Steuern sparen mit Ussama

Geschwächt in der islamischen Welt, will al-Qaida verstärkt Jihadisten in westlichen Ländern anwerben. von jörn schulz

Ussama bin Laden hat mancherlei Sorgen, dass seine Steuererklärung angemahnt wird, muss er jedoch nicht befürchten. So erscheint es auf den ersten Blick merkwürdig, dass er jene bemitleidet, die »unter der Last der mit dem Zins verbundenen Schulden, wahnsinniger Steuern und Immobilienhypotheken taumeln«. Zumal sich seine kurz vor dem 11. September veröffentlichte Erklärung vor allem an die Amerikaner richtet. Doch sogar für die US-Soldaten im Irak findet er fast mitfühlend klingende Worte, er beklagt die »Größe ihrer Leiden«, die »schlimmer sind als das, was die Sklaven erlitten«.

Al-Qaida sucht derzeit verstärkt neue Rekruten im Westen, deshalb versucht sich bin Laden auch in Globalisierungskritik und fordert die Beseitigung des »kapitalistischen Systems«. Doch während die libanesische Hizbollah explizit eine Zusammenarbeit mit Linken befürwortet und die Verhandlungen Präsident Mahmoud Ahmadinejads mit seinem venezolanische Kollegen Hugo Chávez auch ein ideologisches Bündnis hervorgebracht haben, verzichtet bin Laden auf entspre­chende Angebote. Er vertritt eine Lehre, die eher Guido Westerwelle als Oskar Lafontaine zur Konversion bewegen könnte: »Es gibt keine Steuern im Islam, sondern die begrenzte Zakat von nur 2,5 Prozent.«

Bin Laden verweist auf die zentralen Elemente der »islamischen« Wirtschaftsordnung: das Zinsverbot und die Zakat, die Pflicht zur Armenfürsor­ge. Er distanziert sich auch von etatistisch orientierten Islamisten, die glauben, die vom Pro­phe­ten Mohammed auf das bewegliche Eigentum erhobene Abgabe von 2,5 Prozent sei keine Obergrenze, vielmehr müssten für die Versorgung der Armen ausreichende Steuern erhoben werden.

Als Repräsentant des globalen Jihad hat bin Laden kein Interesse an der Armenfürsorge, mit der Organisationen wie die ägyptische Muslimbruder­schaft eine Klientel an sich binden. Ebensowenig sucht er Bündnispartner, denn das würde eine Abgrenzung der Einflussbereiche erfordern. Al-Qaida sucht Gefolgsleute, vorzugsweise aus Schich­ten, die bislang noch nicht als Tätergruppen in Erscheinung traten und daher unauffälliger agieren können. Bin Ladens Forderung, »die Impotenz des demokratischen Systems« zu erkennen und Jihadist zu werden, richtet sich eher an Rechte, die big government hassen. Sie scheint vor allem Männer mit militaristischen und morbiden Neigungen anzusprechen, die Gefallen an den Gewalt­videos von al-Qaida finden.

Adam Yahiye Gadahn, der im Medienapparat von al-Qaida tätig ist und den US-Geheimdienstler für den Berater bin Ladens im Umgang mit westlichem Publikum halten, war Death-Metal-Fan, bevor er Jihadist wurde. Die im vergangenen Jahr in Miami verhafteten sieben Männer, die eine Verbindung zu al-Qaida gesucht hatten und von einem FBI-Agenten zum Schein rekrutiert wurden, waren Mitglieder einer obskuren rechten Sekte.

Über den Werdegang der in Deutschland verhafteten Jihadisten ist noch wenig bekannt. Ihre Rekrutierung entspricht jedoch der Strategie von al-Qaida, organisiert wurde sie von einer Gruppe, die sich dem Netzwerk zugeordnet hat. Die Islamische Jihad Union (IJU) ist aus der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU) hervorgegangen, die in den Jahren 1999 und 2000 in Zentralasien für einige Unruhe sorgte. Ihre damals etwa 7 000 Kämpfer führten Guerillaaktionen in Usbekistan und Tadschikistan aus, kurzzeitig eroberten sie entlegene Regionen Kirgisiens. Doch die Jihadisten hatten ihre Kräfte überschätzt, sie mussten vor den von Russland unterstützten Gegenoffensiven nach Afghanistan ausweichen, wo ihr Führer Juma Namangani dann Ende Oktober 2001, in der ersten Phase des Afghanistan-Krieges, getötet wurde.

Die verbliebenen Kämpfer schlossen sich dem Rückzug von al-Qaida nach Pakistan an, die Organisation spaltete sich mehrfach, eine der aus ihr hervorgegangenen Gruppen ist die IJU. Sie wird für eine Reihe von Anschlägen in Usbekistan verantwortlich gemacht. Asia Times online zufolge unterhält die IJU ein kleines Ausbildungslager in Waziristan nahe der afghanischen Grenze. Offenbar werden die Rekrutierten nach Nationalitäten auf verschiedene Camps verteilt. Dass die deutsche Gruppe bei der IJU landete, hatte mög­licherweise schlicht sprachliche Gründe. Usbekisch ist eine Turksprache, und Adem Y. sprach türkisch.

Denkbar ist jedoch auch, dass die IJU ein besonderes Interesse an deutschen Rekruten hatte. Denn Deutschland ist der wichtigste Verbündete des usbekischen Diktators Islam Karimow innerhalb der EU. Die Bundesregierung setzt sich für die Aufhebung der EU-Sanktionen ein, die verhängt wurden, nachdem das usbekische Militär im Jahr 2005 mehr als 700 Demonstranten getötet hatte, und unterhält in Termes einen Luftwaffenstützpunkt für die Versorgung der in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten. Den Ermittlungsbehörden zufolge waren vornehmlich Anschläge gegen US-Einrichtungen geplant, die jedoch auch eine Mahnung an Deutschland gewesen wären, sich aus Afghanistan und Usbekistan zurückzuziehen.

Die Strategie, sich nun besonders um Anschläge im Westen zu bemühen, garantiert mediale Aufmerksamkeit. Ein Zeichen von Stärke ist sie jedoch nicht, vielmehr reagieren die Jihadisten damit auf Niederlagen in der islamischen Welt. Bei ihren Versuchen, in Bürgerkriegsgebieten territoriale Enklaven zu erobern und in islamischen Staaten Stützpunkte zu etablieren, haben al-Qaida und ihre nahestehende Organisationen einige Rückschläge erlitten.

Im Irak, der für einige Jahre das wichtigste Operationsgebiet war, wurde al-Qaida zurück­gedrängt. Doch auch in Staaten wie Jordanien hat Ussama bin Laden viele der Sympathien verloren, die ihm sein Image als Kämpfer gegen das Imperium einst eingebracht hatte. Das ist weniger ein Erfolg des »War on Terror« als ein Misserfolg des Jihadismus, vor allem die Ermordung muslimischer Zivilisten hat al-Qaida isoliert.

Auch in ihrem Rückzugsgebiet wachsen die Probleme. Viele pakistanische Clanführer wollen den Herrschaftsanspruch der ausländischen Jihadisten nicht länger akzeptieren. Möglicherweise wird eine zu Verhandlungen mit der afghanischen Regierung und der Nato neigende Fraktion der Taliban sich von al-Qaida distanzieren. Die Jihadisten haben deshalb ihre Angriffe in Pakistan in den vergangenen Wochen verstärkt. Präsident Pervez Musharraf, der mit der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto über eine Neuverteilung der Macht verhandelt, ist politisch geschwächt. Anfang September ließen sich etwa 240 Soldaten, ein Oberst und ein Dutzend andere Offizere widerstandlos von bewaffneten Islamisten gefangennehmen. Der von Islamisten infiltrierten Armee scheint es an Kampfgeist zu mangeln. Al-Qaida darf daher wohl ihre Operationsbasis noch eine Weile behalten.