Lifestyle-Magazine

Du bist nichts, dein Körper ist alles

Der Lifestyle der Working Class greift einmal mehr auf den Mainstream über: Zeitschriften wie 'blond' üben sich im Fleshion.

Ein amateurhaft beleuchtetes Porno-Set samt kopulierenden Paaren - dieser halbseidene Hintergrund war im letzten Jahr Bühnenbild für ein Foto-Shooting der Männer-Mode-Zeitschrift Vogue Hommes International. Ein Einfall, der Schule machte. Was die britische Face noch nüchtern als »this blurring between fashion and porn: 'fleshion'« beschreibt, ist nur ein Signal dafür, dass die Grenzen zwischen Unterschicht- und Mainstream-Kultur sich verflüchtigt haben. Die massenmediale Bezugnahme auf den Lifestyle der Working Class ist mehr als in. Sie ist ein Lebenselixier für Gründungen von Lifestyle-Zeitschriften-Formaten.

Irgendwie ist alles nicht so gemeint, und im Alltag sind die Feierabend-Prolls doch ganz zivilisierte Menschen. In den USA - wie immer Vorreiter bei den Segnungen der Kulturindustrie - ist diese Proletarisierung des Mainstreams schon seit längerem en vogue. Seit der schwarze HipHop die weißen Vororte erobert hat, ist den Mittelstands- und Oberschicht-Jugendlichen klar, dass es im Leben nicht nur um College-Abschlüsse geht, sondern vielmehr darum, Bitches zu checken, Style zu zeigen und seinen Körper in Form zu bringen. Die Kennzeichen der Proll-Welle sind eindeutig: männlich-dominante (Hetero-)Sexualität, der Körper, aggressives Einbringen der eigenen Person in die peer group, Chauvinismus.

Ein - noch gemäßigtes, weil recht puritanisches - Beispiel mag dabei die US-Lifestyle-Illustrierte Vibe sein. Als Magazin, das sich an ein afro-amerikanisches Publikum richtet und dabei auch die mittleren und oberen sozialen Schichten miteinbeziehen will - schon wegen ihrer hohen Konsumtätigkeit -, kokettiert es selbstbewusst sowohl mit den Codes des Inner City Streetlife als auch mit der Intellektualität des aufgeklärten Black-Culture-Konsumenten. Auffällig ist die Mischung von Haute-Couture-Präsentation und der Konzentration auf die entsprechenden Szenen (Models, Rapper, Boxer) einerseits und andererseits das Gespür für die Konsum-Trends der Unterschicht wie beispielsweise Videospiel-Konsolen. Um die beruflich chancen-ärmeren schwarzen Jugendlichen anzusprechen, schaltet auch die US-Army hippe Anzeigen: In einer begrüßen sich mehrere GI-Muskelprotze mit männlichem Handschlag und verkünden: »Learn to make noise - be all you can be«.

Zeigen, wer man(n) ist, zeigen, wer man wirklich ist. Wo die Gesellschaft immer weniger Mitgliedern eine sichere materielle Zukunft bieten kann, ist es gleich, dass man noch da ist - wichtiger ist, hervorzuheben, dass man auch dabei sein könnte. Dazu wird sich einer brachialen Symbolsprache bedient, die verdeutlicht, dass man nicht nur die Regeln der Gesellschaft - Stärke, Gewalt, Durchsetzungsfähigkeit, Flexibilität - verstanden hat, sondern dass man sie sogar noch zu überbieten imstande ist. Weil man aber eigentlich doch dazugehören möchte, gehört dann die (Selbst-) Ironie zum Spiel. Diese selbstironische Wertung ist das Signal für den Mainstream: Schließlich weiß der Normal-Arbeitnehmer nicht, ob er nach dem nächsten Out-Sourcing nicht auch zu den Deklassierten gehören wird. Und weil die Rücksichtslosigkeit, die er dann brauchen wird, auch im Arbeits-Alltag recht rentabel ist, besorgt er sie sich schon einmal vorher.

In Deutschland gibt es seit einiger Zeit ebenfalls mehrere Magazine, die auf die Proll-Karte setzen. Neben dem offenkundigen Macho-Magazin alexx - das sich zwar nicht nach dem »Big Brother»-Unsympathen benannt hat, diesen aber durchaus als Paten betrachten könnte - gehört dazu auch das Magazin blond. Als auf den ersten Blick Popkultur-orientiertes Magazin kündigt es auf dem Titel schon mal »13 Seiten mit den größten, schnellsten, coolsten Autos« an, und »hinten im blond« (Rubrik) weiß die 95-60-90-Comic-Figur Teeny Marie auf jede einschlägige Frage im erwachsenen Dr.-Sommer-Stil eine anzügliche Antwort: »Unser kleines Luder ist nicht auf den Mund gefallen«. Blond präsentiert sich als Magazin, das offensichtlich eine Zielgruppe ansprechen will, die mit Skateboards, Beach-Volleyball und weichen Chill-Drogen zu tun hat und nicht unbedingt den typischen Bierbauch-Nationalelf-Deutschen repräsentiert.

Auch wenn die Skater-Szene und ihr Umfeld wohl weniger zu den rassistisch-sexistischen Kotzbrocken gehören mögen, so sind in der post-fordistischen Ökonomie und der damit einhergehenden Zersplitterung, Auflösung und Grenzenlosigkeit der Szenen die Individuen in ihrer subkulturellen, aber auch gesellschaftlich-politischen Positionierung weniger berechenbar geworden. Denn seit dem Beginn der Neunziger ist nicht mehr eine Szene samt ihrer Symbolsprache der Hype, sondern das Individuum an sich ist das Produkt. Der Werbespruch könnte lauten: »Ich bin 'Ich', ich bin stolz darauf und ich zeig allen, wie ich bin. Ich hab sonst nichts.«

Dass der postmoderne Ich-Star, der angeblich in jedem von uns steckt, sich den mitunter doch recht steinigen Weg vom Tellerwäscher zum Millionär auch sparen kann, beleuchtet blond - einer der wechselnden Untertitel lautet »Tricks, Kicks, Flammen, Sex und Rock'n'Roll« - folgerichtig in der Beschreibung eines modernen Berufsbildes: »Die Vivid Girls sind die Superstars des Hardcore(-Porno; M.M.). Sie flirten mit Skatern, machen Werbung für Streetwear und spielen in Hollywood-Filmen mit. Und mit Blow-Jobs machen sie die Sexfilm-Produzenten zu Millionären. Sie gehören zur ersten Generation von Porno-Darstellern, die reich und berühmt werden. (...) Die Vivid Girls sind richtige Pop-Stars: Sie sind cool, genau wie ihre Fans. Die Peep-Generation ist nämlich die erste, die offen zugibt, Pornos geil zu finden. Die Skate-Pros (professionelle Skateboarder, meist mit hochdotierten Werbeverträgen; M.M.) Heath Kirchart, Tony Hawk und Steve Berra haben eine besondere Vorliebe für das dunkelhaarige Vorzeige-Vivid Kobe Tai und ihre Schwestern: In dem 98er-Video 'The End' ließen sich die Jungs nach Strich und Faden von den Mädchen verwöhnen. Beim Bad im Jacuzzi hat Kobe ihnen mit einem brennenden Dollarschein die Zigarren angezündet, später beim Video-Game-Daddeln die steifen Schultern massiert. So sehen Skater-Träume aus.«

Du bist nichts, dein Körper ist alles: Sowohl in der postmodernen Gier nach vermeintlicher Qualitäts-Pornografie als auch in den Aktivitäten der so genannten Extrem- und Fun-Sportarten bildet sich diese Ideologie neuen Körperbewusstseins ab. Und wenn man in einer dieser Disziplinen wirklich tough und cool ist, kann man es sich sogar leisten, Dollar-Scheine zu verbrennen und Zigarren zu paffen.

In der »Abt. Schnelles Geld« werden als Jobs von blond weiterhin empfohlen: Stripper, Talkshow-Tourist, Arzneimitteltester, Straßenbauer. Das letzte habe besondere Reize: »Presslufthämmern an der frischen Luft, ab zehn Uhr das erste Bier und zur Unterhaltung gibt es lustige Minderheitenwitze. Straßenbau macht Spaß. Und wer einen Adrenalinjob an der Autobahn ergattert, bekommt sogar Gefahrenzulage und Verpflegungsgeld (ab 20 Mark pro Stunde).« Da kann keine solide Ausbildung mithalten.