Serie über Serien: »Farscape«

Plenum im Weltall

Serie über Serien. Jakob Schmidt über »Farscape«, den wohl unhygienischsten Klassiker des SF-Fernsehens

Eine alte Weisheit unter Science-­Fiction-Kennern lautet, dass man die verschiedenen Außerirdischen bei »Star Trek« an ihrer Stirnform erkennt, bei »Babylon 5« dagegen an der Frisur, und »Farscape« ist die Serie, in der sich die Aliens anhand der Farbe ihrer Kotze unterscheiden lassen.
Kein Wunder also, dass im sauberen Deutsch­land keiner »Farscape« kennt; die vierte und letzte Staffel lief nicht mal im Fernsehen (wohl aber, und paradoxerweise, der abschließende Mehrteiler »The Peacekeeper Wars«). Mit unverklemm­tem Fäkalhumor und einer Ästhetik zwischen Muppets und Fetischclub kleckert Far­scape die unendlichen Weiten des Alls voll, spricht diverse Lust- und Ekelzentren des mensch­lichen Gehirns an, ist allein schon deshalb meistens politisch und – was viel wichtiger ist – lustig, aufregend und tragisch.
Im Jahre 1999 wird der Astronaut John Crichton bei einem Testflug durch ein Wurmloch geschleudert, gerät mitten in eine Raumschlacht und macht sich durch einen unglücklichen Auffahrunfall erst mal bei der örtlichen Militärdiktatur – den »Peacekeepers« – unbeliebt. Er findet Zuflucht auf dem organischen Raumschiff Moya, das von flüchtigen Sträflingen gekapert wurde. Schnell wird Crichton geschätztes Mitglied der unfreiwilligen Kommune, die sich unter anderem aus einem Krieger mit Tentakeln im Gesicht, einem krötengesichtigen, heliumfurzenden Ex-Aristokraten, einer nervtötenden Esoterikerin, einer desertierten Peace­keeperin in strenger Lederkluft und einer sex- und vergnügungssüchtigen Gewohnheitsdiebin zusammensetzt. Gemeinsam verteidigt dieses Team sein Raumschiff gegen den Polizeistaat, raubt eine Bank aus, hilft interstellaren Guerillas oder legt sich mit ihnen an, pflegt Geknutsche und Beischlaf in allerlei Kombinationen, spaltet sich und fusioniert wieder. Ab und zu gibt’s auch ein Plenum, woraufhin sich dann keiner an die Beschlüsse hält. Es ist ein historisches Rätsel, dass »Farscape« es nicht zur Hausbesetzer-Kultserie gebracht hat.
Schon ein paar Jahre vor der düster-existenzialistischen »Kampfstern-Galactica«-Neuauflage hat »Farscape« mit dieser Strategie die Diskurshoheit der »Star-Trek«-Saubermänner im All gebrochen. Nicht zuletzt zeigt die Serie sich einfallsreich bei der Erfindung neuer Wörter. Worte wie »Frell«, »Yotz« und »Mivonks« erfreuen sich hochfrequen­ten Gebrauchs und lassen keinen Zweifel an ihrer jeweiligen Bedeutung. Im Gegensatz zur Galactica-Crew operieren die Weltall-Schluffis in ihrem Raumschiff Moya allerdings weniger nach dem Überlebens- als nach dem Lustprinzip. Dass das nicht weniger Konflikte produziert, versteht sich von selbst.
John Crichton, der, nun ja, Held der Serie, ist dem Lustgewinn zwar auch nicht abgeneigt, bald offenbaren sich aber seine doch recht konservativen Wünsche: Er will seine Ruhe. Und vielleicht ein Häuschen im Grünen. Und einen Haufen Geld. Und ein Kind mit Aeryn Sun, der desertierten Peacekeeperin. Doch dummerweise hat eine uralte außerirdische Spezies Crich­ton das Wissen um die Herstellung einer Massenvernichtungswaffe ins Gehirn geimpft. Darauf sind natürlich sämtliche Regimes der Galaxis scharf, was kein bisschen metaphorisch zu verstehen ist. Ganz buchstäblich trieft dem Peacekeeper-Ledergruftie Scorpius schon bei dem Gedanken an die Superkanone der Speichel vom Kinn (Kotzefarbe: transparent). Und weil Crichton vielleicht kein Pazifist, aber auch kein Freund von galaktischen Vernichtungskrie­gen ist, behält er sein Geheimwissen für sich. Um sich obrigkeitsstaatlicher Nachstellungen zu erwehren, bleibt ihm nur eine Chance: Das galaktische Machtgefüge muss sich ändern, und zwar from bottom to top.
Crichtons aus der Not geborene, aber beherzte Versuche, den Weltraum zu verändern, gehen – wir kennen das vom Kommunismus – gerne mal katastrophal schief. Wenn bei »Farscape« gehobelt wird, fallen keine Späne, sondern Balken. Am Ende hat man dann aber doch etwas gelernt – nicht nur über Alien-Kotze, Sexualität und Wahrheit, sondern auch darüber, was Haus­besetzer wohl so alles mit einer Atombombe anstellen würden. Und all das zum läppischen Preis von ein paar DVD-Boxen.