen in einem Fiasko enden zu lassen, wenn nicht sogar zu verhindern. Die eine begreift einen solchen vermeintlichen Erfolg als Teil der diskursiven Strategie, der andere glaubt tatsächlich, damit die hohen Damen und Herren von »bösen« Entscheidungen abzuhalten. Vor allem davon, dass der Preis so hoch wie möglich getrieben wird, damit derartige Treffen entweder unmöglich werden oder nur noch versteckt stattfinden können, erhofft man sich einen Imageschaden. Das wird auch als Strategie der Delegitimierung verstanden.

Abgesehen davon, dass die diskursiven Effekte eines etwaigen Erfolges fast völlig von der medialen Vermittlung abhängig bleiben, würde dies zwangsläufig verschärfte Reaktionen der Regierungen nach sich ziehen. Entweder wird die paramilitärische Sicherung der Gipfel noch weiter vorangetrieben oder sie werden, wie es sich manche in der Runde der G 8 wünschen, nur noch an Orten mit russischen Verhältnissen abgehalten. Beides wäre natürlich eine Delegitimierung, erreicht wäre damit aber noch lange nichts.

Ich halte diese Ambitionen für illusorisch, doch sie verdeutlichen einen wichtigen Punkt: Dass sich die Staatschefs für ihre Gipfel verstecken oder mit Gewalt absichern müssten, mag zwar aus­sagekräftig sein, aber würde dies nicht der »Bewegung der Bewegungen« das Genick brechen? Keine Gipfel zu stürmen, keine Großereignisse für Impulse, keine Plattform, keine Kommunikationsmittel … Wie noch die herrschenden Verhältnisse delegitimieren, ganz ohne Medien, wieder auf sich allein gestellt und angewiesen auf Flugblätter und Indymedia?

Das Problem einer antikapitalistischen Bewegung, die sich auf Gipfelproteste konzen­triert, besteht darin, dass sie auf diese Gipfel angewiesen ist. Zwei Jahre arbeitet sie an der Vorbereitung der Proteste, schmiedet in zähen Verhandlungen Bündnisse, organisiert Aktionen und Veranstaltungen, bewältigt die Logistik, verballert Unmengen an Propagandageld usw. Und so geht es endlos weiter, ein Gipfel nach dem anderen.

Dienen derartige Ereignisse bloß dazu, eine fehlende bodenständige Praxis zu kom­pensieren? Diese Vermutung legt jedenfalls Petra Fischers hilflose Frage nahe, wenn sie schreibt: »Wenn der G 8-Gipfel 2007 prinzipiell nicht der richtige Zeitpunkt für Kritik und Praxis ist, welchen Anlass gibt es dann überhaupt unter diesen Verhältnissen?« Das roblem wäre demnach nicht, die Gipfel als Möglichkeit zu einem Aufbruch nutzen zu wollen, sondern eine Linke, die so konstituiert ist, dass sie sich nicht anders zu helfen weiß.

Was würde die »Karawane der neuen Widerstandsbewegung« machen, wenn sie nicht mehr die Scharade von »Charaktermasken« besudeln kann? Vielleicht würde sie endlich ihre antikapitalistische Politik auf eine alltägliche Basis stellen, nämlich in allen Bereichen organisieren und kollektiv kämpfen, in denen sich der Kapitalismus materialisiert: in der tagtäglichen Ausbeutung und der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Das ist zwar keine Politik, die Spaß macht, bietet aber die wohl einzige Mög­lichkeit, das zu bekämpfen, wogegen sich der Protest doch richtet.

Jener Maskenball ist dafür unwesentlich, er ist nicht mehr oder weniger schlimm als die materielle Basis, auf der der Kapitalismus steht. Wenn wir glauben, dass es eine bestimmte Wirtschafts-, Handels- oder Finanzpolitik der G 8, WTO oder des IWF ist, die es zu ändern gilt, dann erliegen wir dem Trugschluss, dass sich mit der Verteilung von Geld etwas bekämpfen ließe, was in den Geldbeziehungen selbst seine Ursachen hat.

Selbst zum symbolischen Angriffsziel taugen die G 8 nicht, weil dies irrige Vorstellungen suggeriert. Keinesfalls fördern Proteste gegen den Gipfel die Erkenntnis, dass der Kapitalismus in seinen Grundfesten attackiert werden muss und hierfür direkte Aktionen notwendig sind. Eine soziale Bewegung wächst durch die Erfahrungen im alltäglichen Kampf, in dem Menschen durch kollektives Handeln selbstbewusst auftreten. Jede Widerständigkeit im Alltag ist subversiver als der diskursive Protest gegen Großereignisse.

Wäre dies die Konsequenz, dann würde ich sagen: Ja, stürmt die Gipfel, einen nach dem anderen, jagt sie davon in die tiefsten Höhlen … Damit es endlich etwas Besseres zu tun gibt.

Holger Marcks ist Mitglied des Bildungssyndikats der FAU Berlin. Eine erste Fassung dieses Beitrags erschien in der Zeitschrift Direkte Aktion.