Die Tempelhofritter

Berliner Bürger kämpfen für den Erhalt des Flugbetriebs in Tempelhof, als ginge es um die nun beinahe 60 Jahre zurückliegende »Luftbrücke«. Ein Volksentscheid steht bevor. von daniel steinmaier

Keine Mülldeponie in Wackenrode – baut sie doch in Krumpfendorf! Man kennt dergleichen: verbiesterte Bürger, die sich mit dem Ziel zusammenschließen, ihren Müll in der Nachbargemeinde verrotten zu lassen. Oder Bürger, die gegen den Lärm des nahe liegenden Flughafens klagen und doch selber so gerne in den Urlaub fliegen. Wie viel edler ist dagegen das Berliner Bürgerbegehren zum Erhalt des Flughafens Tempelhof! Denn die Berliner wehren sich selbstlos gegen die Schließung, obwohl der Flughafen mitten in ihrer Stadt liegt und ihnen persönlich außer Fluglärm und Abgasen gar nichts bringt.

Schon seit Jahren regt sich Widerstand gegen den Beschluss des rot-roten Senats, den Flughafen Tempelhof zugunsten des geplanten Großflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI) in Schönefeld zu schließen. Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) betont, so sei es nun mal festgelegt worden. Dabei sind nach unabhängigen Umfragen mehr als 70 Prozent der Berliner gegen die Schließung ihres Flughafens in Tempelhof. Welche Arroganz der Macht!

»Ja zum Volkswillen. Nein zur Willkür. Tempelhof muss Flughafen bleiben!« steht deshalb auf Tausenden Plakaten in Berlin, die Werbung machen für das Volksbegehren der »Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof« (ICAT), das den Flughafen retten soll. »Politik von oben he­rab? Nicht mit uns! Jetzt erst recht: Ja zum Flughafen Tempelhof!« Und weil die 170 000 Unterschriften, die bis zum 14. Februar vorliegen müssen, um im nächsten Schritt einen Volksentscheid zu ermöglichen, bereits zwei Wochen vor Ablauf der Frist eingesammelt waren, sollte man meinen, es gebe neben den heftigen Aversionen des bürgerlichen Lagers gegen die rot-rote Koalition auch überzeugende Argumente für den Erhalt des Flughafens.

»Wir sagen immer, Tempelhof ist der Zehn-Minuten-Flughafen«, erklärt Thomas Böhme, Assistent des Vorstands von ICAT, der Jungle World. »Die kurzen Wege sind das Wesentliche.« Insbesondere Andreas Peter, der Vorsitzende von ICAT, wisse das als Eigentümer der Biz-Air zu schätzen, denn seine Kunden wollten gerne direkt ins Stadt­zentrum fliegen. Schnell ergänzt er: »Es geht nicht um Neureiche, wie viele behaupten. Wenn in Schönefeld Nebel ist und das Spenderherz aus China kommt, kann man dann auch in Tempelhof landen.«

Der im Jahr 2006 gescheiterte Spitzenkandidat der CDU, Friedbert Pflüger, der mit dem Volksbegehren eine Art zweiten Wahlkampf gegen Klaus Wowereit ausficht, meint, der Flughafen sei ein »Filetstück Berlins«, auch wenn der Flughafen die laufenden Kosten für die Gebäude nicht mit dem Flugbetrieb erwirtschaften kann. Böhme erklärt das mit der Entscheidung, »den Laden dicht zu machen«. Vor 1996, als der Beschluss noch nicht gefällt war, habe der Flughafen »gebrummt«. Der nicht gerade geistreiche Spott des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), das Filetstück sei wohl »ziemlich verdorben, da schauen schon die Maden raus«, verletzte die Freunde des Tempelhofer Flughafens zutiefst. »Spinnt der? Tempelhof ist ein Juwel, kein Madenloch!« beschwert sich Pflüger in seinem Weblog. Schließlich wollen nach Angaben der Flughafenfreunde Großinvestoren Berlin mit Tausenden von Arbeitsplätzen beschenken, wenn der Flugbetrieb in Tempelhof weitergehen kann.

So hatte etwa der deutsch-amerikanische Investor Fred Langhammer zusammen mit dem Kosmetikkonzern Estée Lauder angekündigt, den Flughafen Tempelhof auszubauen. Sie planten ein ambulantes internationales Gesundheitszentrum mit angeschlossenem Flughafen. Damit man es nicht weit hat vom Flugzeug zum Zahnarzt. Von dieser phantastischen Idee war auch Hartmut Mehdorn angetan, der als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG verständ­licherweise selbst ein großer Freund des Flugver­kehrs ist. Auch er wollte bereits in Tempelhof investieren. Wie aber jüngst der Tagesspiegel berichtete, der sich im Gegensatz zu den meisten Berliner Zeitungen nicht der Rettung Tempelhofs verschrieben hat, haben sich beide Inter­essenten mittlerweile zurückgezogen. Anderen liege nichts an der Aufrechterhaltung des Flugbetriebs.

Jenseits des schnöden Materialismus und der kaltherzig pragmatischen Annahme, Tempelhof werde zur Entlastung des neuen Großflughafens gebraucht, haben die Flughafenfreunde aber noch Argumente ganz anderen Kalibers auf Lager, nachzulesen auf der Webseite der Bürger­initiative »Pro Tempelhof«: »Der Flughafen Tempelhof gehört zu Berlin und ist wesentlicher Teil seiner Identität!« Er gehört zum »Spirit of Berlin«! Denn Tempelhof ist schließlich nicht nur »einer der ältesten Verkehrsflughafen der Welt«, die »Wiege der deutschen Zivilluftfahrt« und der einzige komplett erhaltene Flughafen, den der nationalsozialistische Flughafenbaumeister Ernst Sagebiel für Reichsluftfahrtminister Hermann Göring baute. Nein, er ist viel mehr. Der Flughafen Tempelhof ist die »Luftbrücke«.

»490 000 Tonnen Lebensmittel retteten die Berliner. Ein Gang zum Bürgeramt rettet Tempelhof!« So appelliert die Flughafenlobby an die alten Westberliner, die nicht vergessen haben, was sie den Amerikanern zu verdanken haben. Wer aber meint, dass zum Gedenken an die Luftbrücke nicht unbedingt Flugzeuge landen und starten müssen, irrt natürlich. Von welchem Flughafen soll sonst die restaurierte Douglas DC-3, die tatsächlich an der Luftbrücke beteiligt war, ihre Rundflüge starten? »Luftbrücke Tempelhof, du bist mein Herz und mein Zuhaus«, bekennt der Schlagersänger Gunter Gabriel auf Youtube in seinem »Protestsong« »Hände weg von Tempelhof« und bringt damit sowohl das argumenta­tive als auch das ästhetische Niveau der Flughafen­­freunde ziemlich exakt auf den Punkt.

Tatsächlich ist die Luftbrücke wichtig für die Kampagne, denn dank ihrer ist der Flughafen seiner nationalsozialistischen Herkunft enthoben, auch wenn man noch ahnt, wo unter den steinernen Adlern an der Fassade einst das Hakenkreuz hing. Die Westberliner erinnern sich nun mal lieber einer Geschichte, in der sie als Opfer der sowjetischen Blockade die von amerikanischen Piloten abgeworfenen Süßigkeiten auffangen, als einer Geschichte, in der sie begeistert in der HJ strammstehen. Kein Wunder, dass die Ostberliner das Volksbegehren kaum interessiert, nimmt sich doch der Protest der Flughafenfreunde beinahe wie eine Rache der Westberliner an dem ihnen von den Ostberlinern aufgezwungenen rot-roten Senat aus, der die Investoren »blockiert« wie einst die Sowjets Westberlin.

Die Flughafenlobby klagt außerdem, der Senat habe keine Ahnung, was mit dem riesigen Ge­lände geschehen soll. »Es gibt jetzt auch Vorschläge, dort einen Badesee zu schaffen«, tobt Pflüger im Interview mit der Berliner Morgenpost. »Wir werden nicht zulassen, dass Herr Wowereit aus Tempelhof einen Tümpelhof macht.« So etwas Ähnliches bezweckt wohl allenfalls die Initiative »Tem­pelhof aufmachen für alle«, die meint, das riesige Areal solle Berlins »Central Park« werden. Was dann bevorstünde, war bereits auf Welt on­line zu lesen: »Der Senat plant ein Naherholungs­gebiet auf dem Areal, was bedeutet, dass es verslumen könnte. Berlins größter Drogenmarkt im Volkspark Hasenheide liegt nur wenig entfernt.«