Deutsche Soldaten im Ausland

Direkte Aktion ohne Tabus

Am Freitag stimmt der Bundestag darüber ab, ob die Bundeswehr ein weiteres Jahr lang an der Operation Enduring Freedom teilnehmen soll. 10 000 deutsche Soldaten sind in aller Welt im Einsatz.

An militärischen Interventionen im Irak werden wir uns nicht beteiligen.« Fast täglich wiederholen Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joseph Fischer vor den Fernsehkameras diesen Satz aus Wahlkampfzeiten. Doch wie glaubhaft ist die Weigerung angesichts der gerade in der rot-grünen Regierungszeit erweiterten Präsenz deutscher Truppen in den Kriegs- und Krisengebieten der Welt?

Noch 1993 warnten Vertreter beider Parteien wegen der Teilnahme deutscher Soldaten an Überwachungsflügen zur Durchsetzung eines Flugverbots über dem ehemaligen Jugoslawien vor einer »Militarisierung der deutschen Außenpolitik«. Das ist Vergangenheit. Im Sommer dieses Jahres sagte Schröder, Fischer sei es zu verdanken, dass das heikle Thema der Auslandseinsätze »enttabuisiert« werden konnte. So verfünffachte sich seit 1998 die Zahl der im Ausland eingesetzten Bundeswehrsoldaten auf rund 10 000. Rechnet man die Vor- und die Nachbereitung hinzu, sind rund 50 000 Soldaten dauerhaft durch Auslandseinsätze gebunden.

Am kommenden Freitag werden die 603 Abgeordneten im Bundestag namentlich darüber abstimmen, ob der Einsatz von maximal 3 900 Soldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom um ein Jahr verlängert wird. Schon während der ersten Lesung des Antrags am Donnerstag der vergangenen Woche zeichnete sich eine Mehrheit dafür ab.

So konnte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) stolz verkünden, Deutschland werde den Krieg gegen den Terror an der Seite der USA und anderer Verbündeter »so lange fortsetzen, wie es erforderlich ist«. Schließlich bestehe auch in Deutschland die Gefahr eines terroristischen Angriffs. Selbst die zu erwartenden Gegenstimmen aus den Reihen der Grünen und der PDS werden die Militäraktion nicht stoppen können, denn in diesen Fragen gibt es inzwischen eine große Koalition. Die FDP und die Union wollen sich diesmal »ihrer Verantwortung nicht entziehen«, betonte der Liberale Friedrich Nolting.

Seine Kompromissbereitschaft hat inzwischen sogar Christian Ströbele von den Grünen angekündigt. Selbst wenn er den Einsatz in Afghanistan und eine weitere Stationierung der ABC-Spürpanzer in Kuwait ablehne, werde er als verantwortungsbewusster Koalitionspolitiker die knappe Mehrheit der Regierung berücksichtigen.

Doch haben die Abgeordneten überhaupt noch einen Überblick darüber, wo in aller Welt Bundeswehrsoldaten mit ihrem Segen stationiert wurden? In Bosnien etwa besteht das deutsche Sfor-Kontingent zurzeit aus 1 550 Soldaten. Ihr Einsatzgebiet ist der Bereich der von den Franzosen geführten multinationalen Division Südost um Sarajevo. In diesem Gebiet versuchten in der Vergangenheit mehrfach Einheiten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), mutmaßliche Kriegsverbrecher festzunehmen.

Für die Kfor im Kosovo stellt die Bundeswehr 4 600 Soldaten. Dieser mit Abstand größte deutsche Verband im Ausland ist in einem Feldlager bei Prizren stationiert. Erst Ende Oktober wurde der Einsatz von 220 Soldaten in Mazedonien im Rahmen der Nato-Mission Amber Fox verlängert. Obwohl die Regierung in Skopje nur um eine Stationierung bis zum 15. Dezember bat, betonte Struck: »Wir dürfen Mazedonien nicht zu früh sich selbst überlassen.« Bei der so genannten Unimog-Mission in Georgien sind elf Soldaten als Beobachter tätig.

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht gegenwärtig jedoch der so genannte Antiterroreinsatz unter der Führung der USA in Afghanistan, vor Somalia und in Kuwait. Die Bundeswehr beteiligt sich seit dem Januar dieses Jahres mit 1 200 Soldaten an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf), 180 dieser Soldaten sind in Usbekistan stationiert.

Am Einsatz Enduring Freedom sind nach neuesten Angaben derzeit 1 150 deutsche Soldaten beteiligt. Das stärkste Kontingent ist ein Marineverband mit zwei Fregatten, neun weiteren Schiffen und drei in Kenia stationierten Seeaufklärungsflugzeugen, der am Horn von Afrika die Seewege kontrolliert. Daneben machen 100 Soldaten der KSK in den Bergen Afghanistans Jagd auf wirkliche oder vermeintliche Terroristen. Ein Teil dieses Mandats sind auch 52 Soldaten einer ABC-Abwehreinheit, die mit ihren Spürpanzern in Kuwait stationiert sind.

Generalleutnant Friedrich Riechmann, der Leiter des neuen Einsatzführungskommandos in Potsdam-Geltow, das all diese Missionen zu leiten und zu koordinieren hat, ließe es inzwischen gerne langsamer angehen. Die Bundeswehr könne wirklich keine weiteren Auslandseinsätze auf sich nehmen, wenn nicht anderswo Kräfte abgezogen würden.

Doch davon kann keine Rede sein. Nachdem Ende Oktober gezielt Berichte über den Frust des Kommandos Spezialkräfte lanciert worden waren, weil die Männer sich als Hilfstruppe der US-Amerikaner angeblich unterfordert fühlten, folgten Anfang November ministerielle Maßnahmen. Ein Abzug aus Afghanistan kommt natürlich nicht in Frage. Die Kommandosoldaten erhalten nun einen erweiterten Kampfauftrag und sollen künftig nicht mehr nur in Begleitung von US-Truppen an Einsätzen mitwirken.

Waren die Männer bislang vor allem für die Aufklärung und die Feindbeobachtung zuständig, sollen die Soldaten des KSK künftig »direct action« genannte Kampfeinsätze in eigener Verantwortung übernehmen. Den Spezialkräften soll dazu ein eigener Sektor zugewiesen werden, der direkt an die Hauptstadt Kabul grenzt, wo die Bundeswehr ebenfalls agiert. Der Auftrag des KSK könnte fortan darin bestehen, nahe Kabul tätig sein. Deutschland zeige damit seine Bereitschaft, »umfassende militärische Verantwortung zu übernehmen«, wie Struck es formulierte.

Vermutlich wirft der Irakkrieg hier seine Schatten voraus. Die US-Truppen werden an den Golf verlegt, die Deutschen treten an ihre Stelle. In dieses Szenario passt auch die Übernahme der Führung der Afghanistan-Schutztruppe (Isaf) im Februar oder März durch das Deutsch-Niederländische Korps. Deshalb will Verteidigungsminister Struck die Truppe in Afghanistan weiter aufstocken - um 800 Soldaten auf über 2 000 Mann. Die Bundesregierung will die Übernahme der Isaf-Mission wohl vor allem als Signal an die USA verstanden wissen, dass sich Deutschland auch weiterhin am »Kampf gegen den Terrorismus« beteiligen werde. Deutschland müsse sich nicht verstecken, sagte Struck vor seinem Besuch in den USA in der vorigen Woche, denn mit 10 000 Soldaten in Auslandseinsätzen stelle es das zweitgrößte Kontingent aller Nato-Länder.

Und auch sonst wird eine »Armee im Einsatz« vorbereitet. Es werden nicht nur neue Waffen wie Fregatten der Baureihe 124 angeschafft, die neben der Besatzung Platz für weitere Militärstäbe haben, um umfassende »Operationen« überall auf der Welt leiten zu können. Selbst an eine neue Propagandatruppe für Auslandseinsätze wurde gedacht. Erst im Oktober wurde dazu ein Zentrum für Operative Information in Mayen in der Eifel eröffnet. Die Spezialisten sollen in den Einsatzgebieten »auf gegnerische Streitkräfte, Sicherheitsorgane, Konfliktparteien und auf die Bevölkerung fremder oder gegnerischer Staaten kommunikativ einwirken«, erklärte der Vizeadmiral Bernd Heise.

Nicht zu vergessen ist auch eine von Bundeskanzler Schröder betriebene Revision des Genehmigungsverfahrens der Militäreinsätze durch das Parlament. Bereits auf der Kommandeurstagung im April in Hannover sprach sich Schröder für ein Entsendegesetz aus, das Auslandseinsätze ohne die vorherige Zustimmung des Bundestages ermöglichen würde. Die Regierung hätte dann freie Hand. Im kommenden Jahr soll das so genannte Parlamentsbeteiligungsgesetz verabschiedet werden.