Zum tod von Siegfried Unseld

Der BRD-Verleger

Der Tod Siegfried Unselds geht nicht nur Angehörige der so genannten Suhrkamp-Kultur an, mit ihm wurde auch ein Stück der alten Bundesrepublik begraben.

Schon einige Monate vor dem Tod Siegfried Unselds wurde das Erbe aufgeteilt. Nicht nur dass, wie es der Verlagspatriarch selbst verfügt hatte, sein Anteil am Verlag in die Familienstiftung von Siegfried und Ulla Unseld eingebracht wurde. Auch in der Kontroverse um Martin Walsers Schmierenstück »Tod eines Kritikers«, in dem der Freund seinen zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankten Verleger sterben ließ, und anlässlich einer im Sommer erschienenen ersten großen Unseld-Biographie, beschäftigten sich die Feuilletons mit der Zukunft des Verlages.

Er selbst wurde, für viele überraschend, von dem legendären bärbeißigen Verleger Peter Suhrkamp zu seinem Nachfolger bestimmt. Er war 1952 auf Vermittlung Hermann Hesses, über den er promoviert hatte, in den Verlag gekommen, hatte dort anfänglich einen unsicheren Stand, vermochte es aber recht bald, mit seinem gewinnenden Wesen und seinem charmanten Taktieren zu einem wichtigen Mitarbeiter des alten Suhrkamp zu werden. Als Unseld vom Ullstein Verlag abgeworben wurde, machte Suhrkamp ihn zum de jure gleichberechtigten Partner, de facto blieb aber Suhrkamp der alleinige Herr im Haus. Erst auf dem Totenbett, so will es die Legende, vertraute Suhrkamp, der Unseld allerdings zuvor bereits bei den Geldgebern des Verlages eingeführt hatte, ihm den Verlag wirklich an.

Seit 1959 führte Siegfried Unseld allein die Geschäfte, und er tat das mithilfe zweier Führungsgremien, des Kreises seiner Lektoren, dem die ganzen sechziger Jahre hindurch der hervorragende Walter Boehlich vorstand, und eines Autorenkreises, der aus Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser, Max Frisch, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas bestand. Hinzu kam, gewissermaßen als »Außenberaterin«, Ingeborg Bachmann, die erst in den siebziger Jahren nach einem Streit von ihrem bisherigen Hausverlag, dem Piper Verlag, zu Suhrkamp wechselte.

Unseld hatte weder die Autoren Grass und Böll unter Vertrag noch verfügte er - trotz Brecht und Hesse - über eine dem Rowohlt oder S. Fischer Verlag vergleichbare Backlist. Doch er schaffte es, mit vorausschauenden Käufen und dank seiner Beharrlichkeit im Aufbau noch weithin unbekannter Autoren, dass sein Verlagshaus bald einflussreicher als die einst vergleichbaren Häuser Neske, Luchterhand oder Piper wurde und plötzlich mit Großverlagen in Konkurrenz treten konnte.

War Unseld in den sechziger Jahren für viele noch ein Parvenü, so war er in den siebziger Jahren bereits ein Heros im Literaturbetrieb, in den Achtzigern war er bereits eine Legende. Man hatte Angst vor ihm, der sich stets persönlich für die von ihm geliebten Autoren einsetzte, gleichzeitig aber auch stets den »Verrat« seiner Autoren fürchtete.

Unseld schaffte es wiederholt mit diversen Taschenbuchreihen und geschickten Coups, dass von einer »Suhrkamp-Kultur« geredet wurde. War ein Buch, das als Hardcover oder als Taschenbuch in der Gestaltung von Willy Fleckhaus erschien (und dann oft wie ein Hardcover behandelt wurde), nur mittelmäßig, so wurde es in den Feuilletons bereits als große Enttäuschung gehandelt. Zugleich konnte bei Suhrkamp, mit dem Patriarchen im Hintergrund, auch regelmäßig Belangloses erscheinen, und es wurde oft dennoch wie ein Ereignis gefeiert.

Zudem war der Verleger auch als Geschäftsmann sehr geschickt. Durch den Erwerb einer eigenen Druckerei machte sich Suhrkamp unabhängig, durch die vielfache Verwendung einiger Texte in immer neuen Ausgaben wurde die eigene Backlist gnadenlos ausgeplündert, konnten Preiserhöhungen kaschiert und Titel im Buchhandel stets neu präsentiert werden. Mit der Gründung des Deutschen Klassiker Verlages, der Übernahme des Jüdischen Verlages und dem kurzen Engagement beim Berlin Verlag drohte Suhrkamp schließlich zu einem wirklichen Konzern zu werden.

Doch bei allem geschäftlichen Geschick und bei allen Tricks blieb Suhrkamp stets ein Autorenverlag, und nur sehr selten verließen Autoren das behütete Heim und dienten sich anderen Verlagen an. Unseld selbst sorgte mit seiner Person dafür, dass der gute Ruf gewahrt blieb. Er setzte auch Brecht, so wie er ihn gerade wollte, im Literaturbetrieb und an den Schulen durch. Die oft fragwürdige Editionspraxis bei Werkausgaben von Benjamin, Adorno oder Wittgenstein, die auch kleinere Werke als bedeutende Schriften präsentierte, half ihm bei dem Unterfangen, »Klassiker der Theorie« zu schaffen. Und dadurch, dass man Heiner Müller oder jüngst Arno Schmidt posthum anwarb, schaffte es Unseld tatsächlich, den Suhrkamp Verlag zum wohl bedeutendsten deutschen Verlag des 20. Jahrhunderts zu machen. Andere Verleger, die stets auch Kompromisse mit dem Massengeschmack machen mussten, sahen neben Unseld, der selbst Isabell Allendes Werke als literarische Meisterleistungen zu vermarkten wusste, stets ziemlich mickrig aus.

Dass Unseld ein großer Geistesmensch war, lässt sich nicht sagen. Seine eigenen Aufsätze und Bücher sind ordentlich, doch erzählen sie selten Neues. Sein später von ihm entmachteter Lektor Boehlich war ihm jedenfalls intellektuell überlegen, und Unselds Verständnis für die neue Literatur der siebziger Jahre war nicht besonders ausgeprägt. Dennoch ist es widerlich, so wie es Martin Walser anlässlich der Beerdigung Unselds am vergangenen Samstag tat, dem Verlager nachzurufen, dass er »der untheoretischste Mensch« gewesen sei, »den ich in diesen Kulturgefilden getroffen habe«.

Walser, der ja seit zwei Jahrzehnten das Erdige für die Deutschen wiederentdeckt, behauptet, Unseld sei nicht nur - was immer das meint - »praxisreich, wirklichkeitsreich« gewesen, nein: »Er ist nie ins Abstrakte oder bloß Wertende ausgewichen. Das ließ seine Lebendigkeit nicht zu. Der Lebendige will sich nicht auf Begriffliches reduzieren und nicht ins Urteilen retten. Der Lebendige ... das ist, was ich an ihm hatte.«

Walser kann sich in seiner Autoreneitelkeit nicht vorstellen, dass Unseld für ihn einen Ton fand, der ihm schmeichelte. Mit Adorno redete Unseld anders, für Handke wiederum wird er eine weitere Form der Ansprache gehabt haben. Es ist eine Verlegertugend, den Autoren und Lektoren, die ja die Warenproduktion übernehmen, stets in einer Weise zu begegnen, die ihnen - bei allem Streit - Souveränität zusichert. Nur so ist auch der von Unseld in den siebziger Jahren abgebügelte Versuch des Lektorats zu erklären, den Verlag und dessen Hierarchie »demokratisieren« zu wollen.

Unseld war kein Linker. Er war nur oft mutig, er ließ sich - und das wurde zu einem Problem für den Verlag in den neunziger Jahren - vom Zeitgeist nicht kirre machen, und er war vor allem kein klassischer Manager. Siegfried Unseld war ein Leser, und er hat es über 30 Jahre lang geschafft, seine Idee von guter Literatur gegen Marktwiderstände zu behaupten.

In den letzten Jahren seines Lebens zerrieb er sich im Nachfolgestreit. Er konnte offensichtlich auch die extremen Veränderungen in Deutschland nach dem Mauerfall nicht erfassen, wo, da der Kapitalismus nun alternativlos war, nun auch auf einen besonders feinsinnigen kulturellen Überbau verzichtet werden konnte. Er konnte seine Autoren nicht mehr begreifen, die diese Umwandlung begeistert nachvollzogen und, wie im Falle Walsers, mit dem Gründungskonsens der alten BRD auch gleich ihren Verleger abschreiben wollten.

Sowohl die oft hanebüchene und von wirtschaftlicher wie literarischer Unkenntnis geprägte erfolgreiche Unseld-Biographie wie auch der Streit um Walsers letztes Buch, von dem Unseld auf Anraten der Ärzte nicht in Kenntnis gesetzt worden sein soll, beweisen, dass die alte BRD endgültig verschwunden ist. Verlage werden heute allein von Managern geführt, Buchhandelsketten ebenso, für Literaturliebhaber bleiben die Nischen. Mit Siegfried Unseld ist der letzte deutsche Großverleger, der noch einen Literaturbegriff der Moderne pflegen wollte, gestorben.