Parlamentarisches Glaubensbündnis

Pakistan proklamierte in seiner Verfassung von 1956 die weltweit erste islamische Republik. Ein Überblick über die derzeit wichtigsten islamischen Gruppen. von dietrich reetz

Die Religion spielt in Pakistan spätestens seit den siebziger Jahren eine prominente Rolle in der Politik. Damals regierte der Militärdiktator Ziaul-Haq, der eine umfassende Islamisierung des öffentlichen Lebens anstrebte. Doch muss man zwischen den bürgerlichen, eher weltlichen Parteien wie der Muslim-Liga, die den Islam als allgemeines politisches Argument benutzen, und den religiösen Parteien unterscheiden, die hauptsächlich von Religionsgelehrten gegründet wurden und sich weitgehend auf die Studenten der Religionsschulen stützen.

Die religiösen Parteien sind seit den Wahlen 2002 in dem Bündnis der MMA (Muttahida Majlis-e’ Amal) zusammengeschlossen, wobei große Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation des Islam, aber auch über taktische politische Fragen herrschen. Die größte unter ihnen ist die Partei der Religionsgelehrten des Islam (Jam’iyat-e’ Ulama-e Islam, JUI). Sie ist eng mit den Reli­gionsschulen der Deoband-Tradition verbunden, die auf das Religionsseminar im Ort Deoband in Nordindien zurückgehen, das 1866 gegründet, einen eher puristischen Islam anstrebt. Die Deobandi-Schulen in Pakistan erregten weltweit Aufmerksamkeit, als bekannt wurde, dass sie von vielen Führern der Taliban Afghanistans besucht werden. Auch andere radikale Gruppen fühlen sich von der Deobandi-Dok­trin inspiriert. Gleichwohl ist die Mehrheit der Studenten ihrer Schulen hauptsächlich an Religion und Frömmigkeit interessiert und steht den Ambitionen der Politiker distanziert gegenüber.

Die zweitwichtigste Kraft in der MMA ist die Islamische Partei (Jamaat-e-Islami, JI). Sie wurde von dem charismatischen Politiker und Gelehrten Abu’l Ala Maududi gegründet, der sich in der gesamten islamischen Welt für eine Politik des Islam einsetzte. Im Unterschied zur JUI hat die kleinere JI ein modernes Profil. Viele ihrer Anhänger und Funktionäre sind gebildet, haben im westlichen Ausland studiert und gehören der Mittelschicht an. Sie ist an den weltlichen Universitäten präsent und hat politisch sehr weitgehende Ambitionen, die bis zur Regierungsübernahme reichen.

Unter den anderen religiösen Parteien muss die Partei der Gelehrten Pakistans (Jam’iyat-e’ Ulama-e Pakistan, JUP) erwähnt werden. Trotz ähnlichen Namens trennen sie doch erhebliche doktrinäre und auch politische Unterschiede von der JUI und der JI. Die JUP vertritt die Anhänger eines sufi-orientierten Volksislam. Durch seine Hinwendung zum Schreinkult und ausladenden Ritualen ziehen die Barelwis, wie sich diese Strömung nach einem anderen religiösen Zentrum in Nordindien – Bareilly – nennt, immer wieder die Kritik der Puristen auf sich.

Direkte politische Verbindungen zu Saudi-Arabien unterhält eine weitere, eher kleine Gelehrtenpartei, die Ahl-e Hadis (AH). Auch die Schiiten, die in Pakistan etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind in dem Bündnis mit einer Partei, der Tahrik-e Jafariya (TJ) vertreten. Ihre Mitarbeit sollte verhindern, dass sich die schwelenden Spannungen zwischen radikalen Sunniten und Schiitengruppen weiter ausbreiten, die zu zahlreichen Anschlägen und Opfern geführt haben.

Doch die radikalen Gruppen, die im Zuge des Afghanistan-Kriegs zwischen 1978 und 1989 entstanden und von der Politik besonders gefördert wurden, um sie gegen die sowjetischen Truppen einzusetzen, haben sich in erster Linie als Verteidiger ihrer Interpretation des Islam betrachtet. Diese Haltung hat sich immer auch gegen den Westen gerichtet. Das machte sich schon früh an der britischen Kolonialherrschaft fest, später an der Politik der USA. Die westlich-säkulare Lebens­weise und deren Einfluss in Pakistan ist den Ismalisten ein Dorn im Auge. Mit ihrer Kritik an der Globalisierung nehmen sie linke Positionen auf und präsentieren sich als oppositionelle Kraft gegen die bürgerliche Gesellschaft, ohne eine Alternative wie beispielsweise konstruktive Programme zu Wirtschaft und Bildung anbieten zu können. Als politische Kraft hat die MMA bisher am rechten Rand agiert und dem Militärregime von Musharraf zu parlamentarischen Mehrheiten verholfen, als er versuchte, die Pakistanische Volkspartei (PPP), mitte-links-orientiert, und die eher rechtsgerichtete Muslimliga-Fraktion von Nawaz Sharif auszuschalten.

Obwohl diese Gruppen jederzeit eindrucksvolle Proteste auf der Straße organisieren können, gelang es ihnen bei Wahlen selten, mehr als zehn bis 15 Prozent der Stimmen zu erhalten. Wegen des Mehrheitswahlsystems erzielten sie damit meist nur wenige Mandate. Durch bessere Koordination gelang es ihnen jedoch, bei den vorigen Wahlen in kompletter Fraktionsstärke (etwa 60 von 342 Sitzen) ins Parlament einzuziehen.

Dietrich Reetz ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der FU Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum Moderner Orient.