Boykottieren geht über Diskutieren

Israelische Literatur war der Schwerpunkt der diesjährigen Pariser Buchmesse. Arabische Intellektuelle reagierten beleidigt und riefen zum Boykott auf. Aber auch israelische Schriftsteller blieben der Messe fern. Von Bernhard Schmid

Man konnte sich glatt ein bisschen wie in Israel fühlen: ständige Taschenkontrollen, allgegenwärtige Security, ­Metalldetektoren. Derart stren­ge Sicherheitsvorkehrungen herrschten auf dem Pariser Buchsalon, nachdem es Proteste, Boykottaufrufe und sogar eine Bom­bendrohung gegen die Messe gegeben hatte, die in diesem Jahr Israel als Gastland geladen hatte. Zu Protesten und Boykott hatten die Islamische Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (ISESCO) und die Union palästinensischer Schriftsteller aufgerufen. In der Gemenge­lage der Debatte ging dann ein bisschen unter, dass es ein israelischer Autor war, der als erster eine scharfe Kritik an der Einladung Israels formuliert und sie mit einem Boykottaufruf ver­bun­­den hatte. Aharon Shabtai hatte seine Teilnahme rundweg mit den Worten abgelehnt, er werde sich nicht an einer »Propagandaveranstaltung« der israelischen Regierung beteiligen.

Umgekehrt fand der Boykottaufruf unter den Autoren und Verlegern aus den arabischen Ländern sowie den in Frankreich lebenden Einwanderergruppen aus der Region nicht nur Unterstützer. Dabei mischten sich pragmatisch-taktische Erwägungen – entweder bedauerte man die Verkaufseinbußen, oder aber man beklagte, dass man den eigenen Standpunkt durch eine »Politik des leeren Stuhls« nicht Erfolg versprechend vertreten könne – und inhaltliche Mo­tive. Nicht zuletzt mochten viele derer, die selbst zumindest die konkrete Politik Israels gegen­über den Palästinensern ablehnen, ohne aber das Existenzrecht infrage zu stellen, nicht mit den militanten Eiferern in Verbindung gebracht werden.

Letztgenannte meldeten sich ebenfalls an der Pariser Porte de Versailles zu Wort, in Gestalt einer Demonstration am vorletzten Samstagnachmittag, zu der die Gruppierung »Convergence des causes« (etwa: gemeinsame Kampfgründe finden, gemeinsame Sache machen) auf­gerufen hatte. Bei der Gruppierung handelt es sich um eine im 18. Pariser Bezirk ansässige Kleingruppe, die zwar bisweilen auch linke oder rebellische Rhetorik benutzt, um ein Publikum vor allem unter Einwandererkindern anzuziehen – aber dahinter ein islamistisches Profil eher verbirgt denn klar zum Ausdruck bringt. Aber man findet auf ihrer Homepage an prominenter Stelle auch die Fotos der beiden langjährigen Chefs des Fis – der Islamischen Ret­tungsfront – in Algerien, Abassadi Madani und Ali Belhadj, aufgenommen in der Blütezeit der radikalen Islamistenpartei vor etwa 15 Jahren. Ihre Demonstration zog jedoch nur ein paar hundert Menschen an. Im Aufruf hieß es: »Israel verletzt die Menschenrechte, weil es Gott nicht respektiert.« In Algerien ist man jedoch heute mehrheitlich ziemlich schlecht auf den Fis zu sprechen; aus diesem Grund dürften viele Nordafrikaner solcherlei Aufrufen zum Protest auch eher skeptisch gegenüber gestanden haben.

Seitens derer, die eher pragmatisch motivierte Einwände gegen die Boykottaufrufe vorbrachten, berief man sich in der Regel auf die notwendige Trennung zwischen Literatur und Politik. So erklärte die libanesische Dichterin Hyam Yared, die auf der diesjährigen Pariser Buch­messe einen Literaturpreis für ihren ersten Roman (»L’Armoire des Ombres«) entgegen nahm und trotz Boykottforderungen anreiste: »Ich verstehe, dass eine Regierung zum Boykott aufruft, aber ich bin Schriftstellerin. Man muss die Literatur von der Politik lösen, auch wenn es eine heikle Übung ist. Die Literatur kann nicht für die Geschichte verantwortlich sein. Allenfalls kann sie Zeugnis von ihr ablegen.« Dadurch versuchte sie die Polemik zu entschärfen. Mit klaren Worten vertrat der französisch-marokka­nische Starautor Tahar Ben Jal­loun eine in der Sache ähnliche Position: Er nannte es einen »Krieg gegen die Kultur«, wenn Bücher und ihre Autoren für die Politik einer Regierung verantwortlich gemacht und deshalb boykottiert würden.

Der palästinensische linksnationalistische Intellektuelle Elias Sanbar, einer der prominentesten Akademiker der palästinensischen Di­aspora und zugleich Repräsentant der Autonomiebehörde bei der Unesco in Paris, erklärte zwar sein »Unverständnis« gegenüber dem Ruf nach Boykott: » Ich verstehe nicht, wie man Schriftsteller boykottieren kann. Wenn man ein Werk schätzt oder nicht schätzt, dann fragt man nicht nach dem Pass seines Autors.« Er fügte dann jedoch hinzu, dass er es »bedauere«, dass israelische Schriftsteller sich für eine nationale Propagandashow hätten einspannen lassen, da die israelische Botschaft in Paris selbst die eingeladenen Autoren – 40 an der Zahl – ausgewählt habe und da das Schicksal der Palästinenser auf der Buchmesse offiziell nicht thematisiert werden sollte. »Ich bedauere umso mehr, dass sich Friedensaktivisten wie David Grossmann, den ich sehr gut kenne, für diese Propaganda haben einspannen lassen.« Ein Anwurf gegen Grossmann, der einen schalen Beigeschmack hat, wenn man weiß, dass der für den israelisch-palästinensischen Dialog engagierte Autor im Sommer 2006, zwei Tage nachdem er das Ende der Kämpfe im Libanon gefordert hatte, seinen Sohn bei einem Raketen­angriff der Hisbollah verloren hat. An seinem Engagement für den Frieden mit den Palästinen­sern hat dies nichts geändert. Ausgerechnet Grossmann die politisch-intellektuelle Unabhän­gigkeit absprechen zu wollen, verfängt also nicht.

Der ägyptische Erfolgsautor Alaa al-Aswani, der seinen Roman »Chicago« auf der Buchmesse vorstellte und in Frankreich von einem größeren Verlag, Actes Sud, publiziert wird, kündigte an, nach Paris zu kommen, um dort »Fotos von libanesischen und palästinensischen Kindern, die zu Opfern der israelischen Armee wurden, verteilen« zu können.

Auf israelischer sowie französisch-jüdischer Seite gab es ebenfalls inhaltliche Debatten, bevor die Bücherausstellung eröffnet wurde. Eine Minderheit von oppositionellen Israelis forderte ihrerseits die französische Öffentlichkeit zum Boykott auf. Der Feuilletonchef der israelischen Tageszeitung Haaretz, Benny Ziffer, beispielsweise kritisierte die Präsenz Israels als Ehrengast beim Salon du Livre harsch und rief mit den Worten zum Boykott auf, es sei »unanständig, dass israelische Schriftsteller nach Paris kommen und dort Ehren empfangen, während paläs­tinensische Mütter an Checkpoints frieren und blockiert bleiben«. Nicht zum Boykott rief etwa die linksalternative bis linksradikale »Franzö­sische jüdische Union für den Frieden« (UJFP) auf, die zur Buchmesse ging, dort aber die inhaltliche Auseinandersetzung unter Einschluss von Arabern und Juden über die Frage eines zukünftigen Zusammenlebens organisierte. Zusammen mit dem linken Verlag La Fabrique, der zahlreiche oppositionelle oder pazifistische israelische Autoren in Frankreich publiziert, orga­nisierte die UJFP drei Debatten auf der Buchmesse.

Zum Stein des Anstoßes bei den Kritikern – jedenfalls jenen, die nicht gegen die pure Existenz eines »Gott ungefälligen« Israel sind – wur­de, neben der Auswahl von Autoren durch die israelische Botschaft, dass nur solche Schriftsteller eingeladen wurden, die auf Hebräisch publizieren. Unter ihnen auch der arabischstäm­mige Israeli Sayed Kashua. Dabei besteht in Israel selbst längst ein Sprachmosaik, viele Bürger des Staats schreiben auf Arabisch oder auch Russisch oder Polnisch. Daran machte etwa auch die UJFP ihre Kritik an der offiziellen Konzep­tion fest, und die Vereinigung verwies zudem auf die »Diskriminierung arabischstämmiger Bürger Israels«, deren Armutsquote mit 50 Prozent ungleich höher sei als die anderer Israelis. Die Liga für Menschenrechte (LDH) – eine traditionsreiche französische Vereinigung, die während der Dreyfus-Affäre vor 100 Jahren entstanden ist – forderte kurz vor der Buchmesse, im Namen der Chancen für ein künftiges Zusam­men­leben doch noch arabischsprachige israe­lische sowie palästinensische Schriftsteller zusätzlich einzuladen. Hingegen wollte der französisch-israelische Verleger Michael Valensi den Einwand hinsichtlich der Sprache nicht gelten lassen: »Ich bin nicht sicher, ob die Präsenz von Autoren, die auf Arabisch oder Französisch schreiben, das Problem gelöst hätte. Der Hintergedanke derer, die zum Boykott aufrufen, ist, dass sie ohnehin Israels Existenz ablehnen.« Der Romanschriftsteller Yoshua Kenaz verwies seinerseits darauf, dass auch die französische Republik eine offizielle Nationalsprache habe und diese – zu Lasten von Regionalsprachen wie etwa Bretonisch – in jeder Hinsicht privilegiere.

Jene israelischen Autoren, die offiziell zum Salon du Livre eingeladen worden war, gehören ihrerseits zum Teil selbst dem »Friedenslager« in Israel an, das offensiv für ein künftiges Zusammenleben mit den Arabern – etwa im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung – wirbt. Unter ihnen waren Amos Oz, David Grossmann und Avraham Burg mit einer offiziellen Einladung in der Tasche nach Paris gereist. Ihre Teilnahme wurde durch die Kritiker und Gegner des Boykottaufrufs oft als wichtiges Argument zitiert. So bezeichnete die auf Dritte-Welt-Themen spezialisierte Zeitschrift Jeune Afrique, die in Paris erscheint, den Boykott unter Verweis auf die An­wesenheit dieser Autoren als absurd, auch wenn die Schriftstellerin Fawzia Zouari in einem nebenstehenden Gastkommentar eine gegenläufige Position vertreten durfte.