Serie über Serien: »Kojak«

Ein Glatzkopf in New York

Von Uli Krug

Serie über Serien. »Kojak« ist die Krimiserie der Siebziger, die immer noch begeistert

Nicht erst Nick Hornby hat das Phänomen beschrieben: Die Musik, die man im Teenageralter als Soundtrack vor dem, bzw. zum Erwachsenwerden hörte, berührt einen das ganze weitere Leben mehr als alles andere, was einem später noch zu Ohren kommt. Dasselbe gilt auch für Lieblings-TV-Serien, deren Erfolg ja auch stark von der Titelmelodie abhängt. Patrick Williams Opener zu den »Straßen von San Francisco« oder Billy Goldenbergs Anreißer zu »Kojak – Einsatz in Manhattan« gehören da sicher zum Besten, was die Fernsehgeschichte zu bieten hat.
Beide Reihen wurden im Deutschland der Mitt­siebziger zu absoluten Straßenfegern, denn zu dieser Zeit verfügte wirklich jeder Haushalt über ein Fernsehgerät. Den Erfolg ausgerechnet dieser Serien lag vor allem an deren Härte und »Echtheit«. Waren zuvor wilde Verfolgungsjagden in pittoresk-kaputtem, amerikanischem Großstadt-Ambiente, abgebrühte Helden, die sar­kastische one-liners von sich geben, und funkige Scores à la »Shaft« allein dem Kinogänger vorbehalten, gab es das nun erstmals frei Haus für die ganze Familie. Der durchschlagende Erfolg löste damals auch noch aufgeregte Debatten darüber aus, ob insbesondere Jugendliche durch das Ansehen amerikanischer Krimi-Serien blöd und gewalttätig zu werden drohten. Und so stand (nicht nur) bei uns daheim damals der Fernseher in einem verschließbaren Kasten, der für Inspektor Theo Kojak nur selten geöffnet wurde.
Ungeachtet dessen avancierte diese Figur zu einer Fernseh-Ikone sondergleichen, die mit dem coolen New Yorker schlechthin noch heute, genau 40 Jahre nach der letzten von 118 Folgen, assoziiert wird. Der Lolli im Mundwinkel, der die Zigarette ersetzte, die getönte Brille, die stets schrille, serviettenbreite Krawatte, der markante dunkle Hut, der gedeckte dreiteilige Maßanzug, die makellose Glatze – all das setzte der 1994 verstorbene griechischstämmige US-Schauspieler Telly Savalas so unnachahmlich in Szene, dass er mit der Rolle schier verschmolz. Savalas war schließlich Kojak und nicht mehr nur ein Mime, der zuvor immerhin schon bei James Bond (wie auch in mehreren sehr erfolgreichen Western und Kriegsfilmen) den Schurken gegeben hatte.
Dabei war Kojak anfangs nicht einmal als Serienfigur geplant: Erst der Anklang, den der Fernsehkrimi »The Marcus Nelson Murders«, in dem Savalas die Romanfigur Kojak erstmals spielte, beim Publikum fand, ermunterte CBS 1973 zum Start einer Reihe rund um den markanten Inspektor. Der verkörperte einen gänzlich anderen Heldentypus, als es die sauber gestriegelten, aseptischen Streber in den Krimiserien der Sechziger getan hatten: Kojak war Teil eines in der Fernsehdarstellung neuartigen Alltags, in dem nicht mehr das Verbrechen die an sich heile Welt stört, sondern Verbrechen die Konsequenz eines krisenhaften urbanen Überlebenskampfs darstellen. Allerdings eine nicht hinnehmbare für Kojak, der sich stets besonders ins Zeug warf, wenn jene, die ganz unten in der sozialen Hack­ordnung standen (Waisenkinder, Bettler, Behinderte), zu Opfern wurden. Im Gegensatz allerdings zum gängigen, belehrenden Sozialkrimi, ersparte Kojak sich, seinen kantigen Untergebenen Crocker, Stavros und Saperstein sowie nicht zuletzt den Zuschauern jegliche anklagen­den Tiraden, hysterischen Anwandlungen oder privaten Problemgespräche. Vielmehr zeigte er auch in den aussichtslosesten Situationen Selbstbeherrschung mit Hilfe staubtrockenen Humors.
Davon unbeeindruckt, hielten die öffentlich-rechtlichen Sender der Bundesrepublik ihr Publikum nur reif für ein knappes Drittel der Kojak-Episoden, aus denen meist auch noch längere Passagen herausgeschnitten wurden. Dabei war es wahrscheinlich kein Zufall, dass der Schere gleich in der zweiten Folge ein Dialog zum Opfer fiel, in dem ein jüdischer Hausmeister aus Angst vor der Polizei unwillkürlich ins Deutsche verfällt. Zu hören ist er aber in der mehrsprachigen DVD-Edition der ersten Kojak-Staffel, die 2005 erschien; übrigens ein entzückendes Geschenk für »Tatort«- und »Mankell«-Genervte.