Braucht Bayern die CSU noch?

Es geht um die Weißwurst

Der Transrapid fährt nicht, die Landesbank hat Milliardenschulden: Die CSU befindet sich in der Krise. Braucht Bayern die Partei überhaupt noch, oder gelingt Günther Beckstein die etatistisch-konservative Wende?

Im trübsten Münchner Norden sitzen wir in einer Gastwirtschaft mit zünftig-bajuwarischem Namen, nennen wir sie »Zum zünftigen Günther«. Kein Aschenbecher ist in Sicht. Der griechische Wirt stellt uns zwei leere Schnapsgläser hin. »Neuer Trick«, sagt er uns zwinkernd, »ein Raucherstamperl«. Später setzt er sich auf einige Whiskey-Cola zu uns. Er habe bisher keine Probleme gehabt mit den Kontrollen, die dazu dienten, das Rauchverbot durchzusetzen. Aber die anderen griechischen Wirte in den Nachbarkneipen mit Namen wie »Mykonos« oder »Delphi« schon. Warum? Mitleidig schaut er mich, den von Bayern nach Berlin Geflohenen, an und sagt: »Das ist hier ein deutsches Lokal.«
Das war im Februar. Einige Wochen später liest man dann schwarz auf weiß: In der Edelproll-Disco P1 schert sich das zahlungskräftige Publikum einen Dreck ums Rauchverbot. Die Münchner Regeln waren für Weggezogene und Zugereiste schon immer etwas schwer zu verstehen. Während die Schickeria sich ausgiebig die Nase puderte, galt als schwerkriminell, wer sich in der Öffentlichkeit auch nur den kleinsten Joint anzündete.

Nun aber, nach der Kommunalwahl im März, die für die CSU nicht wie gewünscht ausging, geschehen für Außenstehende noch erstaunlichere Dinge. Wie gut informierte Kreise berichten, werden selbst CSU-Ortsvereine renitent und verwandeln ihre Versammlungsgaststätten kurzerhand in höchstens halblegale Raucherclubs. Große Teile des christsozialen Fußvolks weigerten sich in der Landeshauptstadt vor dem offiziellen Scheitern des Transrapid-Projekts, die Plakate zu kleben, auf denen für die Schwebebahn geworben wurde. Man darf wohl von »Unruhe an der Basis« sprechen, wie es im Politikerdeutsch heißt.
Die CSU ist in der Krise – neu ist das eigentlich nicht. Noch jede Personalveränderung an der Spitze der Partei hat für Unruhe gesorgt. Die CSU ist ja vor allem eine Karrieremaschine für Leute, die, auch wenn sie das Gegenteil beteuern, letztlich keine Werte haben, sondern einfach nach oben wollen. So schließt man sich in Bayern, gerade wenn man wie der Parteivorsitzende und derzeitige Finanzminister Erwin Huber aus der Unterschicht stammt, der CSU an. Als Stoiber ging und Beckstein und Huber kamen, begann das Hauen und Stechen um die Posten. Weniger Stimmen bedeuten weniger zu verteilende Beute – um diese, nicht um irgendwelche Inhalte, geht es in den nun landauf, landab einberufenen Parteikonklaven und Krisensitzungen.
Beunruhigen muss die Funktionäre die von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung aufgestellte These, das Land Bayern habe sich von der CSU emanzipiert, es brauche sie nicht mehr. Und tatsächlich mag da ja was dran sein, wenn sogar ein schwuler, evangelischer, 23jähriger Sozi Bürgermeister der Gemeinde Bodenmais im Bayerischen Wald werden kann.

Jahrzehntelang galt es als sicher, dass der CSU Konkurrenz nur von rechts gemacht werden könne. Der kurzfristige Erfolg der Republikaner, ursprünglich nichts anderes als eine deutschnationale Abspaltung der CSU, schien das zu belegen. Derzeit sammeln sich die verdrossenen Bürger bei den Freien Wählern, auch die Grünen profitieren. Nur die SPD zeigt einem immer noch das nette, aber irgendwie doch reichlich depressive Gesicht ihres Fraktionsvorsitzenden Franz Maget. Sollte ein Bündnis dieser drei Parteien tatsächlich einmal die Mehrheit auf Landesebene bekommen, dann müsste es sich bei Edmund Stoiber bedanken. Er hat im Wahn vom schuldenfreien, schlanken Staat der CSU die Grundlage ihres Erfolgs genommen. Er zerschlug die seit den Zeiten des Grafen Montgelas, des großen bayerischen Staatsreformers, bestens funktionierende Verwaltung. Und wenn der Staat, der die Geschenke verteilt, sich zurückzieht, dann braucht man auch keine Staatspartei mehr.

Erst so kann man begreifen, was Ministerpräsident Günther Beckstein eigentlich in den vergangenen Wochen angetrieben hat. »Ist ein neuer Typ Politiker vorstellbar, der es zu seiner Botschaft macht, mit den elenden Showritualen zu brechen?«, fragte Vanity Fair kürzlich den SpiegelJournalisten Dirk Kurbjuweit, der in seinem Roman »Nicht die ganze Wahrheit« die Berliner Politikerszene betrachtet. Kurbjuweit gab die Antwort: »Der wäre sofort erledigt. Wir würden sagen: Aha, das ist jetzt ein Trick, mit dem du gewählt werden willst. Die neue Pose ist, keine Pose mehr zu haben. In Wahrheit bist du aber genauso.« Beckstein allerdings erschien nach den gescheiterten Verhandlungen zur Schwebebahn und bei der scheinbar unbeabsichtigten Brüskierung Hubers in der Landesbankaffäre so hilf- und machtlos, so naiv, ja so fast schon grundsympathisch, dass doch die Frage im Raum stand, was nun eigentlich Pose bei Beckstein ist und was nicht.
Ist er nicht letztlich froh, dass sich Bayern den Transrapid und die damit verbundenen überhöhten Ausgaben von mehreren Milliarden Euro gerade noch erspart hat? Und war es nicht eine großartige Gelegenheit, Huber, den Repräsentanten des Wirtschaftsflügels, der als Finanzminister und stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der bayerischen Landesbank mit anderen für die Spekulationen auf den Cayman-Inseln verantwortlich war, vor aller Öffentlichkeit als Vernichter von Steuergeldern bloßzustellen, als neoliberalen Unhold? Nachdem Beckstein Huber abgewatscht hatte, konnte er hämisch verkünden: »Aus meiner Sicht funktioniert das Tandem Beckstein-Huber gut.« Dieser darf noch eine Weile mitstrampeln, als Lenker und Denker ist seine Zeit vorüber. Man darf spekulieren, zu welchem Unternehmen er demnächst wechseln wird.
Behaupten wir mal, Beckstein wolle zurück. Er will dem Volk wieder geben, was das Volk will: Rauch zum Bier, funktionierende Staatsleistungen in Behörden und Schulen, Sicherheit – was immer das sein mag – und das gehörige Maß rechtspopulistischer Polemik. Dass hoch bezahlte Vorstandschefs innerhalb von sechs Monaten frühere Kostenkalkulationen völlig über den Haufen werfen, habe ihn nämlich schwer enttäuscht, gab er zu Protokoll. Dabei verschwieg der Ministerpräsident natürlich, dass die Vertreter der Unternehmen nur ihre Arbeit getan haben, nämlich einen Auftrag sicherzustellen. Die Aufgabe des Kunden, also der bayerischen Regierung, wäre es gewesen, den Anbieter vertraglich so an sein ursprüngliches Angebot zu binden, dass er es einhalten muss. Oder man bewertet die Kalkulationen eben als Teil der Rhetorik des Verkäufers.
Wenn man davon ausgeht, dass Beckstein weiß, was er tut, dann kann man ihn sogar als Glücksfall für die CSU bezeichnen, nämlich als Vorreiter einer etatistisch-konservativen Wende. Um bundespolitisch auf sich aufmerksam zu machen, musste Stoiber es der SPD unter Gerhard Schröder gleichtun, öffentliches Eigentum verscherbeln und das flache Land in eine schlimmere soziale Einöde verwandeln, als es zuvor schon gewesen war. Beckstein hat keine Ambitionen mehr, ein politisches Amt in Berlin zu übernehmen. Problemlos kann er eine gemäßigt neoliberale CSU mit einer verschärften Innen- und Migrationspolitik gegen die Konkurrenz von Rechts absichern: Im Hinterzimmer des Gasthauses »Zum zünftigen Günther« wird die Antiraucherpolizei weiterhin seltener zu sehen sein, als in den Lokalen mit griechischen Namen.