Ausstellung über Antonin Artaud in Wien

Wo innen außen ist

In Wien ist eine Hommage an den Künstler Antonin Artaud zu sehen.

Dass Artaud als Ausstellung stattfindet, mag an Tabus rühren«, schrieb die österreichische Tageszeitung Standard zur Eröffnung im Wiener Museum Moderner Kunst am 7. September. Man möchte gerne fragen, an welche.

»Es mag die Gralshüter des Rätsels erschrecken«, lautet die geheimnisvolle Antwort, »all jene, die sich ihn absichtsvoll angeeignet haben, um aus seinem Rotz einfältige Widerstandsfiguren, Vorläufer ihrer selbst, zu zimmern.« Als Gralshüter der Gegenwart empfindet man eine Hommage an eine Ikone der Moderne, deren Werk seit Jahrzehnten in theaterwissenschaftlichen Seminaren durchgekaut und in der Psychologie von einer Diagnosebank auf die nächste geschoben wird, möglicherweise aber als wenig gewagt. Im Gegenteil, man fragt sich wohl eher, warum man eine historische Ausstellung besuchen sollte, wenn der Museumsneubau auch andere anspruchsvolle Sammlungen parat hält, die sich auf unsere Zeit beziehen. Doch besticht diese Materialsammlung durch zweierlei.

Zum einen ist sie gelungen; sie ist umfangreich und doch nicht ausufernd, detailversessen, aber nicht besserwisserisch. Ein biografischer Parcours mit Schaukästen, die den Hauptausstellungsraum bis zur Mitte füllen und eng machen, führt von Artauds künstlerischen Anfängen in den zwanziger Jahren bis zu seiner letzten Lebensphase in einem Sanatorium nahe Paris. Die Dokumente - Fotos, Manuskripte, Bücher und Zeitschriften - wurden gut strukturiert, bescheiden kommentiert und mit der richtigen Dosis an Zitaten von Zeitgenossen versehen, um dieses auf der einen Seite für die Moderne exemplarische, auf der anderen in seiner ins Pathologische reichenden Extremität doch einzigartige Künstlerleben plastisch werden zu lassen. Hinzu kommt, dass erstmals die cahiers ausgestellt werden.

Diese erst um 1943 begonnenen Aufzeichnungen - Artaud war Patient in der Anstalt von Rodez, wo er mit Elektroschocks behandelt wurde - bleiben hinter Glas, doch wurden sie Seite um Seite digitalisiert und sind auf zwei Bildschirmen zu sehen, die sich an den Rändern des Hauptraums befinden.

Überhaupt erwartet den Besucher das Interessanteste am Rand. Dort hängen die »Schicksalsbotschaften« von 1939, in denen Artaud sich mit bewegenden Worten etwa an Sonia Mossé (»Sie haben meine internierte Welt zum Schlottern gebracht, Sie haben mich zu Tode verletzt«) und auch an den »Chancelier du Reich«, Adolf Hitler, wendet (»Die Pariser brauchen Sie«). Der Betrachter hat die Möglichkeit, die in der Anstalt offenbar aus einem Notizbuch herausgerissenen Seiten von vorne und von hinten anzusehen.

In den sorts vermischen sich Text, Zeichnung und Magie. Die Schrift wurde teilweise mit Kritzeleien übermalt, an manchen Stellen ist sie auch von Brandflecken zerstört, die von Zigaretten verursacht wurden. Diese Briefe scheinen somit nicht die Aufgabe gehabt zu haben, ihren Adressaten verbal auf der rationalen Ebene zu etwas zu bewegen, sondern mit einer Art Bann zu beeinflussen. (Die von Artaud verfluchte Malerin und Schauspielerin Sonia Mossé kam später in einem Konzentrationslager ums Leben, wie Bernd Mattheus schreibt, der auch darauf hinweist, dass der Arzt Dr. Léon Fouks von seinem Patienten ein positives Behexungsschreiben mit »beschützender Funktion« bekam.)

Die verbleibenden drei Wände des Hauptraums sind behängt mit Selbstporträts und mit Porträts von Personen, die dem Künstler nahe standen. Während die Selbstporträts sein ganzes Leben begleiten, begann er mit letzteren erst rund drei Jahre vor seinem Tod. Unzweideutig stellen die Bilder das Herz der Ausstellung dar.

Doch war der Kuratorin Cathrin Pichler klar, dass Artauds Zeichnungen ohne eine Einbettung in das Gesamtkunstwerk, das dieser Mensch darstellte, nicht authentisch wirken können. So hat sie in drei Nebenräumen auch den Schauspieler und Schriftsteller zum Leben erweckt. An zwei Orten werden Stummfilme vorgeführt, wobei »Mathusalem« aus dem Jahr 1926 Artaud von seiner humorvollen Seite zeigt. Als Bischof führt er betend und gen Himmel blickend einen Katafalk an, der von einer Trauergemeinde gezogen wird, die sich auf Tretrollern fortbewegt. Je weiter man kommt, desto mehr gerät man in Streit, wovon der Geistliche nichts bemerkt, der schließlich alleine entschwindet, während die hinter ihm stehen gebliebenen Trauernden wütend aufeinander eindreschen.

Besonders beeindruckend ist aber eine mittels Video simultan übersetzte Tonaufnahme von 1948, dem Todesjahr des Künstlers, auf der Artaud seinen Text »Schluss mit dem Gottesgericht« vorträgt: manchmal flüsternd, manchmal kreischend oder schreiend, und meist in fast unerträglich hoher Tonlage. Wenn man nun seine Zeichnungen betrachtet, gellen seine Ausführungen über die »Mikroben«, die »Kastration« und die »Grausamkeit« aus dem Nebenraum und verhindern so, dass man im Geist die Bilder von Artauds Stimme und Gedanken löst. Hierin liegt die eigentliche Leistung der Hommage.

Sie macht dem Betrachter bewusst, dass Zeichnungen wie »Die Gehenkte« und »Der Galgen des Abgrunds« von 1945 oder »Der Mensch und sein Schmerz« von 1947 in einem Spannungsfeld zwischen »Dokumenten« des eigenen leidenden Innenlebens, wie es Artaud 1946 einmal sagte, und eigenständigen Kunstwerken stehen. Ihre Ästhetik oszilliert zwischen etwas Aufzeichnendem, Tagebuchhaftem und dem frei Schöpferischen hin und her.

So trägt das Bild »Die Projektion des wahren Körpers« von 1947/48 sogar ein Datum, das des 18. November 1946. Es zeigt einen an Händen und Füßen mit Handschellen gefesselten Menschen, der an einer Leine geführt wird, die von einer unentwirrbaren Menschengruppe gehalten wird. Dichte, wütende schwarze Kritzeleien haben wie in den »Schicksalsbotschaften« das darunter Liegende an dieser Stelle ausgelöscht, nur ansatzweise sind noch die Gliedmaßen eines Mannes zu erkennen, der den Gefangenen führt. Artaud ist der Gefangene, aber er ist auch derjenige, der (mit seiner Kunst) den Gefangenen aus der Realität entführt. Denn »diese Seite der Welt« ist »nicht mehr lebensfähig, und sie ist vollständig verseucht«, wie er im Jahr 1940 an die frühere Geliebte Génica Athanasiou schrieb. Doch wirklich »fortzugehen«, wie er es in diesem Brief fordert, ist nicht möglich.

Die Ausstellung will diesen Widerspruch nicht auflösen. Zwar bleibt sie ganz der klassischen Moderne verhaftet und wagt keinen Link zu heutigen »Widerstandsfiguren«, die sich auf Artaud beziehen. Doch macht die Hommage seine ihm eigene Problematik als Mensch und Künstler für ein heutiges Publikum erfahrbar. Besonders eindringlich kann dadurch ein Selbstporträt von 1946 wirken, in dem ein vom Schmerz gezeichnetes und doch eigenartig entrücktes, fast körperloses Gesicht von der Wand blickt.

Hommage an Antonin Artaud. Bis 17. November im Wiener Museum Moderner Kunst, Museumsplatz 1