Für die Entpolitisierung des Körpers

Don’t talk about sex!

Der Fokus auf Körperlichkeit im Popfemi­nis­mus erinnert an die sexuelle Befreiung der siebziger Jahre – und trägt zur Funk­tionalisierung des Frauenkörpers bei. Ein Plädoyer für die Entpolitisierung des Körpers.

Wenn der Feminismus auf populärer Ebene diskutiert wird, steht nach wie vor der weibliche Kör­per im Zentrum, seien es Debatten um Kinderlosigkeit, rasierte Achselhöhlen oder Pornrap. Wenn ich mir den Band »Hot Topic« anschaue, der Popfeminismus heute repräsentieren soll, ist »Körper und Sexualität« ein Thema unter vielen. Als ich eine Lesung zu dem Buch besuchte, hatte ich jedoch zunächst einen anderen Eindruck. Ich fragte mich, was sich eigentlich seit dem Buch »Unser Körper, unser Leben« von 1979 im Feminismus verändert hat.
Darüber, dass die Pille nicht das gesündeste Verhütungsmittel für Frauen darstellt, hatte bereits jenes Buch aufgeklärt, und eine entsprechen­de Arbeit leisten nach wie vor Frauengesundheits­zentren, die zumeist auch von Frauen aus jener Generation geführt werden. Vielleicht muss tatsächlich in jeder Generation dieselbe Aufklärung, einschließlich des Aha-Effekts und der anschließenden Empörung, geleistet werden.
Bei genauerem anschließenden Nachlesen des vorgetragenen Beitrags stellte sich heraus, dass auch die Autorin Julia Roth bemerkt, dass das Hauptaugenmerk der Zweiten Welle des Feminismus einem veränderten Verhältnis zur Sexualität und zum Körper von Frauen galt. Zugleich stellt sie in »Hot Topic« fest, dass man als Frau »letztendlich immer noch allzu häufig auf den Körper zurückgeworfen wird«.
Vielleicht gibt es jedoch einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Argumenten. Denn das »feministische Emanzipationsstreben für ein gleichberechtigtes und lustvolles Ausleben (hetero)sexuellen Begehrens« scheint meiner Ansicht nach dazu geführt zu haben, dass ein »aus­schweifendes Sexualleben« von Frauen nicht etwa geächtet und bestraft wird, wie Julia Roth argumentiert, sondern mittlerweile zur Norm geworden ist, an der der Feminismus mitgearbei­tet hat. Ein Problem dabei ist, dass Sex unter Leistungs- und Produktivitätskriterien gesehen wurde, was nicht nur auf die Idee der linken ­sexuellen Befreiung, sondern auch auf die Sexual­wissenschaften zurückzuführen ist.

Wie die Sexualität zu einer Ökonomie der Lüste wurde, zeigt zum Beispiel die Analyse der modernen Sexualwissenschaft durch Andre Béjin in seinem Aufsatz »Niedergang der Psychoanaly­tiker, Aufstieg der Sexologen« von 1986. Béjins Ansicht nach hat sich eine sexuelle Technokratie im Zusammenspiel mit demokratischen Grund­sätzen etabliert. Warum diese sexualwissenschaft­liche Problemstellung allerdings zum Gemeingut wurde, wird erst durch ihre Verknüpfung mit dem, was Foucault »Biopolitik« genannt hat, verständlich. In den abendländischen Gesellschaften hat sich ein Denken durchgesetzt, das sich eine hohe Lebensqualität zum Ziel gesetzt hat. Alles, was genutzt werden könnte, muss genutzt werden. Jede/r besteht auf sein/ihr Recht zum Glück. Sexuelle Defizite werden zu solchen gemacht, denn eine erfüllte Sexualität ist Pflicht.
Auch die feministische Forderung nach der sexuellen Befreiung der Frau lässt sich in den Katalog der Pflichten zur grenzenlosen Lusterfüllung integrieren. Was Marjorie Garber vor acht Jahren in dem Buch »Die Vielfalt des Begehrens« für den Umgang mit Bisexualität in den Siebzigern feststellte, gilt heute für die öffentlichen sexuellen Geständnisse vermeintlicher Feministinnen: »In den Siebzigern, die noch immer die Ära der selbsternannten Revolution sind, ging es offenbar um Lust, Freiheit und das Niederreißen von Schranken. Bisexualität und Drogenkultur ver­sprachen Grenzerfahrungen und ein antibürger­liches Leben. (…) Wer in den siebziger Jahren jung und bisexuell war, musste entdecken, dass die Medien und die Musikszene auf unheimliche Wei­se die eigenen Wünsche spiegelten und sie wie alle Unterhaltungsmedien auch weckten.« Die For­derung nach Gleichheit im Recht auf Glück und Erfolg besitzt eine innere Dynamik: Sie bringt die Forderung nach einer Gleichheit der Leistung mit sich. Die Technologisierung von Sexualität korrespondiert mit der Feststellung, dass ein ausschweifendes Sexualleben bei Frauen geächtet sei oder dass ihre Unterdrückung in parfümierten Slipeinlagen bestehe, also in der von Fou­cault als solche diagnostizierten und kritisier­ten Repressionshypothese.
Foucault schreibt: »Die Tatsache, dass sich so viele Dinge im sexuellen Verhalten der abendländischen Gesellschaften ändern konnten, ohne dass sich eine der (…) daran geknüpften politischen Versprechungen oder Bedingungen verwirklicht hat, beweist zur Genüge, dass diese Revolution des Sexes, dieser ganze ›antirepressive‹ Kampf nicht mehr – aber auch nicht weniger, und es ist nicht wenig – als eine taktische Verschiebung und Wendung im großen Sexualitätsdispositiv bedeutete.«

Die Verfechterinnen einer sexuellen Befreiung deuten einen vermeintlich repressiven Umgang mit Sexualität als Norm, um als Anti-Norm das Ausleben einer unverfälschten Sexualität zu setzen. Problematisch an dieser Diagnose ist nicht, dass es falsch ist, dass es eine gesellschaftliche Normierung des Sexes gibt, sondern diese als Zentrum der Machtverhältnisse zu sehen und sich von der Befreiung des Sexes eine Freiheit von sämtlichen Zwängen und Unterdrückungsverhält­nissen zu erhoffen.
Doch warum soll es eigentlich politisch relevant sein, ob eine Frau sich die Beinhaare rasiert oder nicht, lesbisch oder hetero ist, polygam oder monogam? Wenn sich die Machtverhältnisse an den Körper heften und sich ausgehend von ihm verbreiten, wenn der Sex den Zugang der Macht zum Körper reguliert, wie Foucault feststellt, sollte man darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoller sein könnte zu versuchen, diese Themen nicht politisch aufzuladen, ob eine Entpolitisierung des Körpers und der Sexualität nicht erfolgreicher sein könnte, um diese Form der »Biopolitik« zu schwächen.

Die Kritik an einer feministischen Politik, in der die eigene Sexualität als Ort der Wahrheit und Basis der eigenen (widerständigen) Identität begriffen wird, ist längst geleistet worden. Unter anderem richtete sich diese Kritik gegen einen weißen Mittelschichtsfeminismus, der das pri­vate Selbst in das Zentrum der Politik stellt. Dies soll im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass nicht-weiße Frauen schwerwiegendere Probleme haben, als sich um ihre sexuelle Befreiung zu kümmern, darüber soll hier gar nicht spekuliert werden. Unausgesprochen wird jedoch oftmals vorausgesetzt, dass es das Anliegen aller Frauen sei, wie diverse Debatten um Kopftücher und homophobe Migranten beweisen. Die sexuelle Befreiung der Frau ist zu einem Maß für Kriegseinsätze und Aufenthaltsgenehmigungen geworden. Men­schen mit feministischer Überzeugung sollten sich nicht für eine rassistische Politik einspannen lassen.
Ein popfeministischer Umgang mit Körper und Sexualität könnte dagegen darin bestehen, dass Frauen sich weigern, über ihren Sex zu sprechen, denn wenn die Macht sich im Reden über den Sex ausbreitet, könnten Frauen durch Schweigen auf der sichereren Seite sein.