Black Box Gottesstaat

Marjane Satrapis Comic über ihre Kindheit im Iran und das Aufwachsen im Wiener Exil wurde zum Bestseller. Die Kinoversion verdichtet ihre dreihundertseitige Graphic Novel zu einem eindringlichen Animationsfilm. »Persepolis« gewährt einen seltenen Einblick in den Alltag des Gottesstaats. Aber, warnt Fathiyeh Naghibzadeh, die religiöse Diktatur darf nicht zur iranischen Nationalkultur stilisiert werden.

Als der Schah von Persien 1979 gestürzt wurde, glaubte die Mehrheit der Iraner an eine Zukunft ohne Tyrannei und Repression. Was jedoch folgte, übertraf alle Dimen­sio­nen vorstellbarer Unterdrückung. »Persepolis« erschien zunächst als zweiteiliger Comic, in dem die Autorin Marjane Satrapi ihre Kindheit und Jugend im Iran und im Exil schildert. Die Verschränkung der neueren Geschichte des Iran – die viele Europäer und Amerikaner nur schemenhaft kennen – mit der sehr persön­lichen Sicht des Kindes Marjane hat die graphische Novelle zum Bestseller gemacht.

Der Film »Persepolis« ist ein Animationsfilm in Schwarzweiß, der jedoch einen farbigen Erin­nerungsabdruck im Gedächtnis hinterlässt. Er schildert plastisch zentrale Stationen iranischer Geschichte seit Ende der siebziger Jahre: die Konsolidierung des neuen Regimes vor dem Hin­tergrund des Iran-Irak-Kriegs, die Kampagnen für den Märtyrertod und die Reaktionen der Familien, das Verschwinden von politischen Ak­tivisten, Gefängnis und Folter, die dramatischen Veränderungen im öffentlichen und im Privat­leben, die ständigen Kontrollen durch die Sitten­polizei, die Zwangsverschleierung der Frauen und schließlich das Exil als einzigen Ausweg für viele.

An vielen Stellen erscheint dieser Alptraum jedoch wie eine Tragikomödie. Die Verunsicherung und die Schwierigkeiten der iranischen Gesellschaft bei der Anpassung an die Normen und Werte der Islamischen Republik führen immer wieder zu absurden Situationen. So zum Beispiel, wenn islamische Revolutionswächterinnen sich als Popkultur-Expertinnen gerieren, wenn es um die Frage geht, ob dieses oder jenes Kleidungsstück einen Ausdruck von »Verwest­lichung« darstellt. Ich erinnere mich, dass wir die Sittenpolizei in Teheran in den achtziger Jahren die »Michael-Jackson-Verfolger« nannten, weil sie nach Jugendlichen fahndete, die sich angeblich wie Michael Jackson kleideten oder es zumindest versuchten.

»Persepolis« ist auch ein Film über tausende und abertausende Familien, die die dramatische Entscheidung trafen, ihre Kinder alleine ins ungewisse Exil zu schicken, um sie vor der Deformierung ihres Lebens durch die permanente öffentliche Lüge, vor der Zwangsverschleierung oder vor dem Märtyrertod als minenräumende Kindersoldaten zu schützen.

Aus Sicht der 14jährigen Marjane ist das Leben im Ausland jedoch auch nicht besser. Während im Iran der private Raum, Freunde, die Eltern und die Großmutter, die nach Jasminblüten duftet, die einzigen sind, die Schutz vor einer feindlichen Außenwelt bieten, wird ihr das Privatleben im Exil zum Verhängnis. Geflohen aus dem islamistischen Iran, landet sie in Wien in einem katholischen Internat. Das öffentliche Leben steht für die Erfahrung der Freiheit. Aber Marjane muss diese Erfahrung zunächst völlig auf sich gestellt, ohne jede emotionale Begleitung machen. Nicht die wirkliche kulturelle Differenz, sondern die Ablehnung, die Marjane als »Fremde« erfährt, ist der Schock des Exils. Doch auch die Rückkehr in den Iran kann ihre inneren Widersprüche nicht mehr auflösen. Sie verfällt in tiefe Depression und entschließt sich nach einer gescheiter­ten Ehe, nach Europa zurückzukehren.

Vor diesem Hintergrund verwundert es, wie Marjane Satrapi ihr Werk selbst interpretiert. In der Pressenotiz zu »Persepolis« schreibt sie, dass in ihren Augen »der exotischste Teil« der Geschichte jener sei, der sich im europäischen Exil abspielt. »Wenn ein westliches Publikum Iraner nach dem Film als die gleichen menschlichen Wesen ansieht wie den Rest von uns und nicht mit abstrakten Begriffen wie ›islamische Fundamentalisten‹, ›Terroristen‹ oder der ›­Achse des Bösen‹ bekleidet, dann habe ich das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Vergessen Sie nicht, dass die ersten Opfer des Fundamentalismus die Iraner selbst sind.«

Damit verwirrt sie das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem im Hinblick auf das islamische Regime im Iran: Während die Erfahrung des Exils eine »universelle« ist, ist die Unterdrückung im iranischen Gottesstaat tatsächlich eine »besondere«, »exotische«.

Satrapi möchte den Vorwurf des Kulturrelativismus an die Europäer richten. Doch die Islamische Republik Iran ist von Iranern errichtet worden, sie gehört zur iranischen Geschichte. Wir Iraner dürfen nicht vor unserer Geschichte weglaufen und den Westen als Hauptschuldigen an der fast 30jährigen Existenz des islamischen Gottesstaats anklagen. Wir sind die Haupt­schuldigen und deswegen auch die ersten Opfer dieses Staats. Erst wenn wir diese Tatsache anerkennen, können wir sinnvoll den westlichen Kulturrelativismus kritisieren, der eine religiöse Diktatur zur iranischen Nationalkultur exotisiert.

»Persepolis« ist ein trauriger und zugleich amüsanter Film, der mich berührt, weil er auch meine eigene Geschichte erzählt. Ich frage mich, ob die Behauptung stimmt, dass die Geschichte vor allem deswegen so interessant sei, weil sie aus der Perspektive eines Kindes geschildert wird. Als sich die Islamische Republik zu formie­ren begann, wurde aus Angst und Vorsicht nicht offen über diesen Alptraum gesprochen. Nur die Kinder drückten in ihrer Naivität die absurden Erfahrungen im Umgang mit den neuen Normen und Werten ganz unverblümt aus.

Trotz einiger Kritikpunkte bietet der Film einen einmaligen Einblick in das öffentliche und private Leben im Gottesstaat Iran. Daher ist dem Film ein großes und aufmerksames Publikum zu wünschen.

»Persepolis« (Frankreich/USA 2007) Regie/Drehbuch: Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi. Start: 22. November