Der Berliner 1. Mai im Kino

Scheißschwule Maoisten

Wer am 1. Mai verhindert ist, kann zum Randalegucken ins Kino gehen:
Die Kreuzberger Revolutionsfestivitäten haben ihre erste Hauptrolle
im populären Film bekommen.

Der 1. Mai in Kreuzberg ist so etwas wie Karneval mit Fremdenverkehrspotenzial: Leute aus ganz Deutschland reisen an, um Hasskappen aufzusetzen und sich mit der Polizei zu hauen. Am Tag der Nichtarbeit wird die Machtfrage gestellt und das Gewaltmonopol des Staates durch konsequentes Vermöbeln seiner Ordnungskräfte angegriffen. Die Ordnungskräfte sind seit geraumer Zeit ihrerseits vermummt und möbeln zweifelsohne zurück. Am 1. Mai ist in Kreuzberg zwar noch Großkampftag, aber der Krawall stagniert gewissermaßen. Die Hauptverantwortung dafür tragen das Altern der Aktivisten, ausgefeilte Polizeistrategien und diverse Anwohner­initiativen. So wurde vor einigen Jahren ernsthaft darüber diskutiert, ob Jugendliche während des Festes auf dem Kreuzberger Mariannenplatz gemeinsam mit einem Feuerkünstler »kontrolliert« Autos anzünden könnten. Die Idee folgte einer Strategie, wie sie z.B. beim Kampf gegen Graffiti Anwendung findet: Man holt das Unkontrollierte aus dem öffentlichen Raum und gibt ihm einen mehr oder weniger musealen Rahmen im Sinne eines familienfreundlichen Happenings. Veranstaltet wurde der Feuerzauber dann aber nicht.
Wem der Sinn für solche Sachen abgeht, hat wichtige Aufgaben zu erledigen. Man hat in drei Demonstrationszügen mitzugehen und Farbe zu bekennen, ob man in dieses oder jenes radikale Lager gehört, die Israelfahne schwenkt oder das Palästinensertuch anlegt. Grundsätzlich gilt es auch, Nazi-Demonstrationen entgegenzutreten.
Für die Randale im Anschluss des Festes sorgen heute grundsätzlich Zugereiste. Seien es Jugendliche unter 20 oder bizarrerweise Handwerksburschen Ende 20, die unbedingt wen auf die Schnauze hauen oder was auf dieselbe haben wollen (»Die ham mia drei Tage einjelocht. Ich hab abba ooch Steine jeschmissn«). Es ist die Rache Neuköllns, Nordtempelhofs sowie Oer-Erkenschwicks am neuen Latte-Boulevard Oranienstraße.
Ehemalige wie aktive Autonome halten das Aufmischen der Wohnkieze in Kreuzberg, Friedrichshain oder Prenzlberg dagegen für unpolitisch und verlangen die Erschließung neuer Gebiete wie den Potsdamer Platz oder den Bezirk Wannsee, wo die Reichen leben. Andere wiederum halten mit Blick auf den beinahe mythischen linken Politikzusammenhang am Schauplatz Kreuzberg fest. Hier wurde schließlich im Jahr 1987 der Bolle-Supermarkt angezündet und stundenlang geplündert, ohne dass es zum Einsatz von Ordnungskräften kam. Kritik am Gewaltmonopol trifft Konsumkritik sozusagen.
Die 1. Mai-Randale war für Berlin lange Zeit mindestens so typisch wie besetzte Häuser. Um so erstaunlicher, ich komme zum Thema, dass sie – beide! – höchst selten Thema der populären Kultur- bzw. Kinoproduktion geworden sind. Eine Hausbesetzer-Demo taucht immerhin in Wolfgang Beckers »Das Leben ist eine Baustelle« auf; endgültiger dann die ganze Szene in »Was tun, wenn’s brennt« mit Til Schweiger. Der 1. Mai-Randale erging es nicht besser. Typisch deutsch und totgeschwiegen.
Diesen Missstand haben jetzt die vier Film­regisseure Sven Taddicken, Carsten Ludwig, Jan-Christoph Glaser und Jakob Ziemnicki behoben. »Berlin – 1. Mai« heißt ihr Gemeinschafts­projekt, und sie erzählen darin die Mai-Krawalle aus drei Perspektiven.
Der erste Plot: Die Freunde Jacob (Jacob Matschenz) und Pelle (Ludwig Trepte) fliehen aus dem vergleichsweise ruhigen Minden als so genannte Krawalltouristen nach Berlin, sie wollen mal schauen, was sie plattmachen können, und, ganz Serientäter, die sie sind, haben sie eine teure Videokamera dabei, um ihre Taten zu filmen.
Der zweite Plot: Auch Uwe (Benjamin Höppner) ist eine Art Krawalltourist, aber einer der anderen Art. Gerade hat er erfahren, dass seine Frau einen anderen hat. Die von einer Hypothek belastete Einfamilienhausidylle zerbricht. Immerhin hat er einen krisenfesten Job. Uwe ist bei der Bereitschaftspolizei. Sein Auftrag lautet: »Deeskalationsstrategie«. Die Menschenversammlung muss bewältigt und in friedliche Bahnen gelenkt werden. Uwes Geschichte ist unverzichtbar. Ohne Polizei ist der 1. Mai hier nicht zu erzählen.
Den dritten Part übernimmt der 11jährige Yavuz (Cemal Subasi), türkisches Kind aus einem der Wohnsilos der Berliner Problemzonen. Die Kreuzberger Mai-Festspiele schreddert sein kindliches Gehirn zu Versatzstücken. Nur Puzzleteile an Wissen hat er präsent, und das größte davon ist: Heute haue ich meinen Stadtteil zu Klump.
So viel ist gewiss: Sie werden alle was abkriegen, ganz wie es sich gehört. Anders als man erwartet: Der Film tischt zwar alle Klischees über den 1. Mai in Berlin und seine Akteure auf. Aber mit der gleichen Konsequenz nimmt er sie zurück und zeigt individuelle Wendungen. Schnell, cool und herzig. Polizist Uwe wird ganz wie erwartet eine schwere Verletzung mit nach Hause bringen. Wie er sich die holt, ist jedoch überraschend. Jacob und Pelle tragen gar ein grausames Geheimnis mit sich herum, dagegen ist die Randale ein Zirkus. Yavuz darf erst mal alles über den 1. Mai lernen. In der Adalbertstraße trifft er auf den in die Jahre gekommenen Linksradikalen Harry (Peter Kurth). Der zeigt ihm, wie man Barrikaden baut. »Hey«, ruft er seinen schlappen Kumpanen zu, »das ist Yavuz, der ist Stalinist.« – »Was ist ein Stalinist?«, will das Kind wissen. Harry klärt auf: »Stalinisten, das sind ganz harte. Hört man ja schon, Stalin wie Stahl. Das da drüben sind nicht so harte, das sind Maoisten.«
»Hey«, übersetzt der junge Streetfighter diese Typologie in die Gegenwart, »verpisst euch, ihr scheißschwulen Maoisten!«
Hier haben sich zwei gefunden. Der eine kann endlich sein linkes Wissen weitergeben, das selten einer haben will. Der andere kann es dankbar durch die kindliche Bedeutungsmaschine drehen.
Es fängt schön an und wird angemessen brutal zu Ende geführt. An diesem Tag, da sind sich die Regisseure einig, ist der zivile Alltag außer Kraft gesetzt. Und am Ende werden sich alle ganz lose, so wie die Geschichten miteinander verknüpft sind, mit losen Gliedmaßen im Urban-Krankenhaus wiedertreffen. Das ist ein großes, hässliches, an die Haftanstalt Stuttgart-Stammheim erinnerndes Gebäude am Landwehrkanal, wo sich die Kreuzberger zum Richtenlassen der Nase, Rauchen und Sterben treffen.
Es scheint, die Darsteller wissen um die Wichtigkeit ihrer Aufgabe, all dies zu verkörpern. Und sie scheinen zu wissen, dass sie allesamt Beiwerk der großen Hauptdarstellerin sind: der durchgeknallten Hauptstadt.
Sie tun ihr Bestes: Benjamin Höppner verleiht seiner Figur Uwe die passende Zerbrechlichkeit; Jacob Matschenz und Ludwig Trepte verleihen den jugendlichen Provinzlern Abgründigkeit. Der eigentliche Star dieses Films ist jedoch Cemal Subasi, dessen Blick an den des Action-Stars Vin Diesel heranreicht. Zuschlagen kann er auch wie Vin Diesel. Er ist Vin Diesel – mit elf. Er weiß es, so stapft er durch den Film. Wer sich also für Action-Helden interessiert: Subasi ist das Ticket wert.
Klischeebeladen, schon wieder ein Berlin-Film – so lauten die Vorwürfe gegen dieses kleine Machwerk dieser jungen Regisseure, die, wie viele jüngere deutsche Regisseure, von Tuten und Blasen keine Ahnung haben – aber, und das ist ein relativ neues Phänomen: gerade deshalb gute Geschichten erzählen können.
Übrig bleibt zu fragen, ob dieses Kulturereignis – Flammen im Kino statt auf der Straße – nicht einen weiteren Meilenstein einer ganz umfassenden Deeskalationsstrategie darstellt. Die eingangs erwähnte Feuerzauber-Inszenierung hätte doch noch ihr Publikum gefunden.