Neuer Präsident in Côte d'Ivoire

Gbagbos Land

In Côte d'Ivoire wurde General Guei, der Putschist von 1999, gestürzt. Der Sieger der Wahlfarce erklärte sich inmitten von Straßenkämpfen zum Präsidenten.

Laurent Gbagbo, Chef des Front Populaire Ivorien (FPI), war ganz Staatsmann. Nach der Einnahme des Rundfunksenders in Côte d'Ivoires Metropole Abidjan durch seine Anhänger und Teile des Militärs erklärte er sich am Mittwoch vergangener Woche in einer landesweit übertragenen Rede zum Sieger der Wahlen vom 22. Oktober und rief sich zum Präsidenten der »Zweiten Republik« aus. An der nationalen Aussöhnung wolle er arbeiten, ein besonderer Dank ging ans Militär, das sich entschlossen habe, »die Sache der Demokratie zu wahren«. Am Donnerstagabend wurde Gbagbo vereidigt.

In den Tagen zuvor hatten sich die Ereignisse in dem westafrikanischen Land überschlagen. Nachdem die seit dem Putsch Ende 1999 regierende Militärjunta und der an der Übergangsregierung beteiligte FPI alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen hatten, um den Großteil der Konkurrenz von den Präsidentschaftswahlen fernzuhalten, galt nur noch Gbagbo als ernst zu nehmender Herausforderer des Junta-Chefs Robert Guei. Als sich ein Sieg Gbagbos abzeichnete, löste General Guei am Dienstag die Wahlkommission auf und ließ sich kurzerhand zum Sieger erklären.

Doch nur wenige Stunden später musste Guei die Flucht ergreifen. Angesichts massiver Proteste der Parteigänger der FPI gegen Gueis zweiten Staatsstreich stellten sich einflussreiche Junta-Mitglieder und große Teile der Armee hinter Gbagbo. Die Drohung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, die Beziehungen abzubrechen, dürfte diesen Sinneswandel beflügelt haben.

In Paris scheint man mit dem fragwürdigen Wahlsieg des als Sozialisten bezeichneten Gbagbo leben zu können, einem Bericht der FAZ zufolge befand sich der Afrika-Experte der französischen Sozialisten, Guy Labertit, in Abidjan und stärkte dem FPI-Chef den Rücken. Für Neuwahlen sprechen sich hingegen die Organisation der afrikanischen Einheit (OAU), UN-Generalsekretär Kofi Annan, die USA und andere Staaten aus. Eine Wiederholung des Urnenganges fordern auch die ausgeschlossenen Kandidaten, allen voran Allasane Ouattara, der Vorsitzende des Rassemblement des Républicains (RDR). »Die Leute haben gegen Guei und nicht für Gbagbo gestimmt«, erklärte Ouattara gegenüber CNN.

Das Maximalangebot des FPI an die Kontrahenten ist derzeit eine »Regierung der nationalen Einheit«, für Neuwahlen, so der FPI, gebe es keinen Anlass. Ein Berater Gbagbos äüßerte im Interview mit BBC: »Das ist nun Gbagbos Land. Nur die internationale Presse hält Ouattara für einen wichtigen Kandidaten.«

Gbagbo präsentiert sich als einzige Alternative zum politischen Establishment und verweist dabei auf seine Vergangenheit. In den siebziger Jahren unter dem Autokraten Félix Houphouet-Boigny saß der Geschichtslehrer und Gewerkschafter im Gefängnis, 1982 ging er ins französische Exil. Nach seiner Rückkehr kam er bei den Präsidentschaftswahlen von 1990 auf 18 Prozent der Stimmen. Der FPI ist Mitglied der Sozialistischen Internationale und sei von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung »regelrecht hochgepäppelt« worden, zitierte die FAZ am Freitag einen europäischen Diplomaten.

Hatten Soldaten am Dienstag noch Demonstranten erschossen, die Gbagbo zum Sieger erklärt sehen wollten, machten am Donnerstag Angehörige der Sicherheitskräfte gemeinsam mit FPI-Anhängern Jagd auf Unterstützer des RDR. Das Anwesen des RDR-Vorsitzenden Ouattara wurde unter Beschuss genommen. Seine Milizen erwiderten das Feuer, er selbst konnte sich in das nahe gelegene Haus der deutschen Botschafterin flüchten. Bei den Zusammenstößen vor allem jugendlicher Demonstranten in Abidjan und anderen Städten des Landes sind Dutzende Menschen, die meisten offenbar Anhänger Ouattaras, ums Leben gekommen.

Im schwer überschaubaren Machtkampf zwischen den politischen Eliten setzten FPI, die ehemalige Staatspartei PDCI und Militärs auf Ethnisierung und Xenophobie. Betroffen sind neben den jeweiligen politischen Gegnern die fünf Millionen Arbeitsmigranten, die in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs ins Land geholt wurden. Regelmäßig gibt es Ausschreitungen gegen Einwanderer aus den nördlichen Nachbarstaaten oder gegen Menschen, die dafür gehalten werden. Vor allem im Südwesten des Landes mehren sich Morde an Einwanderern und massenhafte Vertreibungen mit Duldung der Behörden - zuletzt Ende vergangenen Jahres, als nach Informationen des Internationalen Afrikaforums bis zu 15 000 langjährig ansässige Burkiner wegen Bodenstreitigkeiten die Region verlassen mussten.

Auch Gbagbo machte sich die in der Bevölkerung latent vorhandene Ausländerfeindlichkeit mehrfach zunutze. Im Frühjahr forderte er die Abschaffung des Wahlrechts für Migranten, und auch für das nationalistische Konzept der Ivorité kann sich Gbagbo erwärmen. Die Anhänger seiner Partei, die in der vergangenen Woche Jagd auf vermeintliche RDR-Unterstützer machten, bezeichneten sich gegenüber Journalisten als die »wahren Ivorer«.

Die ethnische und religiöse Identitätszuschreibung hat in der ivorischen Politik tiefe Wurzeln. Durch eine Art ausbalancierten Tribalismus sicherte sich der seit der Unabhängigkeit regierende Autokrat Boigny die Macht. Seit der wirtschaftlichen Talfahrt ab Anfang der achtziger Jahre konnten die regionalen Ansprüche an das Patronagesystem kaum noch befriedigt werden. Nach Boignys Tod zerbrach diese Koalition endgültig. Die nördliche, islamisch geprägte Region des Landes, einst in das Klientelnetz der Staatspartei PDCI eingebunden, bezog sich nach 1994 vor allem auf den neu gegründeten RDR, der christlich dominierte Südwesten sieht sich im FPI repräsentiert.

Den »gefährlichen Identitätswahn« Boignys, so der ivorische Historiker Tiemoko Coulibaly in Le Monde Diplomatique (10/00), setzte dessen Nachfolger Henri Konan Bédié im Konzept der Ivorité konsequent fort. Ein Drama sei die »blinde, laut tönende Begeisterung, mit der dieses vergiftete Erbe von mittelmäßigen Politikern gepriesen wird, die unfähig sind, auch nur einen kritischen Gedanken zu fassen«, meint Coulibaly. Doch die ethnisierende Mobilisierung hat für die konkurrierenden Eliten durchaus ihre Logik. Im bankrotten Staat mit einer Wirtschaft, die dem globalen Markt nahezu nichts mehr zu bieten hat, werden Regierungs- und Verwaltungsposten zur einzig verbliebenen Einnahmequelle und zur Voraussetzung für die Verteilung von Pfründen an regionale Interessensgruppen.

Martialischen Drohungen ließen RDR- und FPI-Führung am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Fernsehansprache und am Freitag während eines Treffens versöhnliche Zeichen folgen - mit zweifelhaften Erfolgsaussichten. Die überwiegend jugendlichen Anhänger der Parteien sind fanatisiert. »Ecomog oder RDR« verkündete etwa ein Plakat von Ouattara-Unterstützern in Anspielung auf die westafrikanische Interventionstruppe. Eine Beteiligung an der Regierung lehnte der RDR ab.