Popfeminismus als Kritik der Popkultur

Bewegung vortäuschen

Der Popfeminismus kann gar keine Nische bedienen, denn Pop ist längst keine Nische mehr. Popfeminismus ist die feminis­ti­sche Antwort auf die Popkultur und deren Kritik.

»Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse« – dieser so berühmte wie eselige Satz aus einer Werbung für Tampons gilt so ähnlich auch für die Geschich­te des Popfeminismus. Nur ist das Paradoxe daran, dass letztere noch nicht einmal geschrieben, geschweige denn in irgendeiner Form kanonisiert wurde. Erstaunlich ist aber, mit welchem Eifer sich trotzdem bereits jetzt die Kritik überschlägt.
Der lachhaft klinische Fernsehspot für Tampons will das vermeintlich schlechte Image der Menstruation mit einem neuen Bild aufpolieren. Genauso wie sich diese Werbung zur Menstrua­tion verhält, verhalten sich die Kritiker zu dem neuen Konstrukt Popfeminismus. Diesem sei nur zu helfen, wenn man ihn mit klassischem Feminismus oder noch besser mit der klassischen Kapitalismuskritik aufmotzt.

Analog zum Diktum eines Popautoren, dass Ikea der Punkt sei, auf den jede Beziehung letztlich hinauslaufe, ist auch die Kapitalismuskritik der Punkt, den jede linke Kritik letztlich ansteuert. Okay, gebongt! Kapitalismus abschaffen, Pop abschaffen, Diskussion zu Ende. Oder? Dem möchte ich mit Bartleby entgegnen: »I would prefer not to.«
Die Popautorin Mercedes Bunz offenbarte bei einem Symposion zu »Pop und Überleben« in der Zürcher Shedhalle im vergangenen Jahr ihren Glaubensgrundsatz: »Wir werden alle im Kapitalismus sterben.« Dieses gewissenhaft heruntergebetete Mantra besitzt war zweifelsohne Gültigkeit, doch muss man diesen Defätismus ausdrücklich zurückweisen.
Allein, mit der Proklamation des Willens, die bestehenden Verhältnisse abschaffen zu wollen, ist nichts gewonnen. Man sollte zumindest benennen können, an welchen Stellen und auf welche Weise die kapitalistischen Verhältnisse wirken, wenn man den Status quo unterminieren möchte. Denn was passiert denn durch die Äußerung der Intention, alles einfach abschaffen zu wollen? Und was soll denn nach der Abschaffung kommen? Eine wie von Zauberhand geschaffene hierarchiefreie Gesellschaft? Come on! Und ist es nicht elitär, Populärkultur abschaffen zu wollen? Was käme stattdessen? Hochkultur? Volks­kunst? Womit sollen die »Uncoolen und Überarbeiteten« befreit werden, wenn nicht durch einen popkulturellen Basisansatz? Durch klassische Agitation? Gewiss ein romantischer Gedanke.
Man muss sich nicht der latent konsumistischen Begehrenslogik einer amerikanischen Third-Waverin rückhaltlos anheimgeben, die in einem Internetforum ironisch äußerte: »We’re pop culture babies! We want some pleasure with our critique!« Aber es ist eine Tatsache, dass diejenigen, die seit den siebziger Jahren mit Feminismus sozialisiert wurden, das Begehren für die oder an der Popkultur auf keinen Fall gegen eine weitgehende Freudlosigkeit eintauschen möchten.
Die Überlegung, die sich hieran anschließt, ist logischerweise nicht, wie feministische Prinzi­pien ins hegemoniale Feld Pop zu zwängen seien, sondern wie man Pop für feministische Zwecke urbar macht. Denn nicht die Frage, »warum sollte sich Feminismus vom Pop aus bestimmen?«, die Raether/Stakemeier in ihrem Artikel (Jungle World 14/08) zum Knackpunkt der Popfeminismus-Diskussion erhoben haben, ist der richtige point de départ, sondern genau das Gegenteil. Wenn der bis jetzt völlig unterkomplexe und untertheoretisierte Begriff Popfeminismus überhaupt zu etwas nützlich sein kann, dann zu einer feministischen Kritik der Popkultur.

Dass diese nötig ist, wird angesichts zementierter binärer Geschlechtercodes im Pop wohl niemand verneinen. Eigentlich ist diese Tatsache schon hinlänglich bekannt, doch gibt es hierzulande noch nichts, was den Publikationen des amerikanischen, pluralistischen Third Wave Feminism ähnelt. Selbst das durchaus streitbare, in den USA sehr bekannte Bitch Magazine wurde im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert und noch weniger repliziert. Dabei sagt der Untertitel des Magazins doch fast schon alles: »A feminist response to pop culture«.
Hier sieht sich Feminismus nicht als das Innen, als Erfüllungsgehilfe, sondern als Stachel im Fleische des Pop. Und sicherlich habe ich mich selbst durch die Verwendung des Terminus Popfeminis­mus schuldig gemacht. Es ist der Untertitel des von mir herausgegebenen Sammelbandes, der in der Tradition der Reader des Third-Wave-Feminis­mus steht und feministische Lebensrealitäten von popkulturell sozialisierten Frauen wiedergibt.
Doch um es noch einmal zu sagen, der Begriff impliziert bis jetzt relativ wenig an konkret ausformulierten, diskursiven oder agitatorischen Strategien. Im Gegensatz zu anglophonen Ländern, in denen bereits Enzyklopädien des Third Wave Feminism existieren, wurde im deutschsprachigen Raum noch überhaupt kein ernst zu nehmender Handlungs- oder Theoriekorpus entwickelt, und das, obwohl der Terminus Popfeminismus etwa gleichzeitig, wenn auch nicht analog zum Third-Wave-Feminismus entstand.
So ist die Untertitelung meines Buches eher einer verkürzenden, also »poppigen« Verschlag­wor­tung geschuldet, die sich an der entristischen Strategie der Riot Grrrls orientiert hat. Diese Methode, den eigenen Standpunkt zu verbreiten, hat die Band Parole Trixi so schön mit der Zeile besungen: »Tu einfach so, als wären schon an­dere da!« Im Klartext: Die Bedeutung einer Bewegung wird durch eine de facto nicht gegebene vielseitige Beteiligung vorgespiegelt, wodurch die Bewegung erst so richtig losgetreten wird.

Die Auseinandersetzungen mit der affirmativen Verwendung des Begriffs Popfeminismus zeigen, dass genau diese Strategie funktioniert hat, und zwar gerade durch die produktive kritische Distanz. Durch die Abgrenzungsversuche, die behaup­ten, der Popfeminismus sei eine die Maximen des Feminismus verwässernde Anbiederung ans System und habe keine kapitalismus­kriti­sche Dimen­sion, wird eine produktive Verortung von Kritik und damit eine etwaige Standortbestimmung des Popfeminismus überhaupt erst möglich.
Zum einen relativiert sich der Vorwurf, mit Popfeminismus werde ein Nischenprogramm bedient, von selbst, wenn man sich vor Augen führt, wie sehr alle Lebensbereiche und Klassenverhältnisse vom System Pop durchdrungen sind. Zum anderen entspricht dieser Vorwurf auch der materialistisch verabsolutierenden, »machistischen« Kritik, die glücklicherweise schon die Zweite Frauenbewegung der sechziger und siebziger Jahre nicht von der Thematisierung des lästigen »Nebenwiderspruchs« abhalten konnte.
Bei der Delegiertenkonferenz des SDS im November 1968 in Hannover diskreditierte Christian Semler die Emanzipationsbestrebungen des Weiberrats als »kleinbürgerlichen feministischen Aktionswahn« und als »endlose Selbstbespiegelung von kleinbürgerlichen Frauen«. Und ähnlich tönt es auch heute, wenn die »queere Kuschel­ecke«, wie Raether/Stakemeier schreiben, als ineffiziente und nicht bedrohliche Spielwiese des neuen Kleinbürgertums belächelt wird. Doch ausgerechnet der Feminismus funktioniert aufgrund der vehement antifeministischen Tradi­tion in Deutschland eben nicht als »Spartenprogramm«, dessen »Codes für andere Sparten gewinnbringend in Affirmation gewendet werden«. Gerade der Feminismus ist nämlich durch seine omnipräsente Stigmatisierung als »unsexy« das letzte große Kassengift im Kapitalismus.
Nun gibt es die Vermutung, dass durch die Agglutinierung des Präfixes »Pop« der Feminismus schmackhaft gemacht und eine neue Armee der Bekehrungswilligen rekrutiert werden solle. Wenn sich durch diese Form von Charade tatsächlich mehr Leute für Kritik an der Popkultur begeistern lassen, wäre das begrüßenswert. Doch eine solche Charade haben die Netzwerke nicht nötig, in denen der Feminismus in puncto Sexyness oder Glamour nicht defizitär ist. Im Gegenteil. Diese Netzwerke wollen ein eigenes Instrumentarium entwickeln, um die Lebensrea­lität, die von popkulturellen Faktoren bestimmt wird, angemessen darstellen und durchque(e)ren zu können.
Viel wichtiger als das Gerangel um Etiketten, das sich lediglich mit den unterschiedlichen ästhetischen Codes beschäftigt und damit nur die Oberfläche der Debatte bildet, ist jedoch die Gewährleistung einer Kontinuität feministischer und damit auch antikapitalistischer sowie antirassistischer Arbeit. Wie drückten es Le Tigre so schön pathetisch wie einfach aus: »We choose to move forward with an agenda bent on the free­dom of all.«