Alternative Lebensformen

Katz wie Pferd

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Anfang August. Freunde und Bekannte sind allesamt im Urlaub, nur die Berufs- und Schultheiss-Berliner befinden sich noch in der Stadt. Doch diese Spezies trifft man eben nicht in den üblichen Bezirken, sondern nur jenseits des S-Bahn-Rings. Das bedeutet Fahrradfahren durch die endlosen Weiten des alten Westberlin. Gewerbegebiete, Kanäle, Schrebergärten und Neubauten aus den Fünfzigern liegen auf dem Weg zur Trabrennbahn Mariendorf. Heute: »Renntag des Berliner Mittelstandes«. Der Eintritt ist frei.

Doch nicht den CDU-Bürgermeisterkandidaten und Unternehmer Frank Steffel sieht man hier im Oval traben, sondern American Pleasure, Always Verona, Akademiker und deren Artgenossen. Drumherum ein bisschen Vip-Gehabe, streng getrennt vom gemeinen Pöbel, der hier tatsächlich so amorph wirkt, wie der Vorstand der Raumausstatterinnung sich das vorstellt.

Fernab von München-Daglfing und Dinslaken aufgewachsen, wird mir erst hier klar, worin der eigentliche Sinn von Pferderennen besteht - im Wetten. Bei 30 Grad Außentemperatur sind die hinter einer Glasfront aufsteigenden Sitzreihen gut gefüllt. Obwohl man nur zehn Meter von der Bahn entfernt sitzt, richten sich die Blicke der Zuschauer fast ausschließlich auf die zahlreich aufgehängten Monitore, auf beständig sich verändernde Quoten, gut gemeinte Expertenratschläge und den aktuellen Rennverlauf. Und falls gerade mal nichts passiert, rechnet man eben das im Programmheft angebotene Datenmaterial durch.

Die Pferde sind im Grunde genommen unwichtig, auch die Jockeys werden nur als personifizierte Siegchancen wahrgenommen. Eine Siegerehrung wird von gerade mal zehn Leuten interessiert verfolgt, weitaus wichtiger sind die soeben erzielten Gewinne oder die Quoten im nächsten Lauf. Hier könnten ebensogut Hunderennen stattfinden, zur Not würden es auch Katzen tun. Hauptsache, es kommt ein geordneter Ablauf mit Quoten und Auszahlungen zustande. Der Einsatz von Paarhufern weist nur wenige Vorteile auf: Sie können Menschen tragen oder ziehen, die ihnen den Weg ins Ziel weisen, und sie sind gut zu erkennen.

In Mariendorf kommt es alle 25 Minuten zu einem Zieleinlauf, an einem Abend insgesamt 13 mal. Es geht um so begehrenswerte Trophäen wie den mit 5 000 Mark dotierten Equine Marketing Pokal, beim Preis der Firma Gahrens + Battermann Medien Systeme erhält der Sechstplazierte immerhin noch 300 Mark. Kein Wunder, dass die Jockeys an einem Abend gleich mehrfach in den Sulky steigen. Allen voran Heinz Wewering, der Eberhard Diepgen unter den Trabern. Schon in den achtziger Jahren verkündete der unvermeidliche Adi Furler in der Sportschau dessen zigtausendsten Sieg.

Aber erst an diesem Abend verstehe ich das Unbegreifliche. Der 51jährige bestreitet über 1 000 Rennen im Jahr - und gewinnt täglich mindestens eins.

Nach zahlreichen Fehlschlägen setze ich im neunten Rennen das mir verbliebene Bargeld auf Wewering und Impresario. Die überraschende Niederlage des 14:10- Topfavoriten bringt meinen Abend in Mariendorf zu einem frühzeitigen Ende. Das Leben am Stadtrand kann ganz schön kostspielig sein.