Daniel Hernandez im Gespräch über Angriffe auf Emos in Mexiko-Stadt

Daniel Hernandez: »Elemente des Klassenkampfs«

Im April griffen etwa 800 Jugendliche eine kleine Ansammlung von Emos in Mexiko-Stadt gewalttätig an. Daniel Hernandez, ein amerikanisch-mexikanischer Jour­nalist, dokumentierte und kommentierte die Übergriffe in seinem Blog »Intersections«. Er lebt in Mexiko-Stadt und arbeitet derzeit an einem Buch über Jugend­bewegungen in Mexiko.

Wer waren die Leute, die an dem Übergriff auf die Emos beteiligt waren?

In Queretaro, wo der erste organisierte Übergriff auf Emos in Mexiko stattfand, waren es Jugend­liche aus den Vororten, in Mexiko-Stadt waren es vor allem Punks, Gruftis und Anhänger anderer Subkulturen, die glauben, dass die Emos ihren Stil, ihre Musik und ihre Ideen geklaut haben. Sie werfen den Emos vor, nicht echt oder authentisch zu sein.

Es handelte sich also nur um einen Urheberrechtskonflikt?

Nein, einer der Kritikpunkte, der an den Emos formuliert wird, besteht darin, dass sie Mittel- oder Oberschichtskinder sind, die nicht arbeiten gehen müssen. Die meisten Jugendlichen aus den anderen Subkulturen, die Gruftis, Punks, Metaller und die Skinheads, die Skater oder HipHopper, kommen aus der Arbeiterklasse. Beim Überfall in Queretaro spielten Elemente des Klassenkampfs auf jeden Fall eine Rolle. Wir werden sehen, wie sich diese Situation entwickelt, denn Mexikos Mittelschicht wird immer größer. Das heißt, es gibt immer mehr Jugendliche, die sich amerikanische Mode und Kulturgüter leisten können, und es wird sicherlich weitere Auseinandersetzungen zwischen den eher ländlichen, ärmeren und den städtischen, reicheren Jugendlichen geben.

Den Hass auf die Emos scheint es weltweit zu geben, aber warum kam es ausgerechnet in Mexiko zu den heftigsten Übergriffen?

Etwa 45 Prozent der Mexikaner leben in Mexiko-Stadt, also in einer urbanen Umgebung. Und diese ist schnell, gefährlich, dynamisch, überraschend und komplex. Und dass es die Emos gibt und dass sie mit offener Gewalt bedroht wurden, ist ein Symptom dafür, was es heißt, in dieser Stadt zu leben, die sich gerade in den vergangenen Jahren ständig verändert.

Welche Rolle spielt Homophobie bei den mexikanischen Emo-Hassern?

Eine große, denn Mexiko ist immer noch eine sehr machistische Gesellschaft. Von den Gegnern der Emos wurde die als Schimpfwort gebrauchte Bezeichnung »emosexuell« erfunden, die mit homo­sexuell gleichgesetzt wird. Aber Emos wollen sich sexuell eben nicht festlegen, sondern einfach ausprobieren, was sie gut finden. Und gerade das scheint viele zu ängstigen.

Haben die Emos in Mexiko durch die nationale und internationale Berichterstattung und die weltweite Kritik an den brutalen Übergriffe jetzt eine stärkere Position?

Ich denke schon. Außerdem hatten die Übergriffe absurderweise ein positives Ergebnis. Denn die Emos haben dadurch gelernt, deutlicher zu ar­tikulieren, wer sie sind und wofür sie stehen, während sie vorher nur davon geredet haben, dass sie herumhängen und Musik hören. Außerdem erscheint seit zwei Monaten ein Emo-Magazin, was es vorher nicht gab, in dem sie versuchen, sich über das klar zu werden, was sie darstellen.