Je parle rögbi

Wenn in Frankreich die Rugby-WM beginnt, soll der frühere Sport englischer Gentleman-Amateure endgültig zum Weltsport aufsteigen. von martin krauss

Rugby (spr. Rögbi)« – nur begrenzt weltläufig versucht sich das deutsche »Handbuch des Sports« aus dem Jahr 1932 an der Erklärung einer Ballsportart, die weltweit sehr populär ist, die aber in Deutsch­land nur als Rauferei um einen läng­lichen Ball verstanden wird. Obendrein glaubt man hierzulande, wie das Eingangszitat beweist, dass der Name dieser Sportart nur schwer auszusprechen ist.

Am morgigen Freitag beginnt in Frankreich die Rugby-WM, genauer: die Weltmeisterschaft im Rugby Union Football, denn es gibt noch einen konkurrierenden Rugbyverband, die Rugby League, die nach etwas anderen Regeln spielt.

Die WM in der Sportart namens Rugby Union gibt es zwar erst seit 1987, sie ist aber größer als die der Rugby League, die es schon seit 1954 gibt. Fans behaupten, die Rugby-Union-WM sei das drittgrößte Sportfest der Welt, nach den Olympischen Spielen und der Fußball-WM. Das ist aber eine Frage der Berechnung: die World Games, die Universiade oder die Makkabiade reklamieren gleichfalls diesen dritten Rang für sich.

Rugby ist, schreibt das bereits zitierte Handbuch, ein »uraltes, aus England stammendes, nach der Stadt Rugby benanntes Ballspiel«, entstanden an der dortigen Public School für bessere Kreise, und was das bedeutet, führt der deutsche Sportideologe Carl Diem in seiner »Weltgeschichte des Sports und der Leibeserziehung« aus dem Jahr 1960 aus. »In diesen Schulen«, schreibt der Organisator der Nazi-Olym­piade von 1936 bewundernd, »wurde der Engländer herangebildet, der das Commonwealth begründete.« Und Rugby ist vielleicht mehr noch als Cricket der sportliche Ausdruck des Commonwealth.

England, Schottland und Wales waren die wichtigsten Teilnehmerländer dessen, was jahrzehntelang als inoffizielle Rugby-WM galt: das Fünfländerturnier, zu dem außer den genannten noch Frankreich und Irland stießen. Schon als im Jahr 2000 Italien dazukam und die Veranstaltung offiziell in »Six Nations« umgetauft wurde, wurde auch dem letzten Beo­bachter klar, dass sich Rugby Union revolutioniert hatte.

Erster Ausdruck dieser Veränderung war die erste WM im Jahr 1987. Bis dahin hatte der Weltverband des Rugby Union, das International Rugby Board, so etwas strikt abgelehnt, da es dazu geführt hätte, dass sich die britischen Gentlemen-Amateure mit den professionellen Rüpeln aus Australien und Neuseeland hätten messen müssen. Die erste offizielle WM, die gegen britischen Willen zustande kam, wurde denn auch von Australien und Neuseeland gemeinsam veranstaltet; erster Weltmeister wurde Neuseeland. 1995, zur dritten WM, betraten aus britischer Sicht die nächsten Rüpel das Rugbyfeld: Die WM wurde von Südafrika ausgerichtet, jahrzehntelang wegen seiner Apartheidpolitik boykottiert; Südafrika wurde prompt Weltmeister.

Schon 1990 wurden in England Sponsoren beim Rugby Union zugelassen, und im Jahr 1995 schaffte das IRB den Amateurstatus weltweit ab. Während in der konkurrierenden Rugby League, die Rugby eher als Sport der Arbeiterklasse verstanden wissen wollte, und in England nur im proletarischen Norden verbreitet war, schon längst Profis aufliefen, hatten die Rugby-Union-Funktionäre immer den Amateurismus hochgehalten. Aber die Macht der australischen Medienkonzerne von Rupert Murdoch und von Kerry Packer zwang die britischen Puristen zum Umdenken, auch im eigenen Land. Druck kam auch von Südafrika, wo der Sport populär ist und nach dem Ende der Apartheid von vielen Schwarzen professionell betrieben wird.

2003, bei der fünften und bislang letzten WM, die in Australien ausgerichtet wurde, wurden die Früchte der Professionalisierung geerntet: Es gelang England als erstem und bislang einzigem Land der früheren »Five Nations«, den WM-Titel zu gewinnen. 750 000 begeisterte Fans empfingen das Team bei seiner Rückkehr aus Down Under. Es war der vielleicht letzte große Triumph der Führungsmacht des Commonwealth, denn die Liste der 20 Teilnehmerländer der nun anstehenden WM zeigt, dass sich der Rugby-Sport auf dem Weg zu einem wirklichen Weltsport befindet. Außer England, Schottland, Wales, Irland, Südafrika, Neuseeland, Australien und Gastgeber Frankreich treten bei der diesjährigen WM noch diese Länder an: Samoa, USA, Tonga, Fidschi, Kanada, Japan, Italien, Rumänien, Portugal, Argentinien, Georgien und Namibia.

Das französische Außenministerium verkündet stolz, dass es die erste Rugby-WM in einem frankophonen Land ist, und betreibt für die etwa 300 000 erwarteten Gäste eine Werbekampagne für die Landessprache: »Oui, je parle rugby«.

Bemühungen, Rugby über das Commonwealth hinaus auf dem Sportweltmarkt zu eta­blieren, begannen schon in den neunziger Jahren (Jungle World 09/1999). Damals wollte das IRB seinen Sport vor allem in den deutschsprachigen Raum exportieren. Doch hier dominierten vor allem der omnipräsente Fußball und das amerikanische Basketball, das seine Liga NBA mit Hilfe deutscher Spieler wie Detlef ­Schrempf und Dirk Nowitzki und seiner diversen Weltstars gut in Fernsehprogrammen platzieren konnte. Auch das American Football konnte sich dank seines Europa-Ablegers NFL Europe, der zuletzt fast rein deutsch war, zunächst einigermaßen auf diesem Markt behaupten. Ende Juni dieses Jahres wurde zwar der Versuch der Etablierung einer Art zweiten Liga des Profi­football in Europa aufgegeben. Aber das wertvollste Verwertungsobjekt des amerikanischen Originals, das Saisonfinale um den Super Bowl, konnte immerhin als lukratives Objekt auf dem Fernsehrechtemarkt eta­bliert werden.

Da war kein Platz für die Etablierung des Rugby Union. Aber jetzt, erst recht nach dem Ende der NFL Europe, wird ein neuer Versuch unternommen. In Deutschland versucht das Deutsche Sportfernsehen, sich mit der Rugby-WM zu profilieren. »Es ist sicher nicht der auf den ersten Blick attraktivste Massensport«, erläuterte DSF-Programmchef Torsten Haux neulich in einem Interview mit dem Branchendienst »dwdl.de«. »Aber Rugby ist beispielsweise in Frankreich oder England sehr populär. Und wir glauben, dass es zusammen mit dem Event-Feeling einer WM auch in Deutschland funktionieren kann.«

Schon 2003 hatte das DSF derlei versucht, aber in diesem Jahr erhofft man sich, auch wegen der Ausrichtung der WM im Nachbarland Frankreich, größeren Zuspruch.

Was den Optimismus nicht nur in Deutschland nährt, ist der Umstand, dass es dem IRB und seinem Rugby Union in den vergangenen zwölf Jahren bemerkenswert gut gelungen ist, sich als modern und weltmarktfähig zu präsentieren. Die WM 1995 in Südafrika war das größte Sportereignis, das der Kontinent je erlebt hatte, und es wurde zum Symbol des Endes der Apartheid. Ob die bevorstehende Fußball-WM 2010 in Südafrika diese kulturelle Symbolik übertreffen kann, ist nicht ausgemacht.

In die Röhre gucken wird beim Siegeszug des Rugby Union die Konkurrenz der Rugby League. Die setzte zwar schon immer auf Professionalismus und sorgte auch durch die Begrenzung auf 13 Spieler pro Mannschaft – im Unterschied zu den 15 beim Rugby Union – für mehr Schnelligkeit auf dem Platz. Aber der Vermarktungsoffensive des Rugby Union hat sie nichts entgegenzusetzen. Wie stark Rugby Union ist, erkennt man daran, dass die IRB es sich 1995 leisten konnte, auch das bis dahin strikte Verbot für ihre Spieler aufzuheben, an Rugby-­League-Länderspielen teilzunehmen. Einzig in Deutschland besteht dieses Verbot weiterhin, dabei sind auch hier die Größenverhältnisse eindeutig: Im Rugby Union sind zurzeit 9 600 Sportler in 99 Vereinen aktiv, im Rugby League gibt es gerade mal vier Vereine.

Ob die Expansion des Rugby Union nach Deutschland gelingen wird, ist schwer zu sagen. Aber vielleicht ist es ja schon ein Erfolg, wenn man nicht mehr »Rögbi« sagt.