Morddrohungen gegen einen Sozialstadtrat

Glas brennt nicht

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»Unsere Gewalt kann nicht die Al Capones sein. Um der Machtfrage willen dürfen Linke keine Killer sein, aber auch keine Heiligen, keine Unschuldslämmer. Eine Praxis zu entfalten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist unsere Tagesaufgabe. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen.« So endete 1977 in etwas holprigem Deutsch der Brief des Göttinger Studenten namens Mescalero nach der Ermordung Siegfried Bubacks. Der Aufruf begründete den politischen Konsens des radikalen Flügels der damals entstehenden neuen sozialen Bewegungen: Ja zur Militanz, nein zum Mord als politischem Mittel.

Dieser Konsens scheint heute brüchig. Am 5. Februar verübte eine »militante gruppe« einen Brandanschlag auf das Sozialamt in Berlin-Reinickendorf. Wenig später schickte sie dem zuständigen Stadtrat Frank Balzer (CDU) einen Drohbrief nach Hause. Dem Schreiben waren eine scharfe Patrone und ein Messer beigefügt. Der Stadtrat war ins Visier der Gruppe geraten, weil er als einer der ersten Berliner Sozialstadträte Bargeldzahlungen an Flüchtlinge durch ein Chipkartensystem ersetzt und durch systematische Kontrollen die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 16 500 auf 13 500 reduziert hatte. Bereits im Januar 2000 hatte eine andere Gruppe das Auto des Stadtrats angezündet.

In der sechsseitigen Erklärung der »militanten gruppe« heißt es: »Dem Klassenkampf von oben muss ein Klassenkampf von unten militant und bewaffnet entgegen treten. Balzer und Konsorten können durch die 'moralische Ökonomie' der Pauperisierten eingeholt werden, durch das Widerstandsrecht der individuellen Propaganda der Tat.« Als positives Beispiel nennen die Verfasser die Tötung des Arbeitsamtsleiters im niedersächsischen Verden durch einen Arbeitslosen im Februar des vergangenen Jahres (Jungle World, 35/36/2001). »Neben diesen individuellen Befreiungsakten können EntscheidungsträgerInnen durch eine planvolle Aktion einer militanten oder bewaffneten Gruppe zur Verantwortung gezogen werden.« Was das im Einzelnen bedeuten soll, lassen die Verfasser im Unklaren.

Mit ihrer Politik steht die »militante gruppe« nicht allein. Bereits 1993 verschickte die Berliner Gruppe »Klasse gegen Klasse« Drohbriefe an Ladenbesitzer, in denen es hieß, der einzige Platz für »Mittelklasse-Schmarotzer« sei der »zwischen Mündungsfeuer und Einschuss«. Und als 1992 bei einer dilettantischen Antifa-Aktion der Rechtsextremist Gerhard Kaindl getötet wurde, fühlten sich einige Gruppen genötigt, anlässlich der Prozesse nicht nur die Täter, sondern auch die Tat zu verteidigen. »Rache ist auch eine Form aus der Ohnmacht rauszukommen«, schrieb eine Frauengruppe in der Autonomen-Zeitung interim.

Während die RAF und die RZ wegen der politischen Isolation der militanten Linken ihre Auflösung verkündeten, ziehen einige Gruppen aus der Situation offenkundig die Schlussfolgerung, ihre Militanz steigern zu müssen. Ob es sich bei den Morddrohungen aber um mehr handelt, als die eigenen Unzulänglichkeiten durch Verbalradikalismus zu überspielen, bleibt offen. Mit dem Anschlag auf das Reinickendorfer Sozialamt hatte die »militante gruppe« jedenfalls ihre Probleme. Der Brandsatz erlosch von selbst, ohne Schaden anzurichten. Die Täter hatten den Molotow-Cocktail einfach gegen die Eingangstür geworfen. Dass Glas und Stahl nicht brennen, hatten sie offensichtlich nicht bedacht.