Der Film »Der Baader Meinhof Komplex«

Die Roter Teppich Fraktion

Authentisch, glamourös, relevant möchte die Verfilmung von Stefan Austs ­»Baader-Meinhof-Komplex« sein. Und vor allem will der Edel-Streifen mit einem gigantischen Verschleiß an deutschen Stars das letzte Wort zum Thema ­haben. Zehn Jahre in 150 Minuten. Die vielen Terroristendarsteller winken da meist nur kurz in die Kamera.

Im Jahr 1985 veröffentlichte Stefan Aust den »Baader-Meinhof-Komplex«, das Buch wurde ein Bestseller und führte danach ein unscheinbares Leben in den Kiefernholzregalen deutscher Wohnzimmer. Obwohl die Geschichte über die RAF durchaus plastisch und drastisch geschrieben war, fand sie nicht den Weg in die Kinos. Das muss Herrn Aust sehr gekränkt haben. Dementsprechend groß war seine Erleichterung, als Bernd Eichinger und Uli Edel, die bereits Anfang der Achtziger mit der Literaturverfilmung »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« Erfolge gefeiert hatten, endlich eine Adaption seines Buches planten.
»Meine Reaktion war: ›Wird aber auch Zeit!‹ Ich hatte schon 20 Jahre darauf gewartet, dass Bernd Eichinger mir anbietet, ›Der Baader-Meinhof-Komplex‹ zu verfilmen«, wird Aust im Presse­info zitiert. Das Konzept des Films und der Medienhype erinnern auf unangenehme Weise an eine andere Produktion von Eichinger: »Der Untergang«, auch hier eine absolute Starbesetzung. Die Voraussetzung dafür, sich im »Baader-Meinhof-Komplex« als historische Figur verkleiden zu dürfen, ist die Auszeichnung mit mindestens einem Filmpreis. Die Interviews mit den Filmemachern durchzieht ein Tremolo der Dringlichkeit, als hätten alle bisherigen Versuche, die RAF auf der Leinwand zu inszenieren, keine Relevanz. Eichingers Parole für diesen Film lautet, dass hier erstmals der »Mythos RAF« gebrochen werde. Regisseur Edel betont, dass jetzt endlich gezeigt werde, wie es wirklich war, und verwendet dabei den Begriff der Authentizität, die durch eine möglichst genaue Rekonstruktion der historischen Fakten entstehe. Dabei müsste er eigentlich wissen, dass das Medium Film anders funktioniert. Im Kino gibt es keine Authentizität, die Beschränkung auf möglichst viel gesichertes Datenmaterial bedeutet nicht nur die Aufgabe der fiktionalen Freiheit, sondern verhindert auch die Entwicklung einer Ökonomie des Erzählens.
Die Premiere von »Christiane F.« wurde für damalige Verhältnisse von einem gigantischen Medienecho begleitet, der Film wurde einer ganzen Elterngeneration als geradezu lebensnotwendiger pädagogischer Ratgeber angepriesen. Im Jahr 2008 setzen vor allem die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die den »Baader-Meinhof-Komplex« zu einem nicht unwesent­lichen Teil mitfinanziert haben, noch eins drauf. Der Erwerb einer Kinokarte wird quasi zum staatsbürgerlichen Pflichtprogramm erhoben, endlich soll sie also da sein, die adäquate Auseinandersetzung mit einem zentralen Kapitel der bundesdeutschen Geschichte, ganz bequem im Kinosessel. Das Problem ist nur: Der Staat bzw. seine damalige Regierung finden in diesem Film nicht statt.
Die Repräsentation reduziert sich auf den Polizeiapparat und dabei vor allem auf die Figur Horst Herold, der als BKA-Chef die Rasterfahndung erfunden hat. Bruno Ganz spielt ihn als älteren, leicht schrulligen Herrn, der seinen jungen Untergebenen mit der Geste des fürsorglichen Familienvaters im Büro eine warme Mahlzeit serviert und sie mit orakelhaften Aussagen zum Terrorismusthema unterhält. Ein väterlicher Staat, mit Weisheit gesegnet. In einer kurzen Tagesschau-Sequenz wird Helmut Schmidts Appell an die Vernunft der Schleyer-Entführer eingeblendet. Das kann man schon als Ausblenden von Wirklichkeit verstehen, keine Krisensitzungen, keine hysterischen Bundestagsdebatten, keine Anti-Terrorgesetzgebung und kein Franz-Josef Strauß, der vorschlägt, die Stammheim-Häftlinge hinzurichten. Den Verzicht auf die legislative Dimension kompensiert der Film, indem er die Zeit von 1967 bis 1977 durch einen Durchlauferhitzer jagt. Die Ereignisse des Jahrzehnts werden chronologisch aneinandergereiht, weiterführende Erläuterungen vermeidet die Dramaturgie, was vor allem im Hinblick auf ein jüngeres Publikum vollkommen sinnlos ist.
Der Film beginnt mit einem Strandurlaub der Familie Meinhof-Röhl auf Sylt. Diese Idylle dauert jedoch nur einen winzigen Moment, im direkten Anschluss wird das Publikum mitten in die Anti-Schah-Demonstration am 2. Juni 1967 in Berlin katapultiert. Die Kameraperspektive von Rainer Klausmann, der schon bei Fatih Akins »Gegen die Wand« sein Gespür für die Darstellung von Gewalt bewiesen hat, schafft einen Eindruck von Unmittelbarkeit. Jubelperser und Polizei stürmen mit ihren Knüppeln frontal in das Sichtfeld des Zuschauers, dieser Effekt macht ganz dünnhäutig, man fühlt sich den Bildern ausgeliefert, und die Geschwindigkeit des Films lässt es keine Sekunde zu, irgendeine Form von Abstand zu dieser gewaltigen Bildmaschine zu finden. Auf die Ermordung von Benno Ohnesorg folgt eine Versammlung im Audimax, danach der Anschlag auf Rudi Dutschke. Studentenbewegung und APO werden angetickt und abgehakt. Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf der Anklagebank im Frankfurter Kaufhausbrandprozess, schnell noch die Baader-Befreiung, und schon ist die RAF entstanden, und das Leben im Untergrund beginnt. Es folgen Bank­überfälle, Bombenanschläge, eine Verfolgungsjagd, alles möglichst laut und blutig, danach sind die Mitglieder der ersten RAF-Generation entweder tot oder im Gefängnis. Angesichts dieser atemlosen Diktion entwickelt der Zuschauer eine Sehnsucht nach Präzision, einem genaueren Blick, der Art von Ruhe und Konzentration, wie sie Christian Petzold bei der »Inneren Sicherheit« hatte.
Das Filmpersonal taucht auf und verschwindet, viele Figuren sind nur schwer mit ihren realen Vorbildern zu identifizieren. Wazu überhaupt diese Starbesetzung, wenn der Film seinen Darstellern nur ein Minimum an Zeit gönnt? Stipe Erceg bleiben gefühlte drei Minuten für seinen Holger Meins. Der Hungertod gerät zu einer eindrucksvollen Jesus-Ikonografie, im Zusammenhang mit der hektischen Überleitung zur Botschaftsbesetzung in Stockholm, wirkt das einfach nur irritierend. Mit Ausnahme von Ulrike Meinhof wird auch den Hauptfiguren wenig Raum gegeben. Martina Gedeck zeigt in der Rolle exemplarisch den Ausstieg aus der bürgerlichen Welt, begleitet von Zweifeln, zögerlicher Nachdenklichkeit und wachsender Radikalisierung, und natürlich beherrscht sie das und bringt es auf den Punkt.
Dieser Sonderstatus tritt auch in der Verhaftungsszene überdeutlich hervor, während die anderen Mitglieder in den Zuständigkeitsbereich des üblichen Polizeipersonals fallen, blickt bei ihrem weinenden Zusammenbruch eine Gruppe von Anzugträgern mitfühlend auf sie herab. In Austs Darstellung der RAF ist Gudrun Ensslin der Gegenpart zur Meinhof-Figur, die Pastorentochter mit heiligem Eifer und einem unbedingten Willen zur Tat. Johanna Wokalek sprengt diese Rolle, ihre heisere Stimme kippt in den richtigen Momenten, ihre Körpersprache zieht alle Register, zwischen gazellenhafter Leichtigkeit, Erstarrung und matter Fragilität. Beim Blick auf die Frauen und die Geschlechterrolle bewegt sich der Film auf rein spekulativem Terrain, beispielsweise wenn sie in amüsiertes Gelächter ausbrechen, weil dem Auto-Fetischisten Andreas Baader der Mercedes geklaut wird, oder Ensslin Ulrike Meinhof weckt, indem sie ihr sanft über die Wange streicht.
Neben den dezenten feministischen Verweisen, muss dieser Film, der auch ein bisschen schick sein möchte und vor allem von der Angst vorangetrieben wird, bloß nichts zu vergessen, natürlich auch die Ebene der popkulturellen Referenzen erwähnen. Den Part übernimmt Moritz Bleib­treu, er zeigt Coolness, Lässigkeit und gelegentlich cholerische Aussetzer, die meistens von kumpelhaften Versöhnungsgesten abgelöst werden. Dieser Baader ist das spielerische Verbindungselement der Gruppe, mit machohaften Attitüden, wenn es um die Cheffrage geht. Eigent­lich sieht man Moritz Bleibtreu mit etwas mehr Testosteron. Auf eine dämonische Baader-Version hatte er wohl keine Lust, und diese Verweigerung hilft der Dramaturgie, die sich ansonsten viel zu oft im Klischee verliert.
Im letzten Drittel des Films gehen die ohnehin spärlichen Interpretationsansätze dann endgültig verloren. Die zweite Generation der RAF wird als kindliches Killerkommando skizziert, angeführt von Brigitte Mohnhaupt, die bei Nadja Uhl zu einem Roboter mutiert, der seine Befehle aus dem 7. Stock in Stammheim empfängt. Im Stakkato eilt der Film zu den Attentaten auf Ponto und Buback, danach Fernsehaufnahmen von Mogadischu, die Ermordung Schleyers, alles im Sekundentakt. Für die Toten in Stammheim findet die Regie das Bild des nebelverhangenen Gefängnisses und Mohnhaupts Worte: »Sie sind keine Opfer und sind es nie gewesen. Hört auf sie so zu sehen, wie sie nie gewesen sind.«
Der Film ist mit dem Anspruch angetreten, eine völlig neue Dimension für Diskussionen und filmische Darstellung der RAF zu liefern. Die Frage ist: Welche Relevanz hat ein historisch überfrachteter Actionfilm, dessen Szenen nur mühsam mit einem sehr undifferenzierten Gewaltbegriff zusammengehalten werden? Dass Terrorismus viel mit Gewalt zu tun hat, ist wirklich keine bahnbrechende Erkenntnis, dazu muss man sich schon eine differenzierte Haltung erarbeiten. Nach diesem Film weiß man zumindest, dass es sinnlos ist, diese Jahre in einen Zeitraffer zu packen, ohne Auswahlkriterien. Mit ihren Beschränkungen und der Betonung einzelner Aspekte haben andere Filme das besser gemacht. Immerhin hat die forsche Attitüde des Eichinger/Edel-Teams uns einen Mehrteiler erspart, hier ist nur einmal ziemlich viel Geld »verballert« worden.