Tour durch Kapstadt

»Die Städte kommen nicht zusammen«

Die Architektur der Apartheid prägt auch weiterhin die südafrikanische Gesellschaft. Eine Gruppe ehemaliger ANC-Kämpfer veranstaltet Besichtigungstouren in Kapstadt und führt an die Orte der Unterdrückung und des Widerstands.

Als wir im Minibus zu einer Besichtigungstour durch Kapstadt aufbrechen, salutiert ein Security-Mann, der vor einem Laden Wache steht. Der militärische Gruß des Mannes gilt seinem ehemaligen Kameraden, unserem Stadtführer, der uns heute auf einer »Reise ins Herz des Widerstands am Kap« begleiten will. Die Western Cape Action Tours (Wecat) sind keine gewöhnlichen Stadtbesichtigungen. »Den Befreiungskampf unseres Landes feiernd«, heißt es im Faltblatt, »werden wir, die Veteranen von uMkhonto we Sizwe, den Besuchern den Eintritt in eine Geschichte ermöglichen, die bis jetzt ungeschrieben ist. Oftmals ist das Geschichtenerzählen während der Tour die einzige Erinnerung an die Leute, die ihr Leben im Kampf gegen Apartheid und Unterdrückung verloren haben.«

Wecat ist eine Selbsthilfeorganisation ehemaliger Militärs, die im südafrikanischen Befreiungskampf für das Ende der Apartheid gekämpft haben. Während die Spitzen des Befreiungskampfes die alten Eliten ablösten, wurde das soldatische Fußvolk nicht eben ehrenvoll ins zivile Leben entlassen, viele ehemalige Kämpfer sind heute arbeitslos.

Die düstere Garage des Kräuter- und Medizinmannes in Langa diente früher als offizieller Bierausschank und war zudem das einzige gemauerte Gebäude weit und breit. Damals versuchte das Apartheid-Regime, den Widerstand mit Alkohol zu schwächen und ließ solche Stellen einrichten. Tourleiter Nkululeko Booysen berichtet, wie er und seine Genossen den Laden abfackelten. Heute können wir in einer Hütte in Langa umqombothi kosten, ein alkoholfreies Bier aus Mais und Kornblumen. Spätestens hier ahnt man, wie andere, auf Exotik und Folklore ausgerichtete Touren funktionieren. Doch Wecat lädt aufs Sofa von Antje Mina Ferhelst in Bonteheuwel. Sie erzählt über ihren Sohn Faried, der als Gründungsmitglied der Bonteheuwel Military Wings in den achtziger Jahren gekämpft hat. Nkululeko führt uns auch zu seinem ehemaligen Knast und erklärt, mit welchen »Nigger-Tricks« die Polizei die Leute »rassisch« sortierte.

Die Touren sollen nicht nur das Bewusstsein, sondern auch den Tourismus umlenken helfen, sodass das Geld nicht ausschließlich in den weißen Enklaven ausgegeben wird. Eine davon ist die von einer Mauer umgebene Victoria & Alfred Waterfront. Von dort aus fährt ein Schnellboot zur Gefängnisinsel, auf der Nelson Mandela inhaftiert war. Während in der Enklave 120 Videoüberwachungskameras installiert sind und acht Millionen Rand (rund 1,2 Millionen Euro) für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben wurden, gehen nur wenige Investitionen in das von Gangs kontrollierte Umland von Kapstadt.

Das Wecat-Logo zeigt eine Taube aus Stacheldraht vor der Kulisse des Tafelbergs. In Wirklichkeit ragen hier die beiden Kühltürme eines Kraftwerkes in die Berglandschaft. An diesem Ort treffen auch sechs Jahre nach dem Sieg der Rainbow Nation die als weiß, farbig und schwarz definierten Stadtteile unversöhnlich aufeinander.

Erklärtes Ziel der Organisation ist es, den Dialog unter den weiterhin getrennt lebenden Bevölkerungsgruppen zu fördern. Aber Wecat verfügt kaum über die finanziellen Mittel, um all die Pläne zu verwirklichen. Ersparnisse aus Gelegenheitsjobs mussten als Startkapital reichen. Die Organisation erhält weder vom Staat noch von der Wirtschaft Unterstützung.

Wie viele Leute arbeiten bei Wecat?

Yazir Henry: Fünf Leute sind der harte Kern, dazu kommen noch etwa 20 Leute, die mitarbeiten.

Welche Gründungsidee hat das Projekt?

Mxolisi Mbilatshwa: Nachdem wir arbeitslos geworden waren, gründeten wir eine Gesellschaft, von der wir damals dachten, sie später in eine NGO zu verwandeln. Wenn wir damals nicht gemeinsam und offen die Dinge diskutiert hätten, wären wir nicht da, und dieses Büro ebenso wenig.

Wir wollten wieder handlungsfähig werden und versuchten, einen kleinen, aber wichtigen Beitrag für unsere Gemeinschaft zu erbringen. Das war nicht leicht, denn nicht alle hatten eine ordentliche Ausbildung. Wir hatten eine militärische Ausbildung, die uns die Revolution gegeben hatte.

Ist die Idee der Selbstorganisation bereits in der Zeit des Befreiungskampfes entstanden?

Wir wussten, dass nicht alle von uns am Leben sein würden, um die Wende mitzuerleben. So versprachen wir uns gegenseitig: Wenn du zurück bist - bitte unternehme etwas, um den Leuten zu zeigen, dass die opferreichen Kämpfe nicht nur Verlust bedeuten, sondern ein Beitrag sind für die Befreiung der Menschen, für die Öffnung der Gefängnisse, für die Bewusstwerdung der Leute.

Wecat ist der Versuch, die Geschichte des Befreiungskampfes und die Biografien der Widerstandskämpfer zu rekonstruieren. Wie sieht Ihr persönlicher Werdegang aus?

Ich entschied mich 1985, das Land zu verlassen und schloss mich der uMkhonto we Sizwe (MK) an, also der militärischen Organisation des ANC. Von Lesotho bin ich über Swasiland nach Tansania geflohen und dann weiter nach Angola, wo ich meine militärische Grundausbildung erhielt. 1987 und 1988 war ich in der DDR und studierte in Magdeburg Marxismus-Leninismus.

Warum gingen Sie zurück nach Afrika?

1988 hatte ich den Auftrag, in Uganda Basislager für Kameraden aufzubauen, die aus Südafrika ins Exil gingen. Mitte 1992 kehrte ich dann nach Südafrika zurück und wurde 1994 in die neue südafrikanische Armee integriert. Ende 1996 ging ich dann einfach nicht mehr hin.

Was war der Grund?

Das hatte mit der inneren Verfassung der Armee zu tun. Wir sollten zwar eine einzige vereinte Armee sein, die der jetzigen Regierung und dem Land dient. Aber die weißen südafrikanischen Offiziere hielten an den Idealen der Vergangenheit fest. Für sie waren wir die Anarchisten und gehörten aus der Armee gekickt.

Sind Sie in Kapstadt geboren?

Nkululeko Booysen: In den späten siebziger Jahren war meine Mutter eine Haushaltshilfe in der Gegend von Klipfontein bei Kapstadt. Mein Vater arbeitete ebenfalls und wohnte bei uns in der Hütte. In den achtziger Jahren räumte die Polizei die Gebäude und brachte uns in das Township Crossroads, wo sie das Besetzercamp bei Modderdam zerstörten. Wieder war die südafrikanische Polizei an der Spaltung von Crossroads beteiligt. Sie wollten dort Fabriken bauen. So gingen wir 1983 nach KTC, also zum Kasa Trading Center, einem besetzten Areal. 1986 fing die Polizei an, Truppen von außerhalb hinzuzuziehen, um dann alle Leute nach Khayelitsha zu treiben. Wir wurden mit der Begründung des »Staatsnotstands« ins Gefängnis geworfen. Nur ein einziges Mal habe ich einen Richter gesehen. Ich war fünfeinhalb Monate isoliert, durfte nicht mal mit einem Polizisten sprechen - außer mit dem Typen, der mich verhörte.

Wie sah Ihre Situation nach der Haftentlassung aus?

Es war schwer, einen Job als LKW-Fahrer zu finden. Wenn sie beim Vorstellungsgespräch deine Adresse hören, weisen sie dich ab. Ich hatte Frau und Kind, saß allein in meiner Ecke und habe eine ganze Schachtel geraucht. Ich war zwei Jahre lang in Behandlung und nahm Anti-Depressiva. Sonst kann ich nicht schlafen, noch immer nicht.

Als wir das Projekt begannen und darüber sprachen, was wir durchgemacht hatten, machte mich das stärker. Es sieht nicht rosig aus, aber es ist besser als vor vier Jahren. Vorher konnte ich mich nicht mal mit Leuten zusammensetzen und reden.

Nach der Entlassung ging ich zur TRC, zur Wahrheitskommission, und machte meine Aussage darüber, wie ich gefoltert wurde. Niemand bat mich um Verzeihung. Aber ich hasse sie nicht. Ich vergesse, vergebe ihnen, was sie mir angetan haben.

Sind Sie ein religiöser Mensch?

Ich vergebe den Typen - was soll ich tun? Wenn man dieses Land aufbauen will, kann man nicht voller Hass herumlaufen. Eines Tages stoßen sie selbst auf ihre Lügen: dass es falsch war, Leute ohne Grund ins Gefängnis zu stecken, Leute zu foltern, Leute anzulügen. All diesen Dreck den Leuten anzutun. Vor der TRC kannst du den Typen ins Gesicht blicken, Auge in Auge.

Als ich aus der Haft kam, war ich sehr krank. Bevor ich ins Gefängnis musste, hatte ich kein Asthma. Die Sicherheitspolizei sagte erst, ich hätte Bronchitis. Mein Arzt war der einzige, der aus dem Knast entlassenen ANC-Leuten half, er attestierte Asthma sowie einige andere Probleme.

Das Asthma ist eine Folge der Haftbedingungen?

Das kam vom Tränengas. Um 22 Uhr wurde das Licht ausgeschaltet. Und dann kamen sie und ließen das Tränengas ausströmen. Du konntest bitten und betteln - sie öffneten nicht die Tür. Ich erinnere mich, wie sie mich in die Zelle steckten, mir meine Kleider wegnahmen, mich nass machten und mir Handschellen anlegten. Diese Leute - ich sehe manche noch, ich grüße sie, ich rede mit ihnen. Einer wollte sich mal mit mir zusammensetzen, doch das war zu viel. Er sollte Chef des Polizeiforums werden. Dieser Mann - am Ende des Tages setzt er sich in sein wunderschönes Auto und fährt weg. Der Typ hat mich verhört, mich gefoltert.

Wie lassen sich solche Erfahrungen auf einer Stadtführung vermitteln?

Wenn wir die Leute zu den so genannten Townships bringen, zeigen wir ihnen, was die Apartheid den Menschen angetan hat. Und wie die Leute in den Gegenden leben, in die wir sie mitnehmen - in Athlon, Guguletu oder Langa.

Die Tour führt zu Stationen, die eng mit Ihren Biografien verknüpft sind.

Mbilatshwa: Wir versuchen, die Kluft zwischen den jeweiligen Gemeinschaften zu überbrücken. Und wir geben den Leuten die Möglichkeit der Interaktion; besonders Leuten von außerhalb, um unsere Erfahrungen sowie die unserer Leute mitzuteilen. Wir versuchen nicht nur, die Schattenseiten der Vergangenheit zu zeigen. Wir wissen, dass sie existieren; in bestimmter Hinsicht setzt sich die Vergangenheit weiterhin fort. Doch das ist nicht alles: Die Touren öffnen bei unseren Leuten das Verständnis für die wachsende Bedeutung des Tourismus.

Welche Bevölkerungsgruppen wollen und welche können Sie mit den Touren erreichen?

Booysen: Ich will nicht nur Leuten von außerhalb, sondern auch denen, die aus dem Inneren des Landes kommen, zeigen, dass sie hier hingehen müssen. Inzwischen sind 40 Prozent der Tourbesucher aus Südafrika.

Die Architektur der Apartheid existiert weiter. Wie sollte man mit diesem Erbe umgehen?

Die Grenzlinien verlaufen auf offenem Gelände, wie zum Beispiel eine Autobahn, die als Pufferzone eingesetzt wurde. Wir möchten den Leuten diese Grenzen zeigen, Studierenden aus Südafrika zum Beispiel. Die sind in Kapstadt geboren oder stammen aus Khayelitsha und wissen dennoch diese Dinge nicht. Doch das ist die Geschichte. Wir fahren an den Bahnlinien vorbei sowie an der Schnellstraße, die Ryland von Langa und somit Farbige von Schwarzen trennt. Der Vanguard Drive spaltet Bonteheuwel und Langa, der Valhalla Drive teilt Guguletu von Charlesville und Montana. Wir meinen, dass die Leute und auch künftige Generationen das wissen sollten.

Diese Grenzen dürfen uns zukünftig nicht mehr beeinflussen. Wir müssen Integration leisten, Leute in Südafrika integrieren. Wir sprechen von einem Afrika, doch wir haben das nicht einmal in Kapstadt. Wenn man durch die Stadt geht, sieht man die Gegenden, getrennt durch Straßen und offenes Gelände, Brücken und Gleiskorridore.

Welchen Einfluss hat die Architektur heute auf das Leben in Kapstadt?

Henry: Die Städte kommen nicht zusammen. Kapstadt wird immer noch - in der Realität, aber auch in den Köpfen der Menschen - von Mauern und Stacheldraht durchschnitten. Die Verwerfungslinien von Farbe, Ethnie, Religion und Gender waren nie problematischer. Die Konflikte, die durch fast fünfzig Jahre gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Manipulation geschaffen wurden, müssen in Angriff genommen werden, sie dürfen nicht vor sich hin schwelen. Die Ebenen der Ungleichheit werden aber nicht angesprochen, die Armut nimmt zu, und die Kriminalität explodiert. Man kann sagen, wir befinden uns in einem Krieg von geringer Intensität.

Dies bringt uns auch zu unserer Geschichte, die uns direkt sozial beeinflusst, als ökonomische Realität. Wir müssen Möglichkeiten finden, zu den Orten vorzustoßen, zu den Grenzlinien. Wir haben unser Büro nicht ohne Grund in der Innenstadt, wo sie all das Geld mit der Armut der Leute machen. Wir sehen uns selbst als Leute, die von den Verhältnissen marginalisiert wurden.

Wie kann Erinnerung künftig bewahrt werden? Wir haben zwei verschiedene Denkmäler gesehen und ein Kreuz. Gibt es Pläne, diese Erinnerungsstätten zu institutionalisieren? Sollen Gedenkstätten innerhalb der Community gründet werden?

Die Gedenkstätten, die an unserer Besichtigungsroute liegen, wurden ohne Wissen und Beteiligung der Angehörigen errichtet und enthüllt. Die Familien empfanden, dass dieser Vorgang der Auftragserteilung und Errichtung respektlos und ohne Würde vonstatten ging. Oft stehen wir in ganz normalen Straßen, die noch vor zehn Jahren der Ort blutiger Kämpfe waren. Wenn wir an Straßenecken, in Häusern oder auf Feldern über die Dinge sprechen, die sich hier abspielten, verwandeln sich diese Orte in Orte des Erkennens, des Lernens voneinander, des Respekts und der Erinnerung.

Aber sollte dieses Gedenken nicht doch institutionalisiert werden, wie es beispielsweise im District Six Museum geschieht?

Es gibt ein großes Archiv ganz in der Nähe. Früher war es ein Gefängnis. Doch niemand fragte uns bislang um Rat oder wollte unsere Mitarbeit. Nun planen wir mehrere Wandbilder als eine Art Mahnung. Literatur und Musik gehören ebenso dazu. Wir möchten ein Museum errichten, ein Internationales Zentrum für Menschenrechte und Frieden. Zurzeit sind wir bereits dabei, ein eigenes Archiv mündlicher Aufzeichnungen aufzubauen.

Wenn Menschen ihre vergangenen traumatischen Erlebnisse miteinander teilen, ist das für sie eine Gelegenheit, ihre Erfahrung zu normalisieren, indem sie sie zu einem Teil ihres täglichen Lebens machen. Dies fördert ein stärkeres Selbstwertgefühl und durchbricht den Teufelskreis des Opferdaseins. Wir erkannten, dass wir nicht in einer Spirale der Negativität gefangen sein wollten. Wir haben viel darüber geredet, wie wir unsere Erfahrungen und unser Leben herumreißen könnten, um es den neuen Verhältnissen anzupassen sowie gleichzeitig etwas zur Gesellschaft beizusteuern.

Die Wahrheitskommission war der Versuch von staatlicher Seite, die Geschichte aufzuarbeiten. Welche Bedeutung hat diese Institution für Sie?

1990 saß ich noch wegen Terrorismus und Landesverrats im Gefängnis. Als ich entlassen wurde, fürchtete ich um mein Leben und traute niemandem. Ich wurde mein schlimmster Feind. Vor der Kommission zu sprechen, war mir ein Bedürfnis, das gab mir die Chance, wieder Gefühle zu haben. Für mich lag die Bedeutung also in erster Linie darin, dass ich mir die Dinge von der Seele reden konnte, die mich umzubringen drohten. Meine ganze Jugend habe ich im bewaffneten Kampf gegen die Apartheid verbracht. Inzwischen habe ich einen Universitätsabschluss in Sozialwissenschaften nachgeholt. 1997 waren wir noch damit beschäftigt, die Knochen von Menschen einzusammeln, die wir geliebt und denen wir nahe gestanden hatten.