Die kroatische Nummer eins

This Is Not A Durchhaltesong

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Im Grunde ist es die Lieblingssituation linker Kulturkritiker. Keine Vieldeutigkeiten, kein Abwägen: alles Rechte hier. Man ist in einem Land, das noch bis vor nicht allzu langer Zeit von einem faschistischen Regime beherrscht wurde, an jeder Straßenecke kann man Kontinuitäten aufspüren und in einem fort »voll krass!« vor sich hin murmeln. Überall finden sich Bilder von Kriegsverbrechern und daneben steht: »Held!«

Trotzdem sehen die jungen Leute ganz normal aus. Aber auch das ist verdächtig. Tarnen die sich nicht nur? Hatte der da nicht eine Totenkopf-Tätowierung? Voll krass in Kroatien. Aber das reicht natürlich nicht. Dafür hätte man ja auch zu Hause bleiben können. Man will schließlich mehr wissen. Etwa: Was hören die eigentlich für Musik?

Hinein in den Plattenladen und nachgefragt. Die aktuelle Nummer eins in Kroatien? Colonia. Colonia? Genau, Colonia. Okay, kaufen wir. Colonia: »Milijun milja od nigdje«. Im Plattenladen läuft keine Musik, ein klassischer Fall von Taubkauf, alles was man weiß, steht auf der Hülle, in einer Sprache, die man nicht versteht. Aber schon der Name: Colonia. Alles klar. So wie Colonia Dignidad oder diese Autoversicherung, die, der ein Kollege erst mit dem Anwalt drohen musste, bis sie zahlte. Und die Plattenfirma heißt Croatia Records. Voll krass.

Man dreht die Hülle in den Händen. Auf dem Cover die drei Interpreten: Im Gleichschritt rennen sie, gewandet in schwarzes Leder, vor einem brennenden Himmel durch die Steppe. Zwei Männer, eine Frau. Sie tragen Militärstiefel, breite Gürtel und Sonnenbrillen, die aussehen, wie aus mexikanischen Science-Fiction-Vorabendserien der späten neunziger Jahre. Hm. So richtig gefährlich ist das nicht. Obwohl - wenn man das Innencover aufschlägt, sieht man, dass einer der Männer einen Patronengurt als Armband trägt. Auf der einen Seite: voll krass. Die hatten hier Krieg, das ist noch gar nicht so lange her, und jetzt schnallen sie sich ihre todesspeienden Gürtel ums Handgelenk. Auf der anderen Seite: Im Westen trägt das auch jeder, zumindest jeder Punk.

Wie mag es sich also anhören? Wie Turbofolk? Die erste Überraschung: Es hört sich an wie Scooter. Eins A prolliger Großraum-Disko-Techno. Ein MC ruft irgendwas, es hört sich an wie der Anfang von »Hyper, hyper«: »Blablabla! Blablabla! Blabla!« Mächtige Rave-Fanfaren setzen ein und ummps-ummps-ummps-ummps geht es weiter. Leider nicht besonders lange. Schon bald hört es sich an wie eine kroatische Modern Talking-Cover-Band und so bleibt es dann auch. Auf einen mächtigen Anfang folgt Schlager-Gesang.

Und worum geht es? Ist das jetzt Turbofolk? Wir lassen es uns übersetzen: »It's a love song, it's not a love song, but she loves somebody or something, could be a man or a child.« - »A nation?« - »It could be everything.« - »Ah, it's a Durchhalte-Song?« - »It's a love song, she's waiting at the station, he's gone, there is wind, she loves him, but he's gone, more wind. Very bad lyrics.«

Colonia: »Milijun milja od nigdje«. Croatia Records