Hans Langerhans und der Rätekommunismus

Weltkrieg als Chance

Während viele Links- und Rätekommunisten sich am Defätismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs orientierten, setzte der deutsche Rätekommunist Hans Langerhans auf die Entfesselung eines totalen Kriegs und ein Scheitern der »Friedens­offensiven Hitlers«.

Marx war kein Pazifist, Marxisten sind keine Pazifisten. Marx und vor allem Engels können sogar als große Militärhistoriker des 19. Jahrhunderts angesehen werden. Am Krieg und der Kriegsführung wollten sie vor allem zwei Momente untersuchen: Steigert der Krieg das Vermögen der Arbeiterklasse, das alte Ausbeutungsverhältnis hinter sich zu lassen? Bewirkt der Krieg eine Entfaltung der Produktivkräfte, die dem Kommunismus dann als reife Frucht zufallen? Auch die Rätekommunisten diskutierten angesichts des Zweiten Weltkriegs diese Fragen.
Hans Langerhans, ehemaliges KPD-Mitglied und Schüler von Karl Korsch, schrieb in einem 1939 verfassten Thesenpapier, dass der kommende Krieg als Krieg der totalen Mobilisierung gleichzeitig eine Mine darstelle, die die gege­bene kapitalistisch-monopolistische Form der Gesellschaft sprengen wird. Die Betrachtungsweise des Kriegs läuft bei Langerhans analog zu seiner Betrachtungsweise der kapitalistischen Gesellschaft, in der auch die Produktivkräfte über die Produktionsverhältnisse hinausweisen. So spricht er von »in die totale Mobilmachung eingeschlossenen antifaschistischen Gegenkräften«. Zwar sieht Langerhans eine weltweite Gesellschaft des »Ultraimperialismus« am Entstehen, mit der Drohung, dass bei Ausbleiben einer durchschlagenden Gegenbewegung am Ende ein »planetarischer faschistischer Rat« vorherrsche, doch »der Krieg selbst enthält in der totalen Mobilmachung der Produktivkräfte zu Kriegszwecken bestimmte Tendenzen, die über die Absichten der Staatsmänner hinausgehen und sich dem Generalstabskalkül entziehen«.

Hier beginnt nun eine geschichtsphilosophische Spekulation, die kaum haltbar ist: Die Völker werden in der totalen Mobilmachung zu Arbeitervölkern verwandelt, die totale Mobilmachung läuft auf die autonomen organischen Formen der Arbeit hinaus. Die entfesselte Arbeit und die Arbeiter selbst schießen über das mono­polis­tische Kommando hinaus. Langerhans behauptet nun, dass der anstehende Zweite Weltkrieg nicht entgrenzt und beschleunigt werden würde, sondern dass die monopolistischen Kriegs­herren an einer Lokalisierung und Drosselung des Krieges interessiert seien, um die Entfesselung der Produktivkräfte zu behindern, die »für die Arbeiter die Chance ihrer Befreiung, für die Monopolisten aber die Gefahr des Untergangs« bedeute.
Der deutsche Rätekommunist nimmt damit eine für diese Strömung außergewöhnliche Position ein. Während sich viele Links- und Rätekommunisten am Defätismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs orientierten und einen Krieg prinzipiell ablehnten, setzte Langerhans auf die Entfesselung eines totalen Krieges und hoffte auf ein Scheitern der »Friedensoffensiven Hitlers«. Er begründete dies jedoch nicht mit der besonderen Gefährlichkeit Hitlers, sondern damit, dass ein totaler Krieg die bürgerliche Ordnung der Welt umstürzen würde, denn er rechnete damit, dass »die Ordnung der Arbeit unmittelbar die einzig mögliche Ordnung der Welt« sei. Statt des planetarischen faschistischen Rates als dem möglichen Resultat eines umfassenden, aber monopolistischen Krieges würden die Stoßtruppformen »mobilisierter Arbeitervölker« den planetarischen Rätekongress konstituieren.
Dieser merkwürdigen Einschätzung liegt Langerhans’ Beobachtung aus dem Ersten Weltkrieg zu Grunde, wonach ein neuer Typus von Kämpfer entstanden sei, der nicht mehr mit den alten bürokratischen Generalstabsmethoden der gelenkten Massenheere kompatibel sei. Entstanden sei ein Krieger als Träger eines »general intellect«, als Person, die sich durch »allseitige Beherrschung des Materials« auszeichne und ge­zwun­gen sei, eine Spontanität zu entwickeln, die sich dem bürokratischen Kalkül entziehe. Dieser Typus des Kämpfers habe schließlich auch die spartakistischen Räte ausgerufen.
Die Faschisten reduzierten nun die Stoßtrupp-Form auf die Form »eines in allen Waffengattungen und Sportarten gedrillten Ordens. Sie leiten die totale Mobilmachung in den totalen Staat über.« Langerhans blieb in seiner Perspektive und formulierten Hoffnung auf den Ausgang des Ersten Weltkriegs fixiert, bei dem es zwischen den Arbeitersoldaten zu einer Verbrüderung und einer revolutionären Absage an den Krieg kam, weil diese sich in ähnlicher Lage wiederfanden und im Feind den Klassengenossen wiedererkannten. Dass dies angesichts des Charakters des deutschen Krieges als rassistischen und ­antisemitischen Krieges zur Eroberung von »Lebensraum« ausbleiben musste, konnte Langerhans wegen seiner Ausblendung dieser entscheidenden Ideologien und mörderischen Praktiken nicht in Rechnung stellen. Ob SS-Einheiten oder Wehrmachtsverbände und Polizeieinheiten: An der Vernichtungspolitik waren sie alle beteiligt.
Auch Korsch folgt Langerhans in der Überlegung, dass Hitlers »totaler« Krieg gar kein totaler Krieg sein könne, weil eine totale Mobilisierung der Produktivkräfte an der monopolistischen Verfasstheit der Gesellschaft scheitere. Diesen objektiven Widerspruch meinen beide auszumachen. Langerhans und Korsch sind sich darüber einig, dass eine sich entfaltende Dialektik im Kriegsverlauf selbst am Werk ist, ähnlich wie in der gesamten kapitalistischen Produktionsweise. Der Faschismus folge einer hemmenden, monopolistischen Produktionsweise. So befindet er in einem Brief von Januar 1940 an Paul Mattick, dass Langerhans’ »positive Stellung zum Krieg als einer Form der modernen industriellen Produktion (in antagonistischer Form)« »echt marxistisch« sei und empfiehlt, die grundsätzliche Stellung von Marx zum Krieg zu rekapitulieren. Die mobilisierten Arbeiter in Uniform, so führt Korsch aus, würden ihre demokratischen Illusionen und reformistischen Hoffnungen schließlich verlieren, die bislang an Hitler klebten. Diese spekulative Idee ist freilich absurd, weil sie auch die antikommunistisch-antisemitische Ideologie und oftmals partikular-egoistische Strategien und Interessen, die in nicht geringem Maße von den Arbeitern in Uniform vertreten wurden, ignoriert. Korsch konnte sich offensichtlich nie vollständig lösen von seinen bereits 1924 geäußerten Vermutungen, dass dem Faschismus die Rolle zukommen würde, eine Verschärfung der Klassengegensätze und der Klassenkämpfe zu bewirken.
Doch Korsch hält letztlich doch nichts von der geschichtsphilosophischen Veredelung des totalen Krieges als potenziell revolutionäres Ereignis, das die Hüllen der alten Gesellschaft abstreifen würde. Ganz ungebrochen ist Korschs »dialektischer« Blick auf den Krieg nicht – und er deutet bereits in der Kritik an Langerhans’ Thesen an, dass Marx keinesfalls als Autorität zu behandeln sei. Man solle verhindern, eine Theorie im »grand style« zu entwerfen. In den Mittelpunkt müsse das generelle Problem von Revolution und Konterrevolution gerückt werden, »so auch bei einer etwaigen selbständigen Stellungnahme zu diesem Krieg«.

Korsch bricht mit mehreren Selbstverständlichkeiten im rätekommunistischen und linkskommunistischen Milieu – mit der Periodisierung, die stets auf die Entwicklung der Produktivkräfte setzte und immer eine letzte und notwendige Stufe vor der Revolution ausmachte. Außerdem, so sein schlichter wie richtiger Hinweis, müsse man davon ausgehen, dass in der Entwicklung selbst, also auch der des Kriegs, die Konterrevolution vorherrsche – und nicht etwa eine noch versteckte, verkehrte Form von Befreiung am Werke sei.
Vehement ist ebenso Korschs Kritik an einem nicht überlieferten Artikel von Heinz Langerhans und Leo Friedmann über die Offensive der Alliierten in Nordafrika von 1942. Er kritisiert eine darin zum Ausdruck kommende, historisch schon lange »widerlegte Strategie des revolutionären und evolutionären Marxismus«, sieht in ihrer Darstellung eine »bloße Modifikation einer sonst frisch frei fröhlichen ›participation‹ am Hineinwachsen in die klassenlose und staatenlose Gesellschaft«. Langerhans’ ganze Sprache sei vom Bruch, von revolutionärer Praxis gereinigt und damit eine »bloße Widerspiegelung klassenfeindlicher Progaganda«.
Im Kern zeigen Korschs Diskussionen rund um die Langerhansschen Thesen und die Einschätzung des Zweiten Weltkriegs, dass er sich – im Gegensatz zu Langerhans – nicht ungebrochen auf das Modell einer objektiven Notwendigkeit der Entwicklung der Produktivkräfte bezog. Im Kern ging es Korsch immer um die Entfaltung von Kampfinitiativen der Arbeiterklasse. Dadurch konnte er einen technizistisch-objektivistischen Revolutionsbegriff vermeiden. Dennoch bliebt er noch in wesentlichen Argumenten und theoretischen Prämissen in der offiziellen marxistischen Ideologie befangen. Die Dimension des Vernichtungskriegs, der Steigerung einer gewaltigen Vernichtungskraft, die nicht etwa revolutionär sich wenden ließ, sondern im rassistisch-antisemitischen Massenmord kulminierte, lag auch außerhalb des Verständnisses von Karl Korsch. Anton Pannekoek war 1944 in seinem Werk »Arbeiterräte« ein wenig weiter: Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass durch den »totalen Krieg« die Gesellschaft »auf einen nied­rigeren Stand zurückgeworfen« wurde, was sich in der »Abkehr von militärischen und rechtlichen Normen« ausdrücke. Der totale Krieg negiere und ignoriere das vertraglich festgesetzte Kriegsrecht und »trampelt auf diesen Papierfetzen herum«. Vor allem in den von Deutschland besetzten Ländern komme es zu systematischen Grausamkeiten, hielt Pannekoek fest und nennt die »Misshandlung und Vernichtung der jüdischen Bürger« und der »gesamten nationalen Opposition« in den besetzten Ländern. Die deutschen Soldaten würden dadurch zu einem »Meister und zum Werkzeug der Unterdrückung«. Die Dialektik hatte ausgespielt.