Der staatliche Kampf gegen Alkohol und Nikotin

Ein Prost auf die Prohibition

Zwei »Nationale Aktionsprogramme« sollen den Konsum von Nikotin und Alkohol erheblich einschränken. Welchem Zweck dient der Kampf gegen die Alltagsdrogen?

Ein Freund erzählte kürzlich von einer Party von Kunst- und Modeleuten in einem Club in Mailand. Er habe dort, das wiederholte er mehrmals, wirklich jede denkbare Droge bekommen können. Um aber eine Zigarette zu rauchen, musste er vor die Tür gehen, und dort noch einige Meter weiter, bis hinter eine Art Demarkationslinie.
Ähnliches wird aus Paris berichtet, nur dass man in Frankreich noch einen Schritt weiter gegangen ist in der Ächtung herkömmlicher Drogen. In Frankreich gibt es bereits ein generelles Werbeverbot für Wein. Es besteht nicht nur auf dem Papier. Redaktionen, die aus alter Gewohnheit Wein loben oder anderweitig Texte über ihn veröffentlichen, werden drastische Strafen angedroht, Hersteller, die öffentlich auf ihre leckeren Erzeugnisse aufmerksam machen wollen, mit Pornografen verglichen.

Dagegen scheinen die Verhältnisse hierzulande noch freizügig zu sein. Die Bestimmungen zum Rauchen in der Öffentlichkeit sind diffus und je nach Bundesland verschieden. Wer in irgendwelchen Kolumnen Wein anpreist, wie es in etlichen Zeitungen und Magazinen üblich ist, muss keine rechtliche oder öffentliche Gängelung befürchten.
Das ist unter den Maßgaben der Gleichbehandlung in der Europäischen Union selbstverständlich unfair. Auf dem Weg zur Vereinheitlichung von Markt, Recht und Mensch besteht Handlungsbedarf in Deutschland. Deshalb lädt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing von der SPD, am 15. September zu einer Anhörung in das Bundesgesundheitsministerium. Gegenstand der Zusammenkunft sind zwei »Nationale Aktionsprogramme« zur Nikotin- und Alkoholprävention. 60 Verbandsvertreter, Experten und Politiker aller Fraktionen werden in dem Ministerium über so genannte Empfehlungskataloge verhandeln, die von einer Facharbeitsgruppe »Suchtprävention« verfasst wurden. Der Inhalt lässt sich kurz zusammenfassen: Durch Steuererhöhungen sollen die Preise sowohl für Tabak als auch für Alkohol langfristig und regelmäßig deutlich erhöht werden. Ziel ist ferner ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte in sämtlichen Medien. Auch sollen die Deutschen nicht mehr so viel Alkohol trinken. Mittelfristig soll der Konsum von derzeit durchschnittlich zehn Litern auf acht Liter pro Jahr und Bundesbürger gesenkt werden. Um dieses Vorhaben zu unterstützen, sollen die »Alkoholwerbung ganz verbannt und Sponsoringmaßnahmen der Alkoholindustrie vollkommen unterbunden werden«.
Die Aussicht auf letztgenanntes kann einem als Freund der tropischen Regenwälder durchaus Freude bereiten: Die Vorstellung, dass das Brauunternehmen Krombacher und Günter Jauch, die in einer Werbekampagne für jeden gekauften Kasten Bier den Schutz eines Quadratmeters Regenwald versprachen, endgültig die Dschungelgebiete Amazoniens und des Kongo in Ruhe lassen müssen, hat etwas sehr Angenehmes.
Aber mit einer derart individuellen Genugtuung lässt sich dem vollständigen »Nationalen Aktionsprogramm« leider nicht begegnen. So kommen die Empfehlungen u. a. offensichtlich ohne Empirie aus. Wer einmal erlebt hat, wie in Oslo, Trond­heim oder Reykjavík nahezu alle jungen Menschen ab Freitagabend alles daransetzen, spätestens am Sonntag nicht mehr auf zwei Beinen stehen zu können, und schon die ganze Woche in Vor­freude auf dieses Wochenendvergnügen verbringen, wird sich keine Illusionen darüber machen, dass hohe Preise den Alkoholkonsum einschränken könnten. So blöd, dies anzunehmen, kann nicht einmal die SPD sein, die ja traditionell sehr gute Verbindungen zu den skandinavischen Ländern unterhält.

Was sollen die geplanten Maßnahmen des Bundes­gesundheitsministeriums also bezwecken? Warum geben Länder in der EU ein über Jahrhunderte erprobtes Modell im Umgang mit Drogen auf und wählen den Weg in die Prohibition? Und warum schränken Gesellschaften, in denen andauernd über fehlende Arbeitsplätze lamentiert wird, einen Produktionszweig, der sehr vielen Leuten ein Auskommen verschafft, derart ein? Um die immensen Folgekosten des Nikotin- und Alkoholmissbrauchs zu senken, heißt die Antwort meist, und um den Leuten, wenn sie es schon nicht selbst einsehen wollen, zumindest den Zugang zu den alltäglichen Drogen zu erschweren.
Schön und gut: Rauchen ist gesundheitsschädlich und Alkoholismus eine schreckliche Krankheit. Nur – und da wird es etwas kompliziert – handelt es sich eben auch um Drogen, die seit überaus langer Zeit bekannt und gebräuchlich sind. »Auch schädliche Drogen bilden Kultur«, hat der Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler kürzlich in einem langen, mit Detlef Kuhlbrodt geführten Gespräch über das Rauchen in der Taz gesagt. Und die Geschichte der Verfeinerung von Stoff und Konsum kann man für Bier, Whisky und Wein von den frühmittelalterlichen Klöstern bis zu den derzeitigen Produktionsstätten um Bordeaux oder in den schottischen Bergen verfolgen. Wenn es um die Herstellung von Alkohol geht, kann man von Kultur im besten Sinn sprechen
Zudem gibt es menschliche Gesellschaften nicht ohne Drogen. In allen wurden Drogen konsumiert, und auch wegen der Gefahren, die diese mit sich bringen, ist der Genuss an Riten, Gebote und Verbote gebunden. Diese regeln nicht nur die Zeiten und Orte der Einnahme, sondern bestimmten auch, welche Drogen zulässig sind. Den verträglichen Umgang mit ihnen müssen sich Gesellschaften und ihre Mitglieder in einer langen Geschichte und aus tradierten Erzählungen aneignen. Die verheerenden Auswirkungen des Alkohols auf die Gesellschaften der nordamerikanischen Ureinwohner sind da ein bekanntes, aber schon nicht mehr so gutes Beispiel, weil es historisch ist. Ein besseres Beispiel für das Aufkommen unbekannter oder, besser gesagt, nicht durch Traditionen kontrollierter Drogen ist die Verbreitung von Heroin in Italien am Ende der siebziger Jahre. Recht schnell gab es 1977 nach den Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den Studenten und Arbeitern in Bologna kein Haschisch mehr, sondern nur noch Heroin. Die Droge fand unverzüglich Konsumenten. Das hatte die für den Staat gute Nebenwirkung, dass die Bedröhnten keinen Ärger mehr auf Demonstrationen machen konnten.

Der Einzug des Heroins in Italien ereignete sich in einer Zeit, in der die Enttäuschung über eine ausbleibende gesellschaftliche Veränderung groß war und darüber hinaus alte Produktionsformen wie die Fließband- und Fabrikarbeit von neuen abgelöst wurden. Die ökonomischen Veränderungen wurden also auch von solchen in der Drogenkultur begleitet. Einen derartigen Wandel in der Drogenkultur scheint Deutschland derzeit herbeiführen zu wollen. Denn wenn selbst in Frankreich schon die mediale Erwähnung von Wein untersagt ist, hat man hierzulande anscheinend einiges nachzuholen.
Dabei berühren die Aktionsprogramme den Umlauf anderer Drogen als Alkohol und Nikotin überhaupt nicht. »Noch nie waren Drogen so billig und leicht verfügbar wie heute. London, Mailand und Berlin werden überschwemmt von Rauschgift. In Afghanistan werden unter den Augen der Nato Opium-Rekordernten eingefahren«, berichtete der Mafia- und Drogeneexperte Misha Glenny vor einigen Tagen in einem Interview auf Spiegel online. Er fügte hinzu, dass »schon bald chemische Drogen den Weltmarkt überschwemmen werden, die viel billiger und einfacher herzustellen sind«, als alles, was bisher bekannt sei.
Der Umgang mit solchen Drogen ist dann freilich nicht erprobt, noch sind ihre gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen unbekannt. Da das Rauchen vielerorts verboten und der Alkohol teurer wird, dürften neue chemische Substanzen genügend Abnehmer finden. Ihre Produktion ist nicht mehr an Weinberge oder Tabakplantagen gebunden. Man kann sie einfach in jedem Labor herstellen, die Rohstoffe liefern Ciba Geigy, Bayer oder Schering. Den Markt für die neuen Stoffe schafft neben anderen die SPD durch ihren Kampf gegen die traditionellen Arbeiterdrogen wie Zigaretten und Bier.