Kollektivpsychosen I

Sammler auf den Müll!

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Sammler haben einen an der Waffel. Mit denen stimmt was nicht und zwar ganz gewaltig. Ich meine hier keine Kunstsammler. Die haben zwar oft auch einen an der Klatsche, aber geldgierige Sammler muss man echt ausnehmen von jenen, die etwas ganz besonders mögen und deshalb alles zum Thema sammeln. Das ist nicht nur eine Macke, das ist eine Form von Wahnsinn. Es hat nämlich keinen Sinn, Dinge zu horten, die keinen anderen Zweck erfüllen, als eines unter vielen zu sein. Sammeln ist eine Krankheit und gehört in Irrenanstalten behandelt, und solange das nicht möglich ist, zumindest bestraft.

Sobald eine Sammlung ansehnlich geworden ist, gewinnt der Größenwahn die Oberhand. Die Sammlung soll vermehrt, mehr, mehr, mehr und mehr und damit am meisten werden. Darum geht's beim Sammeln. Um pure Angeberei. Sammeln wird mit Leistung verwechselt und Leistung mit Bedeutung. Deswegen sind Sammler in der Regel Menschen ohne nennenswerte Eigenschaften. Hausfrauen und Rentner also. Oder es sind Menschen, die es nicht zu echtem Prestige bringen und Ansehen imitieren. Hausfrauen und Rentner also. Sie stopfen ihre Wohnungen voll, reden über nichts anderes mehr als ihren Plunder und gehen den Mitmenschen mit dem Pseudowissen über ihr Faible auf die Nerven.

Schnell halten sie sich für Fachleute, gründen Stammtische und Vereine, und wenn jemand so leichtsinnig ist, mal einen Gegenstand zu betrachten, wird er schonungslos zugetextet. Sagt man gar »schön«, weil einem grad nichts anderes einfällt, dozieren Sammler stundenlang. Bis sie keinen Besuch mehr bekommen, von Verwandten verleugnet werden, ihnen die Ehepartner davonlaufen, die Nachbarn sie nicht mehr grüßen.

So gesehen liegt im Sammeln etwas durchaus Nützliches. Persönlich ist mir nur ein Fall bekannt, der seine Frau aus purer Selbstverteidigung in den Freitod sammelte, um sie nicht töten zu müssen. Die Frau war nicht sehr beliebt, und er gilt bis heute als ehrenhafter Mann.

In der Regel wird nichts gesammelt, was irgendwie von Wert wäre. Nicht von echten Sammlern. Echte Sammler sehen gerade in vollkommen Wertlosem echte Werte, die sie durch Masse zu steigern wissen, bis sie sehr frühe ihrer Sammelobjekte für wertvoll halten. Sie sammeln Bierdeckel, Zuckerpapierchen, Plastiktüten, Flaschenöffner, Streichholzschachteln, Lady Di oder andere Tiere in jeder Form und Weise, allen voran: Katzen und Igel. Weil die so lieb sind.

Es gibt Menschen, die in ihren Wohnungen Müll horten. Menschen, die es nicht übers Herz bringen, alte Zeitungen wegzuwerfen, sondern sie lieber über Jahre hinweg bis zur Decke stapeln. Sie wollen sich alle Optionen für die Zukunft offen halten. Einerseits wissen sie, dass sie kaum dazu kommen werden, all die Tausende von Zeitungen jemals durchzublättern, andererseits würden sie todunglücklich, wenn eine Zeitung, in der sie dereinst lesen wollen würden, fehlte. Genau genommen sammeln sie Glück. Sie nennen Hunderte von Pizzaschachteln ihr Eigen, weil man sie vielleicht noch einmal gebrauchen könnte. Sie haben ganze Räume mit Müll gefüllt. Räume, von denen sie nicht mehr so genau sagen können, ob noch andere Familienmitglieder darin leben. Neben dem vordergründigen Müll besitzen solche Menschen in der Regel einen ganzen Schrank voll Gummibänder und Pfandflaschen im Wert mehrerer Luxusreisen. Oft halten sie mühevoll einen schmalen Gang von der Haustür zum Bett frei.

Solche Menschen stehen anderen Sammlern in nichts nach! Sie unterscheiden sich in nichts von den Hirnverbrannten, die mit zigtausend Teekannen zusammen leben. Man nennt sie Messies, verwechselt sie mit Menschen, die so dumm sind, dass sie nicht einmal mit dem Aufräumen zurechtkommen, ruft Feuerwehr, Polizei, Notarzt. Die lokalen Zeitungen schreiben bedauernswerte Berichte, in denen Messies zu Pennern hochstilisiert werden, die gleich mit ihrem ganzen Müll entsorgt gehören.

Es steht aber niemandem zu, bei nutzlosen Sammelgebieten einen qualitativen Unterschied zu machen. Vorlieben sind Sache des Einzelnen, nicht seines Betrachters. Wenn der eine krank ist, ist es der andere auch. Alle Sammler sind Messies und Messies gehören auf den Müll!

Man sollte eine Art Vernunftgrenze für Sammlungen ziehen. Ist sie überschritten, muss sofort gehandelt werden. Diese Grenze ist ganz einfach daran zu erkennen, dass ein Sammler ins Privatfernsehen kommt oder ein eigenes Museum gründet, also ins Privatfernsehen kommt.

Nun mag es überraschen, dass ich selbst Sammler bin, seit einigen Jahren schon. Es ist allerdings ein recht ausgefallenes Gebiet, dem ich mich verschrieben habe. Die egozentrischsten Sammler unter den Sammlern sammeln entweder Sammlungen oder aber Dinge, von denen sie annehmen, niemand sonst sammele sie. Zu ihnen gehöre ich. Wir wollen nicht glänzen gegen andere, uns nicht mit ihnen messen, wollen nicht tauschen. Wir wollen Einzigartigkeit.

So sammelte ich zunächst Eselsohren aus Büchern berühmter Autoren. Originaleselsohren. Ich kaufte in Antiquariaten nur solche Bücher von Grass, Mann, Böll, Mann, Fontane, Mann, Mann und Mann und allen anderen, aus denen ich ausschließlich die Eselsohren herausschnitt, oft noch an Ort und Stelle. In einigen Antiquariaten habe ich deswegen Hausverbot. Die Eselsohren wurden schön gerahmt und ordentlich beschriftet. Das tat ich einen Sommer lang, musste aber feststellen, dass es sehr viele berühmte Autoren gibt, noch mehr olle Bücher von ihnen, mit noch mehr Eselsohren. Obwohl Freunde von meiner blöden Idee total beeindruckt waren und ich mich gerne belügen lasse, war es nicht das, was ich wollte.

Zufällig entdeckte ich bei meinem Nervenarzt ein Lineal mit ekelhaften Krankheiten drauf. Gesichter und Füße von Menschen, mit hässlichen Schwellungen und widerlichen Wunden. Das war es! Nur leider fand ich nie wieder ein abstoßendes Lineal und musste mir eingestehen, dass eine Sammlung, die aus nur einem Gegenstand besteht, keine ist. Ich war kein Sammler, sondern Besitzer.

Dann endlich stieß ich auf das Sammelgebiet, das meinen Ansprüchen genügte. Ich sammele abstruse Zubereitungsmethoden auf Lebensmittelverpackungen. Über die Jahre habe ich zwei Stücke aus der ganzen Welt zusammengetragen. Das eine aus der Tiefkühltruhe von Spar, das andere aus dem Kühlregal von Minimal.

Mein erstes Sammelobjekt ist ein tiefgefrorener Pflaumenkuchen, der sich durch drei Arten der Zubereitung auszeichnet. Unter Zubereitungsmethoden steht da tatsächlich nach Mikrowelle und Backofen: »bei Zimmertemperatur (20 Min. auftauen lassen)«. Das zweite Objekt ist eine Tüte gestiftelter Edamer, auf der groß draufsteht: »Zum Kochen, Backen und Streuen.« Streuen ist eine herrliche Zubereitungsmethode, leicht zu erlernen und überall anwendbar, besonders im Winter, bei Glatteis.

Als Nebenobjekt meines Sammelgebietes besitze ich einen Ausriss aus einem Supermarktprospekt, auf dem Hackfleisch angeboten wird mit dem Hinweis: »vielseitig verwendbar«. Ich wüsste seitdem zu gern, wozu, außer zum Kochen, man Hackfleisch eigentlich noch verwenden kann ...

Sammeln erfüllt. Und wirklich gefährdet bin ich wohl nicht.

iven.fritsche@hamburg.de