Vor der Gründung der »Union für das Mittelmeer«

Einmal rund ums Mittelmeer

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy will am kommenden Sonntag die »Union für das Mittelmeer« gründen. Statt, wie ursprünglich vorgesehen, um Frankreich, wird sie nach einigem Ärger nun um die EU gebildet.

Im Anfang war das Wort. Und das Wort gerann zur Institution. Und es war dem Herrn Sarkozy ein Wohlgefallen.
Zuerst sprach er die »Mittelmeerunion« in einer programmatischen Wahlkampfrede am 7. Februar vergangenen Jahres in Toulon an. Bemerkenswerterweise widmete er einen Großteil derselben Ansprache einer Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit und des »zivilisatorischen Auftrags« Frankreichs in Nordafrika, vor einem überwiegend aus früheren Algerien-Siedlern bestehenden Publikum. (Vgl. Jungle World 07/07) Dadurch erhielt sein Projekt von Anfang an einen gewissen ideologischen Beigeschmack. Am Abend seiner Wahl zum französischen Präsidenten, am darauf folgenden 6. Mai, erneuerte er seine Ankündigung.
Am kommenden Sonntag, so plant es das umtriebige Staatsoberhaupt seit längerem, soll sein Triumph gefeiert werden: Am Vorabend des französischen Nationalfeiertags sollen sich in Paris alle Staats- und Regierungschefs von Ländern, die rund um das Mittelmeer liegen, in Paris versammeln. Unter ihnen sind neben einigen gewählten Präsidenten viele Diktatoren und Mo­narchen. Ihre Zusammenkunft, die am Sonntagnachmittag im Kultur- und Ausstellungspalast Grand Palais stattfindet und – so der Plan – drei Stunden dauern wird, markiert den Beginn einer neuen regionalen Integrationsstruktur. Diese könnte nach dem Vorbild der EU funktionieren, wird aber de facto mit ungleich geringeren Mitteln und einem geringeren Ausmaß an Integration ausgestattet sein.

Doch zunächst gab es Schwierigkeiten. Angela Merkel wandte sich im Dezember vergangenen Jahres gegen die Pläne des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, eine Union méditerranéenne (Mittelmeerunion) zu schaffen.
Unter dem gemeinsamen Druck der Bundesregierung und der EU-Kommission in Brüssel gab die französische Regierung am 8. März offiziell eine Änderung ihrer Pläne für die neue Union bekannt. Statt des alten Namens trägt das politische Projekt, das sie dennoch energisch weiterverfolgt, nunmehr den administrativen Namen »Union pour la Méditerranée (Union für das Mittelmeer), abgekürzt UPM.
Die Namensänderung ist nicht nur kosmetischer Natur und dazu bestimmt, ein verändertes Kräfteverhältnis symbolisch auszudrücken. Vielmehr spiegelt sie eine wichtige Verschiebung in der Konzeption der neuen Organisation selbst: Statt rund um Frankreich und seine Beziehungen zu Staaten am Süd- und Ostrand des Mittelmeers wird sie nun rund um die Europäische Union gebildet.
Alle 27 EU-Mitgliedsstaaten – und nicht mehr nur jene, die eine Mittelmeerküste aufweisen, wie von Sarkozy ursprünglich geplant – werden Gründungsmitglieder der neuen Union sein. Im ursprünglichen Konzept hätte Paris das politische Zentrum der regionalen Integrationsstruktur bilden können, denn die anderen Mittelmeer-Anrainerstaaten der EU sind politisch und ökonomisch schwächer als Frankreich: Zu ihnen zählen etwa Spanien, Italien, Slowenien und Griechenland. Das aber möchten die EU-Bürokraten und die Bundesregierung verhindern.
Gleichzeitig verringert sich das Ausmaß der Integration. Während die »Union für das Mittelmeer«, die am kommenden Sonntag offiziell gegründet wird, nun einen Raum von 12,5 Millionen Quadratkilometern und 775 Millionen Einwohnern umfassen wird, wird sie sich kaum durch eine vertiefte Integration auszeichnen. Insbesondere die nördlichen und nordöstlichen Mitgliedsländer der EU dürften sich als hinderlich erweisen. So gab Angela Merkel Ende vorigen Jahres ihrem französischen Partner und Rivalen Sarkozy un­miss­verständlich zu verstehen, dass Frankreich seine Rohstoff- und geostrategischen Interessen vielleicht in Algerien zu verfolgen suche – Deutsch­land die seinen aber eher in der Ukraine verorte.

Durch die Kollektivmitgliedschaft der EU in der neuen Union, die die deutsche Regierung durchzusetzen vermochte, weist diese neue Union nun 44 Mitgliedsländer auf: alle 27 Staaten der EU sowie elf Anrainerländer am Süd- und Ostufer des Mittelmeers. Hinzu kommen zwei Nichtanrainer im Süden, die aus geopolitischen Gründen einbezogen werden – nämlich Mauretanien und das Königreich Jordanien. Auf dem europäischen Kontinent kommen wiederum Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro als Nichtmitglieder der EU sowie das eng mit Frankreich assoziierte Fürstentum Monaco hinzu.
Mit den neuen Dimensionen hat die »Union für das Mittelmeer« aber auch an bürokratischer Schwerfälligkeit gewonnen, insbesondere weil der größte Block ihrer Mitgliedschaft – die EU, die 64 Prozent ihrer Bevölkerung und 86 Prozent ihres Bruttosozialprodukts ausmacht – durch die Brüsseler Kommission repräsentiert wird. Manche Beobachter sprechen indessen davon, die Einbeziehung der gesamten EU habe Sarkozys ursprüngliches Projekt stark »verwässert«.
Um die Institutionen der neuen UPM zu beschäf­tigen, hat Frankreich unter Präsident Sarkozy ihnen vier konkrete Projekte vorgegeben. Dazu gehört ein Programm zur Säuberung des Mittelmeers von Umweltgiften. Dafür wurden 131 Orte ausgewählt, um die es sich bis zum Jahr 2020 zu kümmern gilt. Allerdings ist bislang keinerlei Budget dafür vorgesehen.
Weitere Prestigeprojekte der Union sind die Einrichtung einer »euro-mediterranen« Universität in Slowenien und eines Forschungszentrums für denselben geografischen Raum. Die dort beschäftigten Wissenschaftler und Forscher sollen, so wird versprochen, im Mittelmeerraum Freizügigkeit genießen. Denn, so Sarkozys Berater Henri Guiano in einem Interview mit dem Wochenmaga­zin Jeune Afrique von diesem Montag: »Die Eliten, seien sie intellektueller oder ökonomischer Natur, müssen sich austauschen, sich treffen, mobil sein können.«
Was den so genannten Eliten recht ist, ist der Masse der Menschen noch lange nicht billig. Denn ein wesentlicher Zweck der UPM wird in der Abschreckung oder Zurücksendung unerwünschter Migranten bestehen. Nirgendwo auf der Welt ist das Wohlstandsgefälle zwischen zwei geografischen Regionen derart stark ausgeprägt wie zwischen dem Nord- und dem Südufer des Mittelmeers, die an der Straße von Gibralter lediglich 15 Kilometer voneinander entfernt sind. In seiner Rede von Toulon hatte Sarkozy ausgeführt: »Weil die nicht beherrschte Einwanderung eine Katastrophe für die Auswanderungs- wie für die Aufnahmeländer darstellt, möchte ich die Frage der illegalen Einwanderung auf der Ebene des Mittelmeerbeckens aufwerfen. So wünsche ich, dass eine Konvention mit allen Mittelmeerländern ausgearbeitet wird, um Abschiebungen zu erleichtern.«
Und dies betrifft nicht nur Migranten aus den unmittelbar südlich oder östlich an das Mittelmeer angrenzenden Ländern, sondern auch Menschen vom übrigen afrikanischen Kontinent, die durch die am Mittelmeer gelegenen Staaten hindurchreisen.
Allerdings möchte Libyens Staatschef Muammar al-Ghaddafi, der seit längerem in diesem Sinne mit Europa kooperiert und den Wachhund abgibt, nun nicht an dem Pariser Gipfel teilnehmen. Ghaddafi wirft dem Projekt vor, »die arabische und afrikanische Einheit« zu spalten – als deren oberster Wortführer er sich gerne aufspielen möchte, obwohl er in seiner politischen Rolle von vielen Afrikanern und fast allen Arabern eher verlacht denn ernst genommen wird. Henri Guiano hält aber daran fest, auch ihn für die UPM gewinnen zu wollen, wie er in einem Interview mit dem Figaro Magazine von Mitte Juni unterstrich.

Andere autoritär geführte Staaten hatten weniger Bedenken, zum Pariser Gipfel zu kommen. Aller Voraussicht nach wird Ägyptens Staats­oberhaupt Hosni Mubarak, neben Frankreichs Nicolas Sarkozy – sofern die EU ihrem derzeitigen Ratspräsidenten für das zweijährige Mandat an der Spitze der UPM eine Vollmacht erteilt –, die Co-Präsidentschaft der neu gegründeten Union übernehmen. Ein anderes polizeistaatlich regiertes Land, Tunesien, dürfte zum Sitz der Institutionen der »Union für das Mittelmeer« auserkoren werden. Und für die Besetzung des Sekretariats sind derzeit Vertreter der marokkanischen Monarchie im Gespräch.
Über die Anwesenheit von Syriens Präsident und Diktator Bashir al-Assad bei der Militärparade am 14. Juli, am auf den Gipfel folgenden Vormittag, gab es in Paris kurzzeitig einen innenpolitischen Streit. Er wurde jedoch schnell wieder beigelegt, obwohl Frankreich – als frühere Protektoratsmacht im Libanon, die dort noch stark präsent ist – in den vergangenen Jahren und insbesondere 2004 heftig mit den syrischen Interessen dort aneinander geriet. Ein Ausgleich mit den französischen Interessen im Libanon zeichnet sich in Syrien ebenso ab wie neue Verhandlungen mit Israel, dessen Truppen ebenfalls zu den umstrittenen Gästen der Pariser Militärparade zählen.
Aber wenn alle Präsidenten und ihre jeweiligen Truppen oder Leibgarden auf den Champs-Elysées marschieren dürfen und dabei Zeichen außenpolitischer »Aussöhnung« setzen, dann wird doch noch alles gut. Aus offizieller Sicht. Dass in vielen der betreffenden Länder gefoltert wird, interessiert dabei nur am Rande. Wer möchte dem französischen Präsidenten schon seinen Nationalfeiertag durch unangemessene Bemerkungen verderben?