Das Olympiastadion in Peking

Liebevoll im Vogelnest

Das Pekinger Olympiastadion ist architektonisch zwar sehr gelungen,
wirft aber gleichzeitig eine alte Frage neu auf: Ist es moralisch verwerflich, wenn Architekten für diktatorische Regimes bauen?

Nur selten sind sich so unterschied­liche Medien wie Spiegel online, Neues Deutschland, n24, Deutsche Welle sowie die meisten Blogger so einig wie beim Pekinger Olympiastadion: Das wird, so heißt es in all diesen Publikationen beharrlich, im chine­sischen Volksmund genannt, in manchen Texten und Berichten kommt dann noch der Zusatz »liebevoll« hinzu. Ein wenig albern ist dieses Andichten des »liebevollen« Namens »im Volksmund« schon allein deswegen, weil bereits während des Architekturwettbewerbs zum Stadionbau das Wort »Vogelnest« gebraucht wurde, Berichte aus dem Jahre 2003 erwähnen bereits, dass das Stadion »an ein Vogelnest erinnern« soll. Bei der »liebevollen« Titulierung durch den »Volksmund« handelt es sich also um schlichte Legende, deren Aussage sein soll: Das chinesische Volk nimmt Olympia und sein Stadion liebevoll auf.
Was Architekten in ihrer Ausbildung unter an­derem lernen, ist die Dampfplauderei, das Verkaufen von Ideen, auch abstrakter und auch mal weit hergeholter Natur plus Begeisterung über sich selber. Und diese Eigenbegeisterung dann anderen Menschen zu vermitteln. In diesem Fall geht die Begeisterung leider über das eigene Werk hinaus. Ebenso wie durch Sportfunk­tio­näre werden durch Architekten die Grenzen der Begeisterung über das chinesische Regime hin ausgedehnt und dieses wird dann nahezu kritiklos mitbejubelt.
Warum soll das Olympiastadion aussehen wie ein Vogelnest? Symbolarchitektur muss bekannt­lich keinen Grund haben, sie muss nur funktio­nie­ren, von den Journalisten verstanden und den Menschen so überzeugend verkauft werden, dass die Symbolik gedankliches Allgemeingut wird.
Das Pekinger Stadion ist spektakulär und äs­the­tisch ausgesprochen gut gelungen, Thema hier soll viel mehr das gedankenlose Dahergequatsche der Kulturschaffenden, in diesem Fall der Architekten Pierre de Meuron und Jacques Herzog, sein.
Im Olympiastadion habe man bewusst viele Nischen schaffen wollen, so Herzog zum Spiegel, es habe »nicht so leicht einsehbar« sein sollen. Dass Kritiker der chinesischen Politik sich nun ausgerechnet konspirativ im Olympiastadion versammeln, ist eine höchst absurde Vorstellung, nicht nur, weil es in Peking, einer Stadt mit 16 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 17 000 Quadratkilometern, auch vor Olympia keinen erkennbaren Mangel an Nischen gegeben hat. Aber Herzog legte unbekümmert noch einen drauf: Sogar als »trojanisches Pferd« möchte der Architekt das Stadion nun verstanden wissen und tut so, als sei der Charakter des Bauwerkes systemsprengend subversiv.
Ehrlicher wäre es gewesen, wenn der Architekt es bei seinem anfänglichen, sehr verständlichen und ehrlichen Statement belassen hätte. »Nur ein Idiot hätte ›Nein‹ gesagt«, sagte er in einem Interview, denn wann eröffne sich einem Planer schon die Möglichkeit zum Entwurf eines Olympiastadions. Dass nun die eigene kleine Legende um diese Entscheidung für den Bau gewoben werden muss, ist vielleicht an­gesichts der anfänglichen internationalen Kritik verständlich, aber eben auch feige.
Olympiastadien sollten schon vor Peking eine gewisse Geisteshaltung zum Ausdruck bringen. Augenfällig die architektonischen Gegensätze bei olympischer Architektur in Deutschland, der von 1936 in Berlin und jener von 1972. Das Stadion in München sollte demokratische Transparenz und friedliche Leichtigkeit symbolisieren, Deutschland wollte endgültig in die so genannte Völkerfamilie zurückkehren und sich auf der dazugehörenden Party entsprechend präsentieren.
Nun stellt sich aber für die wenigsten Architek­ten die Frage, ob sie einen Auftrag zum Bau eines Olympiastadions annehmen würden. Aktuell wird unter Architekten diskutiert, ob man für Diktaturen bauen solle.
Nicht alle sind dabei so strikt wie der international bekannte deutsche Architekt Christoph Ingenhoven, der nicht nur im Hinblick auf das chinesische Olympiastadion erklärte, er habe noch niemals für ein totalitäres Regime gebaut und werde auch in Zukunft nicht für undemokratische Staaten ohne Respekt vor den Menschenrechten arbeiten.
Das Verhältnis zwischen Despoten und Architekten war schon immer ein besonderes. Dik­tatoren faszinierte es, sich in Stein, Beton oder Stahl verewigen zu können, Architekten fühlten sich von der Macht angezogen, um verwirklichen zu können, was immer sie aufs Papier brach­ten.
»Ich baue in China vor allem aus baukulturel­len Gründen, denn es ist ja unbestritten, dass das Land mit Abstand den größten Freiraum für avantgardistische Architektur bietet«, sagte Meinhard von Gerkan in diesem Jahr. Der Architekt Gerkan, der in China den Bau ganzer Städte plant, erklärte, »nahezu alles, was heute an wesentlichen Baudenkmälern auf der Welt ist, ist mehr oder weniger Tyrannen zuzuschreiben«. Aktuell gebe »es in China heute den höchsten Grad der freien Entfaltung für jedes Individuum, trotz aller noch verbliebenen unschönen Dinge«.
Diese etwas im Nebensatz untergegangenen »Dinge«, verniedlichend als die »verbliebenen un­schönen« charakterisiert, sind jene Repres­sio­nen, die in einem autoritären Regime wie dem chinesischen eben vorkommen. Gerkan plant auch das neue Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens, er wird also in unmittel­barer Nähe jenes Platzes bauen, auf dem 1989 die Bewegung von Studenten blutig niedergeschlagen wurde. Dieser Umstand hat, wie es scheint, keinerlei Bedeutung für sein Engagement.
Zur Not muss man sich die Entscheidung, für ein despotisches Regime zu bauen, eben mit Haarspaltereien erleichtern. Denn nicht alle sind so entschieden wie Ingenhoven. Die Saarbrücker Zeitung schreibt über den Diskussionsbeitrag des Architekten Albert Speer, des Sohns von Hitlers Baumeister, zum Thema: »Unterdessen hat sich der Städteplaner Albert Speer in die Diskussion darüber eingeschaltet, ob Architekten auch für eine Diktatur wie China bauen sollten. ›Ich halte die Forderung, in China nicht zu bauen, für Blödsinn. Das ist eine typisch deutsche Anmaßung‹, sagte er dem Kunst­magazin art. Eine Grenze ziehe er jedoch bei Militärdiktaturen. Repräsentationsbauten wie das chinesische Olympiastadion sehe er nicht als Mittel der Propaganda.«
Speer, der in Peking einen ganzen Stadtteil für 50 000 Einwohner baute, macht einen feinen und doch kaum nachvollziehbaren Unterschied zwischen einfacher Diktatur und Mili­tär­diktatur. Für letztgenannte würde er den Blei­stift nicht schwin­gen. Hätte er gesagt, dass er für jeden baue, der ihn bezahlt, dann wäre das noch eine Haltung, die man nicht mögen muss, aber verstehen kann, so wird eine abenteuer­liche Konstruktion daraus. Im Olympia­stadion kann Speer überdies »kein Mittel der Propaganda« erkennen. Das überrascht insofern, als dass die Olympischen Spiele ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk bis ins Detail exakt geplanter politischer Propaganda darstellen. Wenn ein zentrales Element in dieser Inszenierung das Olympiastadion ist, dann ist eine solche Aussage einigermaßen weltfremd.