Nazi-Überfall auf ein linkes Sommercamp - und was danach geschah

Kein Mikro für die Antifa

Nach dem Überfall von Neonazis auf Teilnehmer eines Sommercamps von Solid, der Jugendorganisation der »Linken«, in Nordhessen ist der Haupttäter geständig. Bei einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus kam es zum Streit zwischen linken und bürgerlichen Teilnehmern.

Die 13jährige Campteilnehmerin, die durch Schläge mit einem Klappspaten schwer am Kopf verletzt worden war, schwebt nicht mehr in Lebensgefahr. Am frühen Morgen des 20. Juli war der Neonazi Kevin S. in ihr Zelt eingedrungen und hatte auf sie eingeschlagen, während sie noch schlief. Der 19jährige Wohnsitzlose konnte noch am selben Tag verhaftet werden, weil Teilnehmer des Camps sich das Kennzeichen des Fluchtwagens der Angreifer gemerkt hatten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat Kevin S. das Verbrechen eingeräumt und mit seiner rechtsextremen Gesinnung begründet. Derzeit erwägt die Behörde, ihn wegen versuchten Mordes anzuklagen und nicht, wie zunächst beabsichtigt, wegen versuchten Totschlags.

In der Woche nach dem Überfall durchsuchte die Polizei 14 Wohnungen von Mitgliedern und Anhängern der Neonazi-Gruppe »Freie Kräfte Schwalm-Eder«, betonte aber, die Aktion habe nichts mit dem Überfall zu tun. Vielmehr sei es bei den schon lange geplanten Durchsuchungen um die Aufklärung zahlreicher Sachbeschädigungen und eines Überfalls gegangen. Sichergestellt wurden dabei mehrere tausend Aufkleber der »Freien Kräfte«, Sprayvorlagen für deren Logos, Computer, Mobiltelefone, Hakenkreuzfahnen sowie eine Gaspistole und mehrere Messer. Der Gruppe seien 30 Mitglieder und Sympathisanten zuzuordnen.
In Schwalmstadt-Treysa kamen am Sonntag rund 450 Menschen zu einer Kundgebung des Bündnisses »Schwalmstadt bleibt bunt«, das die Jusos voriges Jahr ins Leben gerufen hatten. Die Polizei hatte zuvor dafür gesorgt, dass die geplante Demonstration abgesagt wurde, weil sie Ausschreitungen von angereisten Linksradikalen befürchtete. Die Lokalzeitung HNA warnte »wegen der Verletzungsgefahr« zudem davor, Glasflaschen mitzubringen.
Die Teilnehmer der Kundgebung protestierten lautstark und eine Plastikflasche flog, als der Vorsitzende der Gemeindevertretung Neuental, Edgar Bruchhäuser, sich gleichermaßen für die Bekämpfung »rechtsradikaler und linksradikaler Tendenzen« aussprach. Zu einem Gerangel kam es, als der Moderator Vertretern der Antifaschistischen Gruppe 5 aus Marburg das Mikrophon verwehren wollte. Doch die Antifas setzten sich durch und prangerten unter dem starken Applaus von rund 100 Linken an, dass Rassismus und Antisemitismus in weiten Teilen der Bevölkerung fest verankert seien.

Nach der Aussage eines Beamten des Staatsschutzes sei der Überfall auf schlafende Jugend­liche unter den Rechtsextremisten nicht auf positive Resonanz gestoßen. Zwei von ihnen wol­lten sogar mit Hilfe der Behören aus der örtlichen Szene aussteigen. »Die haben jetzt eine Image-Problem«, sagte der Beamte. Der Landrat des Schwalm-Eder-Kreises, Frank-Martin Neupärtl (SPD), sieht vor allem das Land Hessen in der Pflicht. Im Gespräch mit der Jungle World bemängelte er, die Polizeiwachen im Schwalm-Eder-Kreis seien nachts unterbesetzt.
Neben den üblichen Appellen, man müsse ab sofort gegen die Neonazis zusammenstehen, gab es auf der Kundgebung auch nachdenkliche Worte. So räumte Pfarrer Dieter Schindelmann ein, er habe die rechtsextreme Gefahr unterschätzt. Sprecher von Solid, der Jugendorganisation der »Linken«, hatten zuvor kritisiert, dass die Verantwortlichen die Existenz der rechten Szene im Schwalm-Eder-Kreis geleugnet hätten und Gewalttaten immer wieder als »Kirmesschlägereien« abgetan worden seien.
Ungeachtet der Absage der Demonstration liefen anschließend rund 250 Menschen mit Transparenten und Fahnen durch Treysa, Sprechchöre waren zu hören.