Das neue Video von Robbie Williams

Nackt im Fleischhaus

Seine 26 Jahre hat Robbie Williams schon zweimal durchlebt. Was soll da noch kommen?

Die Geschichte geht ungefähr so. Robbie Williams, seines Zeichens Großbritanniens größter Popstar, möchte seine neue Single »rock DJ« vorstellen und begibt sich zum Zwecke einer Gesangsdarbietung auf die Bühne. Er stellt sich ins Scheinwerferlicht, ein Dutzend blonde Models auf Rollerskates umkreisen ihn launig. Der Sänger singt, doch die Models mögen ihn nicht beachten, also beginnt er zu tanzen, kreist mit den Hüften, wackelt mit dem Hintern. Die Mittel sind bewährt, doch nichts will helfen. Also kommt dem Sänger eine Idee. Er zieht sich aus. Erst das Hemd, dann die Hose, bald steht er in Unterwäsche da. Man sieht, dass der Sänger nicht die beste Figur hat, man sieht, dass es ihm egal ist, man sieht auch, dass auf seinem schwarzen Slip der Kopf eines Tigers prangt.

Beruhigt nimmt man zur Kenntnis, dass dem Sänger offenbar nichts mehr peinlich ist. Dass er wenig später nackt da steht, ist nur konsequent. Die Kamera kreist, die Rollergirls kreisen auch, doch der Sänger kann noch mehr. Er ist der totale Entertainer, der öffentliche Mann. Er gibt, was man verlangt. Also schält er sich die Haut vom Leibe, zieht sich die Muskeln von den Knochen, er reißt sich sein Herz aus der Brust und schmeißt es gegen die Wand, das Fleisch wirft er den Models entgegen.

Selten wurden für das Schicksal eines Popstars aussagekräftigere Bilder gefunden. Gierig fangen die Models das Fleisch, um es anschließend zu verschlingen. Unter ihnen befindet sich auch Mick Jaggers Tochter Elisabeth. Gegen Ende sieht man Robbie Williams als fröhlich singendes und tanzendes Skelett. Der Spruch »No Robbies were harmed in the making of this video« prangt schließlich über dem Schlussbild des Videos, eines schönen Videos, das nur den vorläufigen Höhepunkt darstellt in Robbie Williams ungebremstem Drang, sich zu entäußern. Es geht immer weiter.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, dass Robbie Williams seine Solo-Karriere unter dem Motto »The Show Off Must Go On« begann und damit seinem Bruch mit Take That auch einen Hauch von Kontinuität verlieh.

Er weiß, wie er sein Publikum zu füttern hat. In »rock DJ« heiß es dazu passend: »When I rock the mike / I rock the mike right«. Und so soll es denn auch sein. Mittlerweile hat er mehr Entziehungskuren als Drew Barrymore hinter sich, er sagt, eine Ecstasy-Pille habe ihm das schönste Erlebnis seines Lebens verschafft, er steht derzeit mit Liam Gallagher in Verhandlung um einen öffentlichen Boxkampf. Sein Gesicht ist so verbraucht, als hätte er seine 26 Jahre schon zweimal durchlebt. Er ist ein Entertainer, der seinen Job sehr ernst nimmt.

Seine nächste Single »Kids« wird ein Duett mit Kylie Minogue sein, erste Textzeilen sind bereits bekannt. So heißt es dort: »I'm an honorary Sean Connery / Born '74 / There's only one of me / Singlehandedly raising the economy / Ain't no chance the record company dropping me/ Press be asking do I care for sodomy / I don't know / Yeah, probably.« Im Refrain singen dann beide: »We don't mind doing it for the kids /So jump on board / Take a ride / Jump on board / Feel the high / The kids are alright«.

Die britischen Radiostationen haben den locker geschnürten Themenkomplex aus The Who-Zitat, Analsex und den Freuden der Unterhaltungsindustrie bereits zur Kenntnis genommen und schon vorab angekündigt, den Song in seiner jetzigen Form nicht ins Programm nehmen zu wollen. Dass »Kids« ein Erfolg wird, davon darf man ausgehen. Ebenso davon, dass Robbies Skandale und Provokationen ebenso kalkuliert sind wie andererseits auch zwangsläufig und logisch.

Sein zehn Jahren steht Robbie Williams auf der Bühne, seit zehn Jahren befindet er sich im Zentrum des Wahnsinns. Anlässlich seines letzten Albums »I've Been Expecting You« wurde Robbie Williams einige Tage von Reportern des britischen Magazins The Face begleitet. Diese beobachteten eine alte Frau, die sich zu Robbie Williams in die Garderobe schlich, um ihr neuestes Fan-Tattoo zu präsentieren, den Text des Titels »Angels« auf ihren schlaffen Brüs-ten. Begebenheiten wie diese ziehen an niemandem spurlos vorbei.

Doch Robbie Williams macht was draus. Er begegnet Irrsinn mit noch mehr Irrsinn. Sein reicher Schatz einschlägiger Lebenserfahrungen wird derzeit von ihm und seinem Songschreiber Guy Chambers angemessen dramatisiert und in Musicalform gebracht. Der Planung nach soll das Stück mit dem viel versprechendem Titel »Robbie On Ice« schon 2001 in London Premiere haben. Offiziellen Verlautbarungen zufolge geht es dabei um Robbies Verhältnis zu der Welt der Reichen und Schönen. Die Musik wird als eine Mischung aus Big-Band-Sound, Rock und HipHop angekündigt. Ein Titel ist bereits fertiggestellt, er trägt den schönen Titel »I Will Talk And Hollywood Will Listen«. Wer würde nicht?

Doch was kann da noch kommen? Man möchte annehmen, dass Robbie Williams bald alle Höhen und Tiefen eines Popstar-Daseins erfahren hat; dass er keinen Skandal ausgelassen hat und keine Geschmacklosigkeit; dass er wahrscheinlich schon von jeder handelsüblichen Droge gekostet hat; dass er mal dünn war und dann wieder dick; dass er schon alles erreicht hat, außer vielleicht den Erfolg in Amerika; dass es nichts mehr gibt, womit er die geneigte Öffentlichkeit noch irgendwie überraschen könnte; dass er mit unzähligen britischen Popstars bereits verlobt war, um sich anschließend wieder zu trennen.

Doch man sollte nicht zu vorschnell sein. Bei Robbie Williams geht noch was. Am 28. August wird sein drittes Album erscheinen: »Sing When You're Winning«.