»Sicherheitsstrategie für Deutschland«

Die gewöhnliche Ausnahme

Die Empörung über die »Sicherheits­strategie für Deutschland«, die CDU und CSU vorgestellt haben, ist groß. Doch die Vorarbeit für den permanenten Ausnahmezustand haben bereits die rot-grüne und die schwarz-rote Regierung geleistet.

Deutschland ist »eines der sichersten Länder der Erde«. Das stellt die Bundestagsfraktion von CDU und CSU in ihrer »Sicherheitsstrategie für Deutschland«, die sie am 6.Mai vorgelegt hat, gleich am Anfang fest. Doch dieser Zustand könnte bald zu Ende sein, denn es gibt »viele Bedrohungen und Risiken für unsere Sicherheit wie Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Energie- und Rohstoffabhängigkeit, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Aufrüstung, regionale Konflikte, scheiternde Staaten, Migration, Pandemien und Seuchen« – und die Folgen des Klimawandels. All dies und die »steigende Anzahl von Krisen« könnten Deutschland direkt oder indirekt gefährden.

Da wird alles zusammengerührt, was Menschen in einer globalisierten Welt ängstigen und was dem »Standort Deutschland« schaden könnte – erstaunlicherweise mit Ausnahme des Verlusts sozialer Sicherheit. Aus der Vielfalt der konstatierten Risiken, Bedrohungen und Gefahren, die das Leben auf diesem Planeten derzeit so mit sich bringt, wird ein umfassender Sicherheitsbegriff abgeleitet, der zwingend einen erweiterten »zivil-militärischen« Ansatz erfordere.
Und so sei es nur konsequent, wenn alle staatlichen Ressorts – die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik sowie die Innen‑, Wirtschafts-, Energie-, Umwelt-, Finanz- und Bildungspolitik – zu einem »breiten Instrumentarium« verflochten würden. Ziel müsse es sein, »präventiv Sicherheitsrisiken zu minimieren und dort schnell und effektiv eingreifen zu können, wo sich für unsere Sicherheit relevante Krisen konflikthaft zuspitzen«. Kurz: Es geht darum, deutsche Interessen zu sichern – hierzulande und in aller Welt.
Diesem Zweck dient die Forderung, alle Sicherheitsbehörden, staatlichen Gewalten und Ressorts etwa in einem neu zu errichtenden »Nationalen Sicherheitsrat« zu zentralisieren und zu verbinden. In diesem »politischen Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum« sollen die Informationen zu sicherheitsrelevanten Veränderungen aus zahlreichen Ressorts gesammelt und »präventive, zeitgerechte und zielgerichtete außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Maßnahmen« eingeleitet werden. Der Rat soll die zivil-militärische Krisenbewältigung und -prävention im Ausland sowie die geeigneten Abwehrmaßnahmen, Notfallplanungen und den Einsatz der »Heimatschutzkräfte« koordinieren. Ausdrücklich werden der Einsatz der Bundeswehr im Inneren des Landes, flexible Auslandseinsätze, auch ohne Zustimmung des Parlaments, sowie die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung auch mit militärischen Mitteln gefordert.

Wenn man diese teils verfassungs- und völkerrechtswidrigen Forderungen mit der Entwicklung der »inneren und äußeren Sicherheit« der vergangenen Jahre in Beziehung setzt, kommt man zu erstaunlichen Einsichten. CDU und CSU verlangen in ihrem »Strategiepapier« eine Änderung der Sicherheitspolitik: Die Sicherheitsbehörden sollen zentralisiert, verbunden und entgrenzt, die »innere Sicherheit« und Außenpolitik einer Militarisierung unterzogen werden. Dies sind auch seit längerem die Merkmale der herrschenden Sicherheitspolitik – sowohl unter der rot-grünen als auch unter der schwarz-roten Regierung. Deshalb wirkt es scheinheilig, wenn die SPD und die Grünen nun empört von der »Militarisierung« und einer Erschütterung der »Grundfesten von Rechtsstaat und Demokratie« reden oder davon, dass es in Wahrheit um die »Errichtung des präventiven Sicherheitsstaates« gehe. Das mag ja alles sein – aber die tatsächliche Entwicklung ist schon weiter.
Zum einen sind die Zentralisierung der Sicherheitsbehörden und die verstärkte Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten bereits in vollem Gang. Dazu gehört, dass das Bundeskriminalamt zu einer zentralen deutschen Polizeibehörde mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur Ausforschung im Vorfeld und zur Gefahrenabwehr umgewandelt wird. Dazu gehören auch die gemeinsamen Lagezentren von Polizei, Geheimdiensten und Militär zur Terrorbekämpfung und auch die zunehmende elektronische Datenvernetzung – womit die verfassungsmäßige Trennung von Polizei und Geheimdiensten allmählich aufgelöst wird.
Zum anderen geht nicht nur schon seit Jahren eine Militarisierung der Außenpolitik mit Out-of-Area-Einsätzen der Bundeswehr vor sich, sondern auch der »Inneren Sicherheit«, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inland steht, wie z.B. während der Fußball-WM 2006 und des G8-Gipfels 2007 – obwohl hierzulande Polizei und Militär aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung strikt zu trennen sind. Trotzdem unternehmen die amtierenden »Sicherheitsminister« Wolfgang Schäuble und Franz-Josef Jung alles, um die Bundeswehr nicht nur im Notstandsfall, sondern regulär als »nationale Sicherheitsreserve« im Inland einsetzen zu können. Angesichts des transnationalen Terrorismus »lässt sich die bisherige Trennung von innerer und äußerer Sicherheit oder in Kriegszustand und Friedenszeit nicht länger aufrechterhalten«, heißt es denn auch in einem zentralen Satz des Strategiepapiers.

Schon im regierungsamtlichen »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« von 2006 sowie in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« der rot-grünen Bundesregierung von 2003 ist manches nachzulesen, was nun für Empörung sorgt: etwa die geplante »Vorverlegung« des Verteidigungsfalls, um ihn auch im Fall drohender Terroranschläge ausrufen zu können, die damit kriegerischen Angriffen feindlicher Armeen gleichgesetzt würden. Oder die neue geostrategische Rolle der Bundeswehr und die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung auch mit militärischen Mitteln. So wird der Militäreinsatz zum gewöhnlichen innen- und außenpolitischen Instrument der Krisenintervention. Schon bei der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien und der Beihilfe zum Krieg gegen den Irak wurde das Völkerrecht umgangen, das dem »Strategiepapier« zufolge »den zentralen Herausforderungen« angepasst werden müsse.
Demokratisch-rechtsstaatliche Errungenschaften und zivilisatorische Grundwerte werden schon seit längerem in Frage gestellt – ganz besonders im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfs. Der entfesselte, autoritäre Sicherheitsstaat im permanenten Ausnahmezustand war – schon vor der Veröffentlichung des CDU/CSU-Papiers – eine nicht mehr ganz abwegige Krisenlösung. Der ursprüngliche Sinn eines verhängten Ausnahmezustands war es übrigens, für kurze Zeit das Recht förmlich zu suspendieren, um nach erfolgter Krisenbewältigung wieder zur alten Ordnung zurückzukehren. Der moderne – »präventive« – Ausnahmezustand verliert nach und nach seinen Ausnahmecharakter und wird so zum alltäglichen Zustand. Oder anders ausgedrückt: zum Zustand der präventiven Herrschaftssicherung in Zeiten verschärfter ökonomischer Krisen, wachsender Flüchtlingsströme, drohender Rohstoffknappheit und des sozialen Niedergangs.
In dem »Strategiepapier« wird also lediglich fortgeschrieben und zugespitzt, was längst in die Wege geleitet ist und weiter vorangetrieben wird. Trotzdem ist es ein abermaliger Angriff auf das Völkerrecht und die Bürgerrechte – verbunden mit einem fatalen Gewöhnungseffekt.