2.0-Visionen

Wie wird man in Zukunft Filme machen und konsumieren? Medientheoretiker und Trendsetter aus der Filmbranche sind sich einig: Alles wird sich um das Internet drehen. von elke wittich

»Film wird zu einer Erfahrung, an der das Publikum kollaborativ teilnehmen kann.« Im »Film 2.0« sehen der Wirtschaftsautor Don Tapscott und der IT-Unternehmer Ton Roosendaal die Zukunft des Kinos. Ihre Visionen präsentierten die beiden vor einigen Wochen auf den Berlinale-Keynotes, einer Veranstaltung am Rande der Ber­linale über Zukunftstrends in der Filmindustrie.

Irgendwie vollkommen anders werde alles werden, erklärten sie, mit Community- und Web­ein­bindung, interaktiv, handykompatibel und animiert, auf Computerspielen basierend, frei und durch das Web vertrieben.

Als Musterbeispiel für die Möglichkeiten, die »Film 2.0« biete, wurde immer wieder die GPL lizenzierte, also freie Software Blender benannt, mit der Nutzer 3D-Grafiken erstellen und animieren können. Dass es so viel um Blender ging, lag allerdings weniger an ihrem innovativen Charakter, sondern eher daran, dass die Soft­ware Ton Roosendaal gehört, einem der beiden Vortragenden, der für sein eigenes Produkt nicht nur aus purer Gutherzigkeit warb. Die Software ist zwar kostenfrei, die Blender Foundation verdient trotzdem eine Menge Geld, indem sie beispielsweise teure Workshops für Nutzer veranstaltet.

Zieht man die vielen Buzzwörter ab, die sich im Vortrag der beiden Trendsetter sammelten, bleibt die Krise der Filmindustrie. Diese hängt auch, aber nicht nur mit downloadfreudigen Internetusern zusammen. Und sie ist ganz anders gelagert als die Krise der Musikindustrie, die man mittlerweile mit legalen Downloads in den Griff zu bekommen sucht.

Einen Song herunterzuladen geht schnell, und viel Platz war dafür auf dem Rechner auch nicht nötig. Entsprechend werden nicht nur die Stücke, die man kannte und gern haben will, gedownloadet, sondern eben auch Songs, deren Titel interessant klingen.

Einen Film, und noch dazu einen neuen Film, muss man erst einmal finden, und um ihn herunterzuladen, braucht es schon mehr Ahnung und vor allem viel mehr Platz auf dem Rechner, Bandbreite, Zeit, geeignete Programme und einen DVD-Brenner, mit anderen Worten: mehr Vorsatz.

Illegale Filmkopien hat es allerdings auch schon immer gegeben, denn vor allem europäische Filmfans wollen oft nicht warten, bis das neueste Werk eines Regie- oder Filmstars endlich in den Kinos ankommt. Auf Flohmärkten findet man manchmal noch Videokassetten aus den Achtzigern mit 1a-Raubkopien, und hin und wieder handelt es sich dabei sogar um direkt von der Leinwand abgefilmte Streifen, inklusive Gesprächsfetzen aus dem Publikum.

Schon damals wurden Raubkopierern empfindliche Strafen angedroht, genutzt hat es erkennbar nichts. Im Gegenteil, notfalls wurden die Sicherheitshologramme, die Originalkassetten auszeichnen sollten, gleich mitkopiert, ein wirkliches Unrechtsbewusstsein hatte dabei kaum jemand, denn einen Film zu besitzen bedeutete ja nicht, dass man ihn sich nicht trotzdem noch im Kino ansieht.

Dass Kino mittlerweile out ist, liegt allerdings nicht an den Downloads, sondern an der besseren Technik. Größere Fernseher und hochwertige Speichermedien schafften erst die Grundvoraussetzungen dafür, dass illegale Kopien zu attraktiven, bequemen Alternativen zum Kinobesuch wurden.

Während die Musikindustrie ihre Krise teilweise damit löste, dass Bands nun nicht mehr hauptsächlich von den durch den Tonträgerverkauf erzielten Einnahmen leben, sondern eben auf Tour gehen und die Eintrittskartenpreise entsprechend hoch ansetzen, setzt die Filmindustrie dagegen auf eine Abkehr vom Live-Act.

Versuche, Kino zum Erlebnisevent zu machen, hatte es in den vergangenen Jahrzehnten dabei immer wieder gegeben, und alle waren sie an der Limitierung dessen, was man in einem Film­theater tun kann, gescheitert: Während man einen Film anschaut, kann man zusätzlich einfach nicht viel mehr tun als Snacks knabbern, Getränke konsumieren und dasitzen. Hatte man zunächst noch versucht, ungeduldige Downloader durch weltweit gleichzeitige Film-Starttermine von ihrem Tun abzuhalten, musste man rasch fest­stellen, dass die Besucherzahlen trotzdem nicht stiegen. Was, jedenfalls in Deutschland, daran liegen könnte, dass Kinobesuche vielen Menschen einfach zu teuer geworden sind – zu zweit kommt man leicht auf Gesamtkosten von rund 30 Euro.

Und so setzt die Filmindustrie zunehmend auf das DVD-Geschäft. Nur wenige Wochen nach dem Kinostart sind die Filme in den großen Elektronik-Ketten oder bei Anbietern wie Amazon erhältlich. Oft liebevoll aufgemacht und mit Zusatzangeboten wie Making ofs, Untertiteln in verschiedenen Sprachen und Interviews versehen, kosten die digitalen Scheiben häufig weniger als eine Kinokarte.

Das allein reicht jedoch nicht, wie der Regisseur George Lucas im Sommer 2005 bereits prognostizierte: »Das Internet und die digitale Distribution werden Hollywood dazu zwingen, sich auf kleinere Projekte zu konzentrieren und verstärkt darüber nachzudenken, wie die Ware Film online verkauft werden kann. (…) Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass Kreative bezahlt werden müssen, da sie sonst nicht kreativ sein können (…).«

Lucas prognostizierte einen »dramatischen Paradigmenwechsel«, da die profitablen Bereiche des Geschäfts nunmehr das Fernsehen und DVD seien, »der Wechsel vom Leinwand-Epos hin zu TV und mobiler Kommunikation ist auch als ästhetischer Wandel sehr inspirierend«.

Mittlerweile dürfte sich allerdings auch Lucas’ Einstellung geändert haben. Denn als er seine damals viel beachtete Einschätzungen traf, befand sich die Filmbranche zwar auch schon in der Krise, gleichzeitig fand die Unterhaltungs-Revolution im Fernsehen statt. Der amerikanische Pay TV-Sender HBO brachte mit Produktionen wie »Sopra­nos« und »Wired« auf den Markt, die mit der billig abgedrehten Dutzendware nur noch die Formate gemein hatten und mittlerweile zu Serien-Klassikern gewordenen sind. Autoren wie Schauspieler arbeiteten gerne für die Serien, in denen Charaktere und Handlungen viel mehr Entwicklungsmöglichkeiten boten als in den auf rund zwei Stunden Spielzeit begrenzten Filmen.

HBO geriet allerdings zwischendurch in eine veritable Krise, von der sich das Unternehmen erst jetzt langsam wieder erholt. Das Programm der meisten deutschen Fernsehsender ist allerdings so schlecht wie eh und je – die erfolgreichen HBO-Produktionen schaffen es nur ganz selten auf die deutschen Bildschirme, auf denen nach wie vor tumbe Soaps dominieren.

Mit »Film 2.0« haben TV-Produktionen allerdings sowieso wenig zu tun, auch wenn die klassischen Filmunternehmen verstärkt fürs TV arbeiten.

»Film 2.0« soll die neuen Medien einbinden, und so sehen Tapscott und Roosendaal, wie schon 2005 George Lucas, mobile Kommunikations­medien als wichtigen Bestandteil. In einem Wort: Handys. Die Idee, der Generation, die ihre Mobiltelefone vom Klingelton bis zum Logo mit allem erdenklichen Schnickschnack personalisiert, Filme zu verkaufen, ist allerdings nicht ganz neu. Schon vor rund zwei Jahren startete in Deutschland die erste Handy-Soap, deren Produzenten Großes vorhatten: Bekannte Schauspieler sollten in der Foto-Fortsetzungsgeschichte unter dem Titel »Mittendrin – Berlin rockt!« mitwirken, in mehr als 2 500 Bildern sollte »das turbulente Leben der jungen Menschen in Berlin erzählt werden, inklusive »Liebe und Herzschmerz, Erfolg und Misserfolg, Freundschaften und Intrigen«. Kaum wurde das Projekt medienwirksam angekündigt, erklärten auch schon erste Fernsehsender, mit den Arbeiten an eigenen Handy-Soaps zu beginnen. Und dann war der tolle Boom auch schon wieder zu Ende, die Anbieter sind mittlerweile pleite oder haben ihre Geschäftstätigkeiten verlagert, Domains wie mittendrin.tv sind abgeschaltet.

Die superschicken neuen Kommunikationsmedien haben nämlich einen großen Nachteil, viel zu kleine Bildschirme. Was zum Lesen von E-Mails oder auch Anschauen von Youtube-Filmchen gerade reicht, ist für das Anschauen hochauflösender Bilder komplett ungeeignet – das Wesen des Handys besteht aber nun einmal darin, dass es ein kleines Telefon und kein Laptop ist.

Und auch eine weitere große Film 2.0-Idee dürfte sich als heiße Luft entpuppen: Verfilmungen von Computerspielen. Möglicherweise möchte jemand, der sein Leben mit »World of Warcraft« verbringt, wirklich gern, dass sein Lieblingsspiel eines Tages von Schauspielern nachgespielt wird. Eine Garantie, dass sich so jemand dann hinter seinem Rechner hervorquält und ins Kino aufmacht, gibt es allerdings nicht. Vielleicht kauft er sich die DVD, vielleicht lädt er sich den Streifen irgendwo illegal herunter, vielleicht interessiert ihn das alles aber auch überhaupt nicht.

Beim ganzen 2.0-Geblubber blieb eine interessante Idee übrigens vollkommen unerwähnt: einfach bessere Filme machen.