Weniger Raketen, mehr Gespräche

Die Lage im Gaza-Streifen hat sich vor­über­gehend entspannt. Die US-Regierung drängt auf eine Fortsetzung der israelisch-palästinensischen Verhandlungen, während der Jemen zwischen Hamas und Fatah vermitteln will. von maxim kammerer

Trotz aller Probleme gibt es auch positive Einschätzungen der zukünftigen Entwicklung im isra­e­­lisch-arabischen Konflikt. Es überrascht zwar nicht, dass der um seinen Nachruf besorgte George W. Bush sagt, er sei »optimistisch« und halte einen Verhandlungserfolg noch in diesem Jahr für möglich. Doch auch die israelischen Geheimdienste vermelden unerwartet Positives. Der Militär- und der Auslandsgeheimdienst glauben, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad die Verbindungen zu extremistischen Gruppen lösen will.

Yuval Diskin, Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Beth, erläuterte dem Kabinett am Sonntag, dass eine »dritte Intifada«, die nach dem israelischen Einmarsch in den Gaza-Streifen wieder häufiger prophezeit wurde, unwahrscheinlich sei. Bernard Lewis, ein konservativer, aber kundiger Islamwissenschaftler, sprach bei einem Treffen mit Premierminister Ehud Olmert von einem sich verbreitenden »Sadat-Syndrom«. In Ägypten und den Golf-Monarchien werde nicht mehr Israel, sondern der Iran als die größere Bedrohung gesehen.

Überdies gab es Anzeichen einer wenigstens vorübergehenden Entspannung, obwohl am Freitag der vergangenen Woche der Palästinenser Alaa Abu Dhaim in einer Religionsschule in Jerusalem acht Menschen erschossen hatte. Die Hamas feierte das Attentat, übernahm jedoch nicht die Verantwortung, und der Attentäter kam nicht aus dem Gaza-Streifen, sondern aus Ost-Jerusalem. Das israelische Militär hat die Angriffe auf den Gaza-Streifen fast eingestellt, seit Freitag werden statt 50 nur noch ein oder zwei Raketen pro Tag auf Israel abgefeuert.

Die Hamas und Israel hätten »im Prinzip« einem Waffenstillstand zugestimmt, sagte der palästinen­sische Präsident Mahmoud Abbas am Montag: »Eine Vereinbarung könnte in den kommenden Tagen geschlossen werden.« Olmert bestritt jegliche Verhandlungen mit der Hamas, »direkt oder indirekt«. Ob über diskrete Kanäle doch miteinander kommuniziert wird, ägyptische Vermittler in Anspruch genommen wurden oder beide Seiten schlicht auf die Aktionen des Gegners bzw. deren Ausbleiben reagiert haben, offensichtlich ist, dass die israelische Regierung ihre nur widerwillig begonnene Offensive so schnell wie möglich beenden will, aber auch die Hamas ihre Angriffe stark reduziert hat.

Für den starken Rückgang des Raketenbeschusses könnten militärische Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Eine Reihe hochrangiger Kader der Hamas wurde getötet, nach israelischen Angaben handelte es sich um Experten, die im Iran im Umgang mit Sprengstoff und Raketen ausgebildet wurden. Dass es eine solche Verbindung mit dem Iran gibt, hat ein Militärführer der Hamas im Interview mit der Sunday Times erstmals zugegeben. 300 der »besten Köpfe« seien zur Ausbildung zu den Revolutionsgarden im Iran entsandt worden, weitere 700 würden von iranischen Instrukteuren in Syrien trainiert.

Möglicherweise hält sich die Hamas aber auch aus politischen Gründen zurück. Derzeit versucht die jemenitische Regierung, eine Einigung zwischen den Islamisten und der Fatah von Präsident Abbas zu vermitteln. Dem Yemen Observer zufolge sieht die Initiative u.a. vor, »die Situation wiederherzustellen, die in Gaza vor dem 13. Juni 2007 herrschte«, d.h. vor der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas. Folgen soll ein »Dialog« auf der Basis der 2007 zwischen beiden Parteien getroffenen Vereinbarungen. Nach einem Treffen in Mekka im Februar 2007 hatten Fatah und Hamas einige Monate lang eine Koalitionsregierung der »nationalen Einheit« gebildet. Verhandelt werden soll aber auch über vorgezogene Neuwahlen. Die Fatah hat die Initiative akzeptiert, eine Delegation der Hamas wird in dieser Woche in der jemenitischen Hauptstadt Sana’a erwartet.

Arabische Vermittlungsbemühungen könnten es der Hamas erleichtern, sich im Dienste der »nationalen Einheit« für einen Rückzug im Gaza-Streifen zu entscheiden. Die Islamisten haben als herrschende Partei versagt und an Popularität verloren. Eine Einigung mit der Fatah würde ihnen diplomatische Anerkennung zumindest in der arabischen und islamischen Welt verschaffen, auch in der EU dürfte ein solcher Schritt als Zeichen der Mäßigung gewertet werden, den es zu honorieren gilt.

Der Verzicht auf die Herrschaft über Gaza wäre nicht mit einem grundsätzlichen Verzicht auf Gewalt und das Ziel, Israel zu vernichten, verbunden. Allerdings müsste die Hamas sich zu einem informellen Waffenstillstand bereit finden. Die israelischen Geheimdienste glauben jedoch, dass in der Hamas derzeit die mit dem Iran verbündete jihadistische Fraktion dominiert. Sie hat an einer Einigung kein Interesse, könnte aber durch die jüngste israelische Offensive geschwächt worden sein.

Die israelische Regierung könnte nun versuchen, wie es im Editorial der Ha’aretz vom Dienstag gefordert wird, die Verhandlungen mit Abbas beschleunigt weiterzuführen. Eine Einigung, die eine palästinensische Staatsgründung in greifbare Nähe rücken lässt, könnte die Fatah stärken. Dies scheint auch das Ziel der US-Regierung zu sein. Die israelische Entscheidung, Siedlungen in Ostjerusalem und der Westbank um mehrere hundert neue Häuser zu erweitern, sei »nicht hilfreich«, sagte Sean McCormack, Sprecher des US-Außenministeriums, am Montag. Die Kritik soll es offenbar Abbas erleichtern, die Verhandlungen, die er wegen der israelischen Offensive im Gaza-Streifen unterbrochen hatte, bald wieder aufzunehmen.

Nach Außenministerin Condoleezza Rice soll Ende dieser Woche Vizepräsident Dick Cheney mit israelischen und palästinensischen Politikern sprechen. Ihn werden seine israelischen Gesprächs­partner möglicherweise drängen, mit Syrien zu verhandeln. Dies könnte, so die Einschätzung der israelischen Geheimdienste, Assad ermutigen, die Unterstützung terroristischer Gruppen zu beenden. Ob Assad tatsächlich vom »Ghaddafi-Syndrom« befallen wird und sich nach dem Vorbild des libyschen Diktators entscheidet, im Austausch für die Anerkennung seiner Herrschaft eine Annäherung an den Westen zu suchen, ist fraglich.

Sollte er es tatsächlich tun, würde das zum Bruch mit dem Iran führen, dessen Regime wahrscheinlich seinen Einfluss auf die Hamas und die libanesische Hizbollah nutzen würde, um durch eine Eskalation jede Entspannung zu verhindern. Beide Organisationen vertreten jedoch auch eigene machtpolitische Interessen, es ist unklar, wie weit sie den Ayatollahs folgen würden.

Neben der Hamas gibt es in den palästinensischen Gebieten allerdings auch noch weitere extremistische Gruppen, die Friedensverhandlungen verhindern wollen. Eine von ihnen oder ein Ableger der Hizbollah ist wahrscheinlich verantwortlich für das Attentat in Ostjerusalem. Die israelische Regierung kann die öffentliche Empörung nach einem Anschlag verkraften, ohne militärisch reagieren zu müssen, nicht aber eine Rückkehr zu der Situation in den ersten Jahren der al-Aqsa-Intifada, als es fast wöchentlich Selbstmord­anschläge gab.

Dies ist eines der zentralen Probleme bei den Friedensverhandlungen. Die in der Road Map geforderte Zerschlagung der Terrornetzwerke wird nicht vollständig gelingen. Der Terror ist nicht allein eine Folge der ideologischen Fanatisierung, die Warlordisierung in den palästinensischen Gebieten hat zur Entstehung einer Kriegsökonomie geführt, deren Profiteure, die sich auch in den Reihen der Fatah finden, den Status quo erhalten wollen.

Die westliche Unterstützung für die palästinensische Autonomiebehörde bestand bisher vornehmlich in der Stärkung dieser Strukturen, teils indirekt durch europäische Zahlungen in Milliardenhöhe, die vornehmlich an Milizenführer weitergereicht wurden, teils direkt, wie bei der US-Hilfe für Mohammed Dahlan, einen Warlord der Fatah. Diese Politik hat auch die Hamas gestärkt, die sich als Alternative zur korrupten, vom Westen finanzierten Fatah darstellen konnte. Die palästinensische Bevölkerung hingegen hat kaum von der ausländischen Hilfe profitiert.

Die häufigen martialischen Demonstrationen in den palästinensischen Gebieten erwecken den Eindruck weit verbreiteter Politisierung, doch die dominierende Stimmung scheint eher apathisch und desillusioniert zu sein. Wer nicht in das Klientelnetz eingebunden ist, erwartet wenig von den großen Parteien. Die Hoffnung auf eine »Friedensdividende« könnte ein entscheidender Faktor für den Verhandlungsprozess werden, doch trotz der Niederlage in Gaza haben sich in der Fatah die Reformer nicht durchsetzen können, und derzeit gibt es keine Alternative zu den dominierenden Parteien und Milizen.

Dennoch gibt es einige Gründe für Optimismus. Immerhin gibt es mit Abbas einen Verhandlungspartner, der tatsächlich an einem Friedensvertrag interessiert ist. Die Hamas wird ein Hindernis bei den Verhandlungen bleiben, doch sie hat ihre Unfähigkeit zu regieren bewiesen. Die Islamisten wollen nicht zuletzt deshalb eine Eskalation provozieren, weil sie befürchten, es könne doch noch zu einem Friedensschluss kommen.