Nörgeln in den Institutionen

»Die Linke« will ins Parlament. Ihre radikalsten Forderungen, etwa die nach politischen Streiks, sind so radikal nicht. Und von der radikalen Veränderung der Verhältnisse kann keine Rede sein. von felix klopotek

Wenn es in der allgemeinen Öffentlichkeit Politiker gibt, die hoffnungslos diskreditiert sein müssten, dann die Linken! Wo waren denn die Linken bei den Grünen und in der SPD, als es darum ging, gegen den Kosovo-Krieg, den Afghanistan-Einsatz, die »Agenda 2010« und die Hartz-Gesetze zu protestieren und die eine oder andere Entscheidung zu Fall zu bringen? Immer wieder ging in den Jahren von Rot-Grün die Rede, dass es in den Fraktionen Grüppchen von aufrechten Linken gebe, maximale Stärke: zwei Personen, die vielleicht und unter Umständen mit einem »Moment mal!« drohen könnten. Namen kursierten, zum Beispiel Ottmar Schreiner und noch mal Ottmar Schreiner. Durchsetzungswille? Politischer Mut? Gar Erfolg? Fehlanzeige.

Ähnliches in der PDS. Da regt sich keiner darüber auf, dass der Berliner Landesverband zum willfährigen Anhängsel der SPD wird, da fragt sich kein Absolvent der SED-Parteischule, womit Sahra Wagenknecht eigentlich die Auszeichnung »ultraorthodoxe Retrokommunistin« verdient hat. Ihre aktuellen politischen Statements lesen sich so, als hätte sie ein paar Papiere der DKP aus den achtziger Jahren entdeckt. Auf dem Vereinigungsparteitag der Linkspartei hat sie ihrem Berliner Senator Harald Wolf entgegengehalten, Regieren sei kein Selbstzweck. So geht also kommunistische Opposition im Jahr 2007.

Die Linken – Loser, Angsthasen, gebrochene Typen oder unseriös-windige Gestalten wie Andrea Nahles. Trotzdem heißt das Vereinigungsprodukt aus PDS und Wasg, der innenpolitische Hype der vergangenen Wochen, »Die Linke«. Man fasst sich an den Kopf: Welche Blumentöpfe wollen sie damit gewinnen? Sie hätten sich doch »Die Sozialisten« nennen können und damit im Parteinamen eine positive Setzung, einen irgendwie deutlicheren Begriff behaupten können. Links, das ist ja keine inhaltliche Aussage, sondern einfach eine Relation. Was heute links ist, war gestern noch der Albtraum der Linken.

Die schnelle Antwort lautet: Der Name ist egal, »Die Linke« ist jetzt am Drücker, weil sie Lafontaine hat und die SPD vor sich hertreibt.

Ganz so einfach ist es nicht. Vielleicht liegt der Reiz des Namens gerade darin, dass er so offensichtlich mit einer politischen Verlierergeneration assoziiert ist. Nicht nur suggeriert er, dass hier die neue Organisation all derer ist, die auf verlorenem Posten in der SPD und bei den Grünen kämpften, vor allem signalisiert er: Wir meinen es gar nicht so ernst, wir wollen ja mitmachen! Lafontaines lautes Tönen, Beck könne im Handumdrehen Kanzler werden, ließe er sich auf ein paar Bedingungen des Koalitionspartners in spe ein, ist nicht nur ein lustig-perfides Spiel, um die Sozialdemokraten aus der Fassung zu bringen. Was den Linken unter Rot-Grün nicht gelang – ein bisschen Opposition, ein bisschen Mitregieren, »Gestalten« und trotzdem für »demokratisch-sozialistische Werte« zu stehen –, das will »Die Linke« als eigenständige Partei garantieren.

Eine antikapitalistische Politik, die sich des bürgerlichen Staats samt seiner Demokratie nach Gutdünken zu bedienen glaubt, ganz so, als wäre dieser Staat ein Art Dienstleistungsunternehmen, verfügt weder über Geschichtskenntnis noch über einen Begriff von seiner Dynamik und Integrationsleistung. Michael Jäger, durchaus ein Anhänger der Post-Sozis und alles andere als ein Radikaler, ist das auch aufgefallen: »Der Umstand, dass die neue Partei zwar von der Überwindung des Kapitalismus spricht, aber zur Rolle der SPD keine Haltung hat und an sonstige Parteien ohnehin keinen Gedanken verschwendet, spricht so wenig für sozialistischen Ernst wie der andere Umstand, dass kein Vorschlag zur Logik einer nicht mehr kapitalistischen Ökonomie unterbreitet wird«, schreibt er im Freitag.

Stattdessen beeilt sich die Partei, alles das zu installieren, was die anderen auch haben: einen Vorstand mit 44 Köpfen, einen Rat der Älteren, einen Jugendverband, eine Studentenorganisation, einen Wahlkampfkoordinator, Sprecher für dies, Experten für das. Streit ist vorprogrammiert. Schon vor dem euphorisch angekündigten Vereinigungsparteitag verfasste Klaus Ernst, Mitgründer der Wasg, einen offenen Brief, in dem er sich beschwerte, die PDS habe die vereinbarte Mandatsträgerquote von 50 Prozent der Vorstandsmitglieder »bewusst« überschritten.

Das Gerangel um Posten hat längst eingesetzt, auch wenn es angesichts absehbarer Wahlerfolge und Mandatszuwächse noch latent bleibt. Mit »sozialistischem Ernst«, mit dem Aufbau doch wenigstens einer sozialistischen Gegenmacht hat das nichts zu tun, aber darum geht es auch nicht. Die Protagonisten sind da erstaunlich offen: »Wir sind eine Kopfgeburt«, hat der Bundestagsabgeordnete Axel Troost, auch er ein Mitgründer der Wasg, der Zeit diktiert, »wir sind keine Graswurzelbewegung, dazu hatten wir keine Zeit, eher: top down. Aber natürlich mit einer nachträglichen Legitimierung.« Anders gesagt, es haben sich bloß genug Wähler gefunden, die seine Wahlalternative nicht für eine weitere Variante des Parteienspektrums, sondern tatsächlich für die Vorhut eines sozialen Aufbruchs gehalten haben.

Unabhängig davon, ob man Lafontaine für einen Neonationalisten und Sahra Wagenknecht für eine allzu konstruktiv mitdiskutierende Kommunistin hält, bekundet die Partei als Partei ihr Einverständnis mit dem System, das sie, nun ja, auswechseln will. Sie ist der Organisation gewordene Wille, sich an alle demokratischen Spielregeln zu halten. »Die Linke« wird sich gegenüber denjenigen beweisen, die sie vom Verfassungsschutz beobachten lassen wollen.

Ein Blick auf eine vermeintlich radikale politische Intervention, ihr Engagement für die Erlaubnis, politisch zu streiken, erhellt dies. Man kann dieses Vorhaben für naiv halten, weil ihre Parteikonkurrenten es als billiges Manöver begreifen werden, mit dem »Die Linke« sich ein »demokratisch nicht legitimiertes« (außerparlamentarisches) Druckmittel legalisieren lassen will. Tatsächlich erweiterte eine Legalisierung die Kampfbedingungen des Streiks. Aber was wäre der Preis? Selbst wenn dieses Vorhaben glückte, gäbe es schlicht ein neues Feld, das rechtsstaatlich betreut werden würde: Wann ist ein politischer Streik legitim? Welche – politischen – Grenzen hat er? Was sind seine Regeln? Wer garantiert und sanktioniert sie, ahndet Regelverstöße? Ganz davon abgesehen, dass die Legalisierung bzw. Installierung eines politischen Streiks eine Hierarchisierung sozialer Kampfmaßnahmen bedeuten würde. Es gäbe dann (explizit) ökonomische und (explizit) politische Streiks. Welche gelten eigentlich als »wertvoller«, »sozialistischer«, »effektiver«? Passé die Grundregel kommunistischer Politik, dass es keine Trennung von ökonomischen und politischen Kämpfen geben darf.

Das Plus der neuen Linkspartei, so meint etwa der SPD-Politologe Franz Walter, sei, dass sie eine Politik ohne Modernisierungsversprechen anbiete. Das hat was – denn alles, was die Leute hierzulande als »Modernisierung« innenpolitisch am eigenen Leib erfahren haben, stellt sich als Ka­tastrophe in Permanenz dar: Sie sind nunmehr vollflexibilisierte Arbeitskraftunternehmer, denen das Schicksal des abgehängten Prekariats droht. »Reform« ist heutzutage ein Drohwort. Eine Partei, die nun nicht mehr »modernisieren« und »verkrustete Strukturen aufbrechen« will, hat die Sympathie zahlreicher ausgelaugter Lohn­abhängiger und ausgespuckter Arbeitsloser auf ihrer Seite. Aber die Haltung der Anti-Modernisierung übersetzt sich bei einer Partei, die nur deshalb so viel Aufmerksamkeit erfährt, weil sie mit ihrer Neugründung ihr Mitmachenwollen emphatisch bekräftigt, nicht in eine sozialistische Perspektive. Diese Haltung nimmt die Form des »Wir sind das schlechte Gewissen der großen Parteien« an, des parlamentarisch veredelten Ressentiments, der institutionalisierten Nörgelei.