Obama, Clinton und Joe Sixpack

Joe Sixpack sieht schwarz

Sind weiße Arbeiter bereit, einen schwarzen Präsidenten zu wählen? Bedeutsamer als race scheinen bei den Vorwahlen in den USA ökonomische Fragen zu sein.

In der medialen Debatte werden sie häufig als »Nascar dads« bezeichnet: weiße, eher konservative Arbeiter, zu deren liebsten Freizeitbeschäftigungen es gehört, die Rennen der populärsten Motorsportliga Nascar anzuschauen. Meist mit einem Bier in der Hand, deshalb wird der »Nascar dad« manchmal auch Joe Sixpack genannt.
Joe Sixpack hat schon bessere Zeiten gesehen, die Löhne sinken, sofern überhaupt noch Jobs da sind, und wer ein Haus besitzt, hat nun wachsende Probleme mit der Zahlung der Raten. Mit Barack Obamas eher nebulöser Rhetorik des »Wandels« kann Joe Sixpack nichts anfangen, meinten viele Kommentatoren, nachdem Hillary Clinton mit 55 Prozent der Stimmen die Vorwahlen der Demokraten in Pennsylvania am Dienstag voriger Woche gewann. Er vertraue eher der erfahrenen, pragmatischen Clinton. Bei Grup­pen, die nicht zu Obamas Basis, der linksliberalen, gebildeten Mittelschicht und der schwarzen Wählerschaft, gehören, wirke er zu elitär und zu akademisch. Überdies seien die weißen Wähler Pennsylvanias nicht bereit für einen schwarzen Präsidenten, stellte der demokratische Gouverneur Ed Rendell angeblich wertfrei schon vor der Wahl fest.
Der südlich von New York gelegene Bundesstaat Pennsylvania gehört zu den von der Ent­in­dus­tri­ali­sie­rung betroffenen Gebieten der USA. Sicherlich spielte race eine Rolle im Wahlkampf. Pennsylvania gehört zu den Gründungsstaaten der USA und gilt traditionell als Refugium der religiösen Toleranz. Später war es vor allem die religiöse Gruppe der Quäker aus Philadelphia, die offensiv die Abschaffung der Sklaverei forderte.
Doch das liegt lange zurück, die heutigen race relations spiegeln die Verhältnisse in anderen Bundesstaaten in den ehemaligen Industrieregionen des Nordostens wider. Eine in den letzten Generationen eingewanderte schwarze Bevölkerung vor allem in der Großstadt Philadelphia lebt neben alteingesessenen weißen Arbeiter­fami­lien, deren Vorfahren sich während der Immigrationswellen aus Mittel- und Osteuropa um 1900 in den Vorstädten und den ehemaligen Stahl- und Bergbaugebieten im Westen Pennsylvanias angesiedelt hatten.

Weiße und schwarze Arbeiter in diesem relativ stark segregierten Milieu sind gleichermaßen von der Schließung der Bergwerke und der Abwanderung der Industrie betroffen, ein Phänomen, das bereits in den siebziger Jahren einsetzte. Obwohl insbesondere in Philadelphia der Rassismus in der Vergangenheit eine größere politische Rolle spielte und noch heute spielt, herrscht weniger offene Feindseligkeit in Pennsylvania, vielmehr schwankt die Stimmung zwischen Gleichgültigkeit und beiderseitigem Verständnis angesichts der übergreifenden Verarmungstendenzen. Clinton gewann gut 63 Prozent der weißen und Obama 90 Prozent der afroamerikanischen Wähler in Pennsylvania. Doch den Wählerbefragungen zufolge dominiert eine differenziertere Sicht bei den Anhängern der Demokraten, es ging vorrangig um ökonomische Probleme, und race scheint, zumindest bei den Demokraten, weniger wichtig zu sein. Das dürfte auch für andere Bundesstaaten mit einer ähnlichen Sozialstruktur gelten.
Dass die »zwei historischen Kandidaten«, eine Frau und ein Afroamerikaner insbesondere bei ihrer jeweiligen Bevölkerungsgruppe Erfolg haben, wird allerdings durch Umfragen bestätigt. Einer CBS-Befragung zufolge entschieden sich 68 Prozent der weißen Frauen für Clinton, 88 Prozent der schwarzen Frauen und 93 Prozent der schwarzen Männer wählten Obama. Nach 44 weißen Männern im Weißen Haus meinen viele Amerikaner, zumindest in dieser Hinsicht sei es Zeit für einen Wandel. Unter den weißen Männern, die für die Demokraten in Pennsylvania zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle spielen, gewann Clinton mit einem Vorsprung von sieben Prozent.
Aufschlussreicher sind die Wählerbefragungen nach ökonomischen Kriterien. Wie bei anderen Vorwahlen fand Clinton auch hier eher Unterstützung bei den Wählern aus den Mittelschichten, die zu Beginn der drohenden Rezession noch etwas zu verlieren haben. Die unter der Armutsgrenze lebenden Wähler, der CBS-Wähler­be­fra­gung zufolge acht Prozent der Teilnehmer an den Vorwahlen der Demokraten, und Angehörige der Oberschichten votierten mehrheitlich für Obama. Clinton gewann die älteren Wähler, Obama die jüngeren. Diese Trends sind tendenziell unabhängig von race und waren auch bei den meisten bisherigen Vorwahlen festzustellen.

Da sich die Kandidaten bei den sozialen Themen inhaltlich wenig voneinander unterscheiden, scheint hier tatsächlich der politische Stil wichtig zu sein. Im Wahlkampf spielt Clinton zunehmend die Rolle der harten, durchsetzungsfähigen Insiderin, die – im Gegensatz zu dem Neuling Obama – stark genug sei, um die Republikaner zu schlagen und im Amt etwas zu bewirken. Wenn sie Verbesserungen sozialen Bereich ankündigt, sind ihre Versprechen auf das ökonomische Sicherheitsbedürfnis der Mittelschicht ausgerichtet: ein funktionierendes Gesundheitssystem, ein niedriger Steuersatz, gute Schulen, eine abgesicherte staatliche Altersvorsorge.
Obama hingegen spricht die allgemeineren Themen an: soziale Gerechtigkeit und Hoffnung. Seine Positionspapiere konzentrieren sich daher mehr auf die armen und verarmten Schichten, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein Präsident Obama die ökonomischen Probleme der Mittelschicht vernachlässigen würde. Jenseits der Wahlkampfrhetorik unterscheiden sich die Pläne der beiden Kandidaten nur in technokratischen Nuancen.
So ist es nicht überraschend, dass die Gewerkschaften sich uneins sind, ob sie ab Januar 2009 lieber die »Macherin« Clinton oder den »Kandidaten der Hoffnung« Obama im Präsidentenamt sehen wollen. Im August 2007 entschied sich der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, in den Vorwahlen neutral zu blieben. Mit seiner auf die Novemberwahlen konzentrierten Kampagne »Working Families Vote« will er den Einfluss lohnabhängiger Frauen und Männer auf den politischen Entscheidungsprozess sowohl im Weißen Haus als auch im Kongress stärken. Der Dachverband will primär für Mehrheiten sorgen, bei denen die Anliegen der Gewerkschaften Gehör finden. Die Einzelpersonen sind da weniger wichtig.
Von den im AFL-CIO organisierten Gewerkschaften haben sich bislang 13 für Clinton entschieden, darunter die mitgliederstarke Föderation der öffentlichen Angestellten AFSCME, die Lehrergewerkschaft AFT und einige Facharbeitergewerkschaften – also allesamt Gewerkschaften, die überwiegend Mittelschichtsarbeiter und -angestellte vertreten. Hinter Obama versammeln sich sechs mittelgroße Gewerkschaften aus den Reihen des AFL-CIO wie die eher radikalen Hafenarbeiter der ILWU. Am Freitag voriger Woche erhielt Obama die Unterstützung der Ingenieur- und Technikergewerkschaft IFPTE, einer Gewerkschaft gutverdienender Bildungsbürger.

Die Gewerkschaftskoalition Change to Win setzt sich bereits seit Ende Februar für Barack Obama ein. Die 2005 gegründete Koalition besteht aus sieben Gewerkschaften vor allem aus dem Dienst­leistungssektor, die sich vom AFL-CIO trenn­ten, weil sie dessen Politik für zu lobby­orien­tiert befanden. Obama sei der Kandidat, der die Ziele der arbeitenden Familien der »Wirtschaft des 21. Jahrhunderts« am ehesten erreichen könne, sagt Anna Burger, die Vorsitzende von Change to Win. Ein durchsetzbares Recht auf Gewerkschaftsvertretung in den Betrieben, Gesundheitsvorsorge auch für Arbeiter in den Billig­lohnsektoren und die Erneuerung der maroden Infrastruktur seien sowohl die Ziele der Gewerkschaftskoalition als auch der Kampagne Obamas. Allen voran arbeitet die Dienstleistungsgewerkschaft Seiu, mit knapp zwei Millionen Mitgliedern die größte US-Gewerkschaft, für Obama und seinen »Wandel«.
Einige einflussreiche Organisationen wie die Automobilgewerkschaft UAW sitzen die Vorwahlen aus, und schließlich bezweifelt niemand, dass die Gewerkschaften sich im November hinter den demokratischen Kandidaten stellen werden, egal ob es sich um Obama oder Clinton handelt. Obwohl Fragen über Hillary Clintons Unterstützung der Freihandelspolitik ihres Mannes in den neunziger Jahren noch präsent sind, gibt es keine Anzeichen, dass ihr die Unterstützung bei den Wahlen verweigert werden könnte. Noch ist nicht klar, wie groß der Wahlkampffonds der Gewerkschaften sein wird und ob die Zusammenarbeit zwischen AFL-CIO und Change to Win so gut wie 2006 bei den Kongresswahlen funktionieren wird. Doch nach acht Jahren gewerkschaftsfeindlicher Politik unter George W. Bush wollen sie auf jeden Fall wieder einen Demokraten im Präsidentenamt.