Tocotronic-Tour-Tagebuch

Vier Freunde

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Es gibt immer wieder Gerüchte, von denen man gar nicht so genau wissen will, ob sie wirklich stimmen. Die Geschichte, dass die Hamburger Rockgruppe Tomte ein Angebot der Plattenfirma L'Age D'Or - des Labels, bei dem auch Tocotronic unter Vertrag sind - mit der Begründung ablehnten, sie wollten nicht die zweite Band auf dem Label sein, die mit »To« anfängt, gehört dazu. Doch Tomte sind eine Fanband, und wer wie Thees Uhlmann - der Kopf von Tomte - als Begleiter und Chronist mit den Objekten des Begehrens auf Tour geht, kann wohl nicht auf dem gleichen Label veröffentlichen. Das verbietet die Logik des Fan-Seins.

So wie Tocotronic noch einmal das große Rockding nachbauen - von ihrer mittlerweile sprichwörtlichen Parole »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« bis zu »Let There Be Rock« -, stellt Uhlmann das Fantum nach. Uhlmann will noch einmal Teil der großen Sache sein. Es geht um Gefühle von absoluter Nähe und repektvoller Ferne und um das unbeschreibliche Glück, dabei sein zu dürfen. Im Zentrum dieser Konstruktion stehen die Lieder der »Toccos«, »wunderbare Lieder aus einer anderen Welt, einer Welt, die nichts zu tun hat mit: ðJunger Herr, ich war aber vor Ihnen daЫ.

All das funktioniert nur, weil Tocotronic nicht bloß Songs, sondern auch ein Umfeld produziert: befreundete Bands, Freunde befreundeter Bands, die ganze Roadcrew. Das macht die große Sache aus, und alle sind topinteressante, gütige und gut aussehende Menschen. Thees ist in alle gleichermaßen verschossen, permanent werden - meist männliche - Leute bewundert, umarmt, geküsst und bekuschelt. Die »Toco Trois«, die den Kosmos als Künstler mitschaffen, sind Teil davon und auch zum Kuscheln freigegeben.

Während Uhlmann in seinem Tourtagebuch »Quasi-Stars zu Freunden« macht, werden auf der Tomte-Platte Freunde zu Quasi-Stars, etwa im »Rick McPhail Song«, dessen Titelheld ein Tocotronic-Roadie ist. »Rick, was du da trinkst, ist kein Bier, das ist Schuld«, heißt es dort so halbverständlich wie strahlend, bevor die Metaphorik umkippt: »Da sind Trümmer am Horizont / Da sind Feinde in meinem Haus.«

Auch wenn Songtexte Bezug auf allgemeine Themen wie Fußball (»Ives, wie hältst du das aus«) oder Popgeschichte (»Wilhelm, es war nichts«) nehmen, bleiben sie doch privat. Die Intimität, die im Buch durch detailfreudiges Geplauder zustande kommt, entsteht in den Songs durch die Unmittelbarkeit der Affekte und durch fast schon schmerzhaft rührende Bilder (»Sie waren energetisch wie Planeten / Unschuldig und suchend / wie ein behinderter Hund / Die Nacht, in der ich starb / sangen diese Jungs ein Lied«).

Uhlmann klingt, als würde er sich bemühen, gleichzeitig schief zu singen und die Töne zu treffen. Trotz sehr verschiedener Stilmittel ähneln sich die Gefühle, die Gelesenes und Gehörtes hinterlassen: ein Gemisch aus Energie und Erschöpfung, mit Hilfe von Liebe niedergerungene Depression und Dankbarkeit.

Tomte: »Eine Sonnige Nacht«. Hotel Van Cleef (Indigo)

Thees Uhlmann: Wir könnten Freunde werden. Die Tocotronic-Tourtagebücher. Ventil Verlag, Hamburg 2000, 141 S., DM 22