Die französische Debatte über den Militäreinsatz in Afghanistan

Krieg ist Ansichtssache

Der Tod zehn französischer Soldaten in Afghanistan hat eine Debatte über den französischen Einsatz und die westliche Kriegsführung ausgelöst.

Wozu eigentlich noch in Afghanistan bleiben? Diese Frage wurde in den vergangenen zwei Wochen verstärkt in der französischen Öffentlichkeit aufgeworfen. Derzeit sind rund 3 000 französische Soldaten in Afghanistan stationiert.
Zehn von ihnen starben am 18. August, nachdem ihre Truppe auf einer Passanhöhe in einen Hinterhalt geraten war. Der Zwischenfall ereignete sich in der Region von Saroubi, circa 50 Kilometer östlich der Hauptstadt Kabul. Dort, im Nordosten Afghanistans, kommen »Aufständische« – wie sie in der französischen Presse allgemein bezeichnet werden –, afghanische Taliban oder internationale Jihadisten aus dem Umfeld von al-Qaida, über die pakistanische Grenze.

Es handelt sich um den mit Abstand schwersten Verlust für die französische Armee seit langem. Denn der Schwerpunkt französischer Interventionen ist der afrikanische Kontinent, wo die Armee normalerweise Operationen mit solch hoher technologischer Überlegenheit durchführt, dass ihre eigenen Soldaten selten gefährdet werden. Noch nie seit dem Kolonialkrieg in Algerien starben so viele französische Soldaten auf einmal bei Kampfhandlungen.
Der Tod der zehn Soldaten ließ Fragen über das Verhalten der französischen Armeeführung aufkommen. Diese hatte zunächst behauptet, neun der im Hinterhalt getöteten Soldaten seien unmittelbar zu Anfang des Feuergefechts umgekommen. Die Berichte der Überlebenden, die ein Repor­ter von Le Monde in einem Krankenhaus in Kabul einholte, führten allerdings dazu, dass diese Version schnell infrage gestellt wurde. Der Konvoi, in dem die Soldaten sich befanden, sei demnach einen ganzen Nachmittag ohne Schutz und Deckung geblieben, und die Soldaten seien im Laufe mehrerer Stunden nacheinander gestorben. Die verletzten Soldaten berichteten ferner, dass ihnen die Munition ausgegangen sei und dass die Luftangriffe der angeforderten Nato-Kampfflugzeuge ihr Ziel verfehlt und stattdessen französische Soldaten getroffen hätten. Weitere Details, die etwa durch die Wochenzeitung Le Canard enchaîné öffentlich wurden, geben zu Zweifeln Anlass. So wurde bekannt, dass der afghanische Dolmetscher der Truppe wenige Stunden vor dem Einsatz kurzfristig und spurlos verschwunden war. Der Abgetauchte hatte mutmaßlich die »Aufständischen« über das Vorrücken des Konvois informiert. Auch fand keinerlei Luftaufklärung im Vorfeld des Konvois statt.
Kritik gab es auch an den US-Amerikanern, zu deren Ablösung die französischen Soldaten in die Nordostprovinz Kapisa entsandt worden waren. Ihnen wird vorgeworfen, ihre nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Satellitenbilder nicht, oder nur mit erheblicher Verzögerung, mit den französischen Verbündeten geteilt zu haben. Die afghanischen Soldaten der Regierungsarmee wiederum, die sich ebenfalls in dem attackierten Konvoi befanden, sollen bereits nach den ersten Schüssen schnell das Weite gesucht haben.
Alles in allem ergibt sich ein Bild, wonach die Vorhut der französischen Truppe in gewisser Weise verheizt worden ist. Sie war auf eine serpentinenreiche Gebirgsstraße entsandt worden, die die beiden nunmehr von Frankreich übernommenen afghanischen Provinzen Kabul und Kapisa miteinander verbindet, aber nur von geringem strategischem Interesse ist, da noch andere Verbindungswege existieren. Zudem verfügen die französischen Soldaten im Afghanistan-Einsatz oft nur über eine geringe Ausbildung und schlechte Kenntnis etwa über den Umgang mit Sprengfallen, die dort häufig sind.

Die politischen Entscheidungen von Präsident Nicolas Sarkozy trugen zu dieser Situation nicht unerheblich bei. Im April 2007, zwischen den beiden Durchgängen der französischen Präsidentschaftswahl, hatte der damalige konservative Kandidat einen Rückzug aus Afghanistan in Aussicht gestellt. Diese Ankündigung des als sehr pro-amerikanisch und pro-interventionistisch geltenden damaligen Präsidentschaftsbewerbers hatte viele Beobachter überrascht. Sie sollte sein Image bezüglich seines außenpolitischen Kurses ausgleichen. Damals befanden sich ferner zwei französische Geiseln in den Händen der Taliban, Eric Damfreville und Céline Cordelier. Aus wahltaktischen Gründen wollte Sarkozy einen möglichst schnellen, glücklichen Ausgang dieser Geiselaffäre erreichen, der auch erfolgte.
Doch bald nahm er sein Versprechen zurück. Ende März dieses Jahres kündigte er vor dem britischen Parlament seine Absicht an, das französische Kontingent bei der internationalen Afghanistan-Truppe Isaf zu verstärken. Zu Hause waren allerdings die französischen Parlamentarier nicht um Rat gefragt worden. In Frankreich muss zwar das Parlament einer Kriegserklärung zustimmen. Eine »Auslands­operation«, die nicht als »Krieg« deklariert wird, muss hingegen nicht im Parlament beraten oder abgestimmt werden.
Sarkozy und die meisten französischen Spitzenpolitiker tun deswegen alles, um den Eindruck zu erwecken, in Afghanistan finde überhaupt kein Krieg statt, sondern nur eine Art routinemäßiges Patrouillieren. Unterdessen führen aber die US-Amerikaner, die sich durch ein härteres Vorgehen auszeichnen, die Taliban und internationale Jiha­disten einen realen Krieg, der eine erhebliche Anzahl von Toten unter der Zivilbevölkerung gefordert hat. Darauf sind die französischen Soldaten oft nur ungenügend vorbereitet.

Die jüngsten Ereignisse haben in Frankreich erhebliche Zweifel an Sinn und Zweck des Einsatzes in Afghanistan ausgelöst. Zugleich wird die Art und Weise der westlichen Kriegsführung, kurz nach der Bombardierung mit offenbar 90 toten afghanischen Zivilisten – unter ihnen 60 Kinder – in Azizabad Mitte August, stark in Frage gestellt. Der französische Generalstabschef Jean-Louis Georgelin wird beispielsweise im Canard enchaîné mit den Worten zitiert: »Ein Übergriff wie in Azizabad füllt die Reihen der Taliban auf.« Die Zeitschrift zitiert auch den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, demzufolge »Bombardierungen von Zivilisten, brutale Hausdurchsuchungen und willkürliche Verhaftungen« durch Koalitionstruppen eine ähnliche Wirkung hätten.
Ausführliche Berichte aus Afghanistan in Le Monde enden unterdessen mit der Feststellung, dass der Krieg in dem Land, das zu über der Hälfte von den Taliban und ihren Verbündeten kontrolliert wird, derzeit durch die westlichen Mächte – jedenfalls rein militärisch – kaum oder nicht zu gewinnen sei.
Staatspräsident Sarkozy gibt sich weiterhin als Hardliner. In einer Rede vor dem Pariser Invaliden­dom betonte er 24 Stunden nach der Ehrung der gefallenen Soldaten in Kabul abermals seine Entschlossenheit zum Verbleib der Truppen in Afghanistan. Frankreich kämpfe dort für »eine gerechte Sache«, für Freiheit und Demokratie und gegen »die obskurantistische Barbarei«, sagte er.