Rebellierende Zonis

Nazistische Gewalt und die gesellschaftlichen Zustände im Osten
Kommentar von Mario Möller

Die SPD hat nach dem pogromartigen Vorfall im sächsischen Mügeln erneut das Verbot der NPD zum Thema gemacht. Aber es dürfte schwie­rig werden, den Schlägern die Mitgliedschaft in irgendeinem Naziverein, der mehr tut, als am Stammkiosk die Biervorräte zu minimieren, nachzuweisen. Gerade für den Osten ist das Gerede über die NPD irreführend, da es hier keiner Avantgardepartei bedarf. Der Osten hatte sich lange vor dem Eintreffen der NPD formiert. Hier nimmt man die Sache selbst in die Hand.

Konstituierend für die nationalsozialistische Bewegung war neben dem eliminatorischen Antisemitismus der positive Bezug auf die Scholle, die Tradition, die Gemeinschaft und das Arbeitsethos; dies ging einher mit der Vorstellung, dass der Staat nicht nur Garant der Ordnung sein sollte, sondern auch die Anklageinstanz, von der die Organisation einer krisenfreien Ak­kumula­tion im volksstaatlichen Zusammenwirken von Kapital und Arbeit zu erwarten sei. Die heutige Idee vom harmonischen Zonenkollektiv basiert auf diesen Vorstellungen und kulminiert im harmlos klingenden Begriff der »ostdeutschen Identität«. Doch diese hat es in sich, ist sie doch Ausgangspunkt dessen, was regelmäßig in Orten wie Mügeln passiert.

Für den militanten Ostpatriotismus trägt niemand mehr Verantwortung als die sich antifaschistisch verstehende PDS/Die Linke. Seit ihrem Bestehen stachelte die PDS immer wieder den sich betrogen wähnenden Ostdeutschen an. »Macht den Osten stark«, forderte sie etwa auf Wahlplakaten im Jahr 2002. Sie ist mit dafür verantwortlich, dass sich im Osten eine Mentalität herausgebildet hat, in der das indi­viduelle Scheitern als Ergebnis eines groß angelegten Feldzuges äußerer Mächte interpretiert wird.

Der Thüringer Monitor, eine Studie über die politischen Ansichten der Thüringer, zeigt, dass sich unter den Freunden der ehemaligen DDR, unter Befürwortern von Verstaatlichung und unter jenen, die den Sozialismus als Staatsidee propagieren, deutlich mehr Personen finden, denen eine rechtsextreme Überzeugung nachgewiesen werden kann, als unter jenen, deren Verhältnis zur DDR distanziert ist. Den Wissenschaftlern erschien allerdings ein Umstand rätselhaft, den man genau genommen als den eigentlichen Befund herausstellen müsste: nämlich dass sich unter den Nostalgikern mit auto­ritären und faschistischen Einstellungen viele Personen befinden, die die Linkspartei wählen. Diese Leute sind alles andere als Nazis, und dennoch spricht immer wieder der nationale Sozialist aus ihnen.

Ein solches Umfeld kultiviert Phänomene wie den jugendlichen Zonen-Nazi. Dieser gleicht einem Typus, den Theodor W. Adorno in den Studien zum autoritären Charakter so kennzeichnete: »Ihre Entwicklung ist total gescheitert, die Zivilisation hat sie nicht im geringsten zu formen vermocht. (…) Hier treffen wir Strolche und Raufbolde, die Straßenlümmel und die Folterknechte und all jene, welche die ›schmutzige Arbeit‹ einer faschistischen Bewegung tun.«

In Ostdeutschland kann man nicht ernsthaft von einem Problem des Rechtsextremismus sprechen, setzt der Begriff doch eine Abweichung vom Main­stream voraus. Die Nationalsozialisierung des Ostens geht jedoch fernab organisierter Strukturen vonstatten. Dass es im Osten keine Parteien oder partikulare Interessen gibt, sondern nur die bedrohte Gemeinschaft, bewies der Bürgermeister von Mügeln, Gotthard Deuse (FDP), in der vorigen Woche in einem Interview mit der extrem rechten Zeitung Junge Freiheit. Als hätte es die Hetzjagd auf die Inder nicht gegeben, sprach er von einer »Vorverurteilung der Stadt« und vom »Sommerloch«, in dem man sich auf alles stürze, »was sich bietet«. Besonders »erschüttert« zeigte er sich über »die wütenden Zuschriften, die wir bekommen haben, nachdem ich es gewagt hatte, öffentlich darauf hinzuweisen, dass es außer den acht verletzten Indern auch vier verletzte Deutsche gibt«, die er der Ausgewogenheit zuliebe auch gerne im Kran­kenhaus besucht hätte.