Serie über Serien, »Ren and Stimpy Show«

Ein Klumpen Fleisch in Zeitlupe

Serie über Serien. Die »Ren and Stimpy Show« ist Splatter für die Kinderstube.

Die armen Kleinen! Hunderttausen­de Kinder müssen zu Beginn der neunziger Jahre in den USA vor den Fernsehern gesessen haben, in Erwartung rundum pos­sierlicher Zeichentricktierchen. Hunderttausende Eltern müssen ihren Nachwuchs vor den Geräten abgeladen haben, in Erwartung kind- und familiengerechter Unterhaltung. Doch stattdessen machten Eltern und Kinder Bekanntschaft mit zwei außerordentlich seltsamen Charakteren: mit Ren Höek und Stimpson J. Cat. Kurz: Ren und Stimpy.
Am 1. August 1991 strahlte der amerikanische Kinderkanal Nickelodeon die erste Folge der »Ren and Stimpy Show« aus. Mitte der Neunziger zeigte der deutsche Ableger des Senders die absurden Abenteuer von Ren, einem asthmatischen Chihuahua, dessen cholerische Anwandlungen sich häufig zu psychotischen Schü­ben steigern, unter denen meist Stimpy zu leiden hat, eine fette, unsäglich dumme Katze.
Ren sieht allerdings eher aus wie eine Ratte nach einem schlimmen genetischen Experiment, ohne Fell, mit großen Ohren und schlech­ten Zähnen. Stimpy hat eine bei Katzen eher selten zu findende blaue Nase. Und er verfügt auf der Rückseite seines fetten Körpers über ein Paar sehr ausgeprägte menschliche Arschbacken, die dem Zuschauer in aller Regelmäßigkeit in langen Standbildern vorgeführt werden. Hund und Katze sind nicht drollig anzu­sehen. Vielleicht gab es auch deshalb nie den für derartige Serien üblichen Merchandise. Kein Kind hätte neben einer Puppe von Ren einschlafen können.
Das offensichtlich schwule Paar Ren und Stimpy verbringt seine Zeit für gewöhnlich in seinem Häuschen. Manchmal senden die zwei auch aus ihrem geheimen Hauptquartier, das entweder »Tausende Meilen unter der Erdkruste« oder auch »tief in den Eingeweiden eines Spermawals« liegen kann. Häufig begeben sich Ren und Stimpy aber hinaus in die Welt.
Freilich kann man das Geschehen meist nicht als »Abenteuer« bezeichnen. Egal, ob Ren als mit Melonen und Hühnern statt Pfeilen schießender Robin Hood die Gunst der holden »Maid Moron« gewinnen muss, die von einem grell geschminkten und mit einer blonden Perücke versehenen Stimpy gespielt wird; egal, ob Commander Höek und Kadett Stimpy ins Weltall fliegen, wo Ren von tödlicher Langeweile in den Wahnsinn getrieben wird; egal, ob Ren und Stimpy sich von den »Royal Canadian Kilted Yaksmen« rekrutieren lassen, in deren Auftrag sie dann als Skelette in Schottenröcken in der »kanadischen Dreckwüste« enden – immer sieht sich der Zuschauer unglaublich absurdem Nonsens ­ausgesetzt.
Die »pädagogischen Ansätze«, die die Verantwortlichen bei Nickelodeon in ihrem Programm verwirklicht sehen wollten, waren in der »Ren and Stimpy Show« jedenfalls nie zu erkennen. Was die Geschäftsleitung vor allen Dingen gegen John Kricfalusi, den Erfinder und Produ­zenten der Serie, aufbrachte, war Rens bösartiger Charakter, das große Maß an Gewalt und die durchgehend zynische, negative Sicht der Dinge. Die Folge »Man’s Best Friend« durfte nicht ausgestrahlt werden. In ihr zeigt Kricfalusi, was es mit der Liebe zum Haustier auf sich hat: George Liquor, ein Bilderbuch-Redneck, kauft Ren und Stimpy in einem Tierladen, um sie zuhause mit sadistischem, militärischem Drill abzurichten. Der psychotische Ren beendet die Tortur. Mit einer Schaufel schlägt er das Gesicht des Herrchens zu Brei. In Zeitlupe. Bis in einem Standbild nur noch ein Klumpen Fleisch mit Augen zu sehen ist.
Standbilder wie dieses waren Kricfalusis Spezialität. Sekundenlang gleitet die Kamera über die Gesichter und Körper der von physischen und psychischen Krankheiten geplagten, von Wunden gemarterten und von fehlgeschlagenen Experimenten verschandelten Figuren. In diesen Bildern ballt sich eine unerträgliche und da­bei zum Glück auch unerträglich komische Hässlichkeit. So gelang es einer Kindersendung immer wieder, einige Augenblicke lang das absurde Spiegelbild einer ebenso absurden, ent­stellten, wirklichen Welt in die trauten Wohnstuben zu bringen.
Für Kricfalusis Karriere bei Nickelodeon war dies nicht unbedingt förderlich. Nach nur zwei Staffeln wurde er 1992 entlassen. Die Show lief noch einige Jahre, aber in einer Form, die dem Sender genehm war. Kricfalusis »Ren and Stimpy Show« ist mittlerweile als DVD-Box erhältlich.