Über den Bestseller der Business-Literatur »Die 4-Stunden-Woche«

Nichts für Busfahrer

Timothy Ferris hat mit seiner »4-Stunden-Woche« einen Bestseller der Business-Literatur vorgelegt.

Wer sein Leben lang in Vorfreude auf einen genuss­vollen Ruhestand arbeitet, macht alles verkehrt. Er ­leidet, findet jedenfalls Timothy Ferriss, unter dem Erwachsenen-ADS, dem »Abenteuer-Defizit-Syn­drom«. Ziel sollte vielmehr sein, die 20 bis 30 Jahre, die einem Nor­malsterblichen heut­zutage als Ruhestand vergönnt sind, auf regelmäßige »Mini-Ruhestände« zu verteilen. Das ist eine der Maximen, die der 31jährige Unternehmer Ferriss in seinem Buch »Die 4-Stunden-Woche. Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben« aufstellt. Es ist ein Buch darüber, wie man radikal seine Arbeitszeit verkürzt und dadurch erheblich an Lebensqualität gewinnt – allerdings hat­te Ferriss keineswegs den Anspruch, ein Modell zu entwickeln, das gesamtwirtschaftlich funktioniert. »Die 4-Stunden-Woche« ist vielmehr ein Verhaltenskatalog für vermeintlich pfiffige Individuen.
Seinen Jüngern verspricht der Ratgeber-­Autor den Zugang zu einer »Subkultur«, die er die »Neuen Reichen« (NR) nennt. Diese wollten gar keine Millionäre sein, sondern nur wie welche leben, sie seien anders sind als die »Alten Reichen« (AR), die, bedingt durch zuviel Stress und zu starken Kaffeekonsum, schon früh vergreisen und gar keine Zeit haben, ihren Reichtum auszukosten. Wie groß die neue »Subkultur« ist, vermag man sich allerdings auch nach der Lektüre von »Die 4-Stunden-Woche« nicht so recht vorzustellen.
Ferriss ist Boss der Firma Brainquicken, die Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Mit seinem Buch richtet er sich auch an gleichgesinnte Chefs, nämlich solche, »die Unternehmen be­sitzen und keine Zeit dafür aufwenden möchten« und denen es reicht, wie ein Verkehrspolizist gelegentlich regulierend ins Geschehen einzugreifen. Der Autor glaubt, es sei fortschrittlich, als Unternehmer so eine Haltung einzunehmen, aber er vergisst dabei, dass es diesen Typus im Kapitalismus seit Ewigkeiten gibt: den reichen oder auch mittelreichen Chef, dessen Arbeits- und Führungsseifer sich in Grenzen halten, so lange der Laden läuft.
Allen Unternehmern rät Ferriss erst einmal, sich von der Devise, das Kleinvieh auch Mist macht, zu verabschieden und zu lernen, dass für den Großteil des Umsatzes nur ein sehr kleiner Teil der Kunden verantwortlich ist: »Das wichtigste Ziel heißt, maximales Einkommen durch geringstmöglichen Einsatz (und das bedeutet auch eine minimale Anzahl von Kunden).« Ferriss beruft sich dabei auf den Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Vilfredo Pareto (1848 bis 1923) und seine »80-zu-20-Regel«, die sich unter anderem dahingehend interpretieren lässt, dass man 80 Prozent seines Umsatzes mit 20 Prozent der Produkte macht.
Der Autor, eine Art trockener Workaholic, hat seine Firma so organisiert, dass sie funktioniert, obwohl er ständig durch die Welt reist, in Buenos Aires Guinness-Rekorde im Tangotanzen aufstellt und in Fernost in mehreren Fernsehserien mitspielt. Seine wichtigster Ratschlag: Outsourcen, outsourcen, outsourcen! Korrespondenz- und Auftragsabwicklung, Terminvereinbarungen, Online-Recherchen, Web­seitenpflege und Ähnliches – für Ferriss erledigen das kostengünstige »Virtual Assistants« aus dem indischen Bangalore beziehungsweise Mitglieder einer »mit allen Excel-Wassern gewaschenen indischen Armee«, wie es Gastautor A. J. Jacobs vom Magazin Esquire formuliert.
Die Business Week wies darauf hin, dass Ferriss’ Buch einen Outsourcing-Boom bei Kleinbetrieben ausgelöst hat. Mittlerweile globalisieren sich nicht nur Konzerne, sondern auch der Autohändler in Queens/New York, dessen On­line-Verkaufsplattform in Brasilien entwickelt wurde, oder der Immobilienmakler in San Fran­csisco, der sein Grafikdesign in Portugal und das Datenbank-Management in Indien erledigen lässt. Die Zeitschrift nennt solche Firmen »Micro-Multinationals«. Als besonders erfolgreichen Dienstleister nennt Business Week die im Bereich Online-Design tätige Firma Webgrity aus Kalkutta, die pro Stunde zwischen einem und 1,20 Dollar in Rechnung stellt. Das mag ver­lockend klingen für kleine Firmen, die sich keinen teuren Online-Auftritt leisten können – aber wie ein Alptraum für die Webdesigner der Ersten Welt. Daran verschwendet einer wie Ferriss keinen Gedanken. Dass seine indischen Partner zwischen vier bis zehn Dollar pro Stunde berechnen, wie er in seinem Buch erwähnt, ändert an der Problematik im übrigen wenig.
Auch Angestellte könnten Zugang bekommen zum NR-Paradies, schreibt Ferriss. Ihnen gibt er unter anderem den Ratschlag, Meetings unbedingt zu meiden, und das wirkt schon fast nied­lich. Die Binsenweisheit, dass Konferenzen ineffizient sind, weil sie die Mitarbeiter von den wirklich wichtigen Dingen abhalten, verkauft Ferriss als große Erkenntnis. Des Weiteren gelte es, Home-Office-Lösungen aushandeln und dabei so effektiv zu arbeiten, dass der Chef glaubt, das sei das Beste für die Firma. Und ob man dann tatsächlich zu Hause arbeite oder sich in Wahrheit im Skiurlaub oder in den Flitterwochen in China befinde und dort nebenbei sein Pensum erledige, könnten der Chef oder die Kunden ja nicht wissen, denn Anrufe kann man ja bekannt­­lich umleiten. Man merkt schon: Für Busfahrer oder Klempner ist dieses Buch nicht geschrieben.
Von ähnlicher Güte wie der Tipp, sich vor Meetings zu drücken, ist auch dieser: Wer Mails und Anrufe nur zweimal am Tag zu festgelegten Zeiten beantworte, mache einen wichtigen Schritt ins richtige Leben, proklamiert Ferriss. Man merkt also auch: Für Menschen, die mit Informationen arbeiten, hat Ferriss dieses Buch ebenfalls nicht gemacht.
Hinzu kommt: Ferriss’ Weg vom Arbeitstier zum Lebenskünstler ist kaum repräsentativ. Seine finanzielle Ausgangsbasis bei seinem Eintritt ins neue Dasein erlaubte ihm ein gewisses Risiko, hatte er bis dato doch lange monatlich 40 000 Dollar im Monat mit Brainquicken verdient, vielleicht auch 70 000, die entsprechenden Angaben dazu variieren. Auch mit den Geschäftsideen, die er den Neuen Reichen in spe empfiehlt, hapert es. Sie beziehen sich auf Produkte, deren Herstellung und Vertrieb wenig kosten. Ideal seien beispielsweise Ratgeber auf Hörbuch oder DVD. Einfach einen Experten zu einem verkaufsträchtigen Thema interviewen, einen »Virtual Assistant« beauftragen, das Ganze zu transkribieren, und fast fertig ist die Laube. Mag sein, dass sich in diesem Bereich ohne viel Aufwand viel verdienen lässt, aber wenn man schon reich respektive neureich werden möchte, dann vielleicht doch auf etwas glamourösere Art.
Obwohl der ideologische Überbau, falls überhaupt vorhanden, ziemlich brüchig ist: Provokant-unterhaltsam ist »Die 4-Stunden-Woche« allemal, vor allem für ein Buch aus dem Ratgeber-Genre. Die eine oder andere plausible Anregung zur Arbeitsreduzierung ist drin, und außerdem kostet der Spaß ja nur 16,90 Euro. Wer weiß, welche Honorare Halunken nehmen, die zu solchen Themen Seminare veranstalten? In den USA hat sich das Buch 500 000 Mal verkauft, der Autor ist mittlerweile ein Star der Blogosphäre (fourhourworkweek.com), und die User von wired.com haben Ferriss im Frühjahr zum »größten Selbstpromoter aller Zeiten« gewählt, weit vor Steve Jobs und Richard Branson. Vermutlich zu Recht.

Timothy Ferriss: Die 4-Stunden-Woche. Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben. Aus dem Amerikanischen von Christoph Bausum. Econ, München 2008, 341 Seiten, 16,90 Euro