Über den Kongress der Abtreibungsmediziner

Besser spät als gar nicht

Die CDU möchte die Möglichkeit zur Spät­abtreibung einschränken und so den Para­grafen 218 verschärfen. Nicht nur darüber sprachen Abtreibungsmedizinerinnen und -mediziner auf einem Fachkongress.

In den meisten medizinischen Fachgebieten ist es ein Leichtes, sich fachlich auszutauschen, sich fortzubilden und Kontakte zu knüpfen. Verschiedene Presseorgane und regelmäßige Veranstaltun­gen stellen die Möglichkeiten sicher. Für Abtreibungsmediziner und -medizinerinnen sieht es schlechter aus. Denn Abtreibungen sind gesellschaftlich, rechtlich und politisch umstritten. Um­so wichtiger sind für diese Fachrichtung die alle zwei Jahre stattfindenden Kongresse der »Internationalen Vereinigung von Fachkräften und Verbänden zu Schwangerschaftsabbruch und Kon­trazeption« (Fiapac). Am vergangenen Wochen­ende fand in Berlin der achte Fiapac-Kongress statt, mit fast 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 45 Ländern war er der bisher am besten besuchte.
Derzeit steht in etlichen Ländern die Abtrei­bungs­gesetzgebung zur Debatte, beispielsweise in Großbritannien, Spanien und auch in Deutsch­land. Das Vorgehen der kolumbianischen Pro-Choice-Aktivistinnen und -Aktivisten, das Recht von Frauen auf Leben, Gesundheit und Integrität vor dem Verfassungsgericht einzuklagen und so das vollständige Abtreibungsverbot zu Fall zu bringen, wurde auf dem Kongress begrüßt.
Auch der in etlichen Staaten zunehmende Druck von Verfolgungsbehörden und Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern auf Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, und auf Beratungsstellen wurde diskutiert. Dementsprechend erhielten die An­regungen der Britin Ann Furedi, der Haupt­ge­schäfts­führerin von BPAS, dem größten britischen Anbieter für Abtreibungen, für strategische Antworten auf diese Angriffe lang anhaltenden Beifall. Sie betonte vor allem, dass zur Verteidigung und zum Ausbau reproduktiver Rechte eine offen­sive Strategie nötig sei, die sich nicht auf pragmatische Argumente beschränken dürfe, die die Gesundheit der Frauen in den Mittelpunkt rückten. Pro-Choice-Aktivistinnen und Aktivisten dürf­ten die moralischen Argumente nicht den selbsternannten Lebensschützern überlassen, vielmehr müsse die moralische Berechtigung der eigenen Handlungen hervorgehoben werden. Es sei nötig, sich auch auf schwierige Kämpfe einzulassen und unpopuläre Themen wie Spätabtreibungen nicht zu meiden.

Dieser Meinung ist auch Blanka Kothé, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Mitglied des Vorbereitungskomitees des Kongresses. Sie bezeichnet den zurzeit diskutierten Antrag der CDU, demzufolge die Regelungen im Fall von Spät­abtreibungen geändert werden sollen, als »Einfallstor, um das in der BRD letztmalig 1995 reformierte Gesetz noch mal aufzurollen und zu verschärfen«. Die Gesetzesvorlage beziehe sich keines­wegs ausschließlich auf Spätabtreibungen nach der 22. Woche, sondern auf alle Teile der Abtreibungsgesetzgebung. Dies beträfe auch die bisheri­ge Pflichtberatung bis zur 12. Schwangerschaftswoche, da hierfür strengere Vorgaben eingeführt werden sollen. Der Entwurf gehe demnach viel weiter als bisher öffentlich bekannt sei.
Im europäischen Vergleich gibt es Kothé zufolge in Deutschland »mit Abstand die wenigsten Abtreibungen im zweiten Trimester«, also ab der 13. Schwangerschaftswoche. Bei Abbrüchen nach der 23. Woche sei von etwa 200 Fällen im Jahr auszugehen. Dies liege jedoch auch daran, dass vielen Frauen eine Indikation verweigert würde, auch wenn sie die Kriterien erfüllten.
Der Paragraf 218a Absatz 2, der eigentlich eine Ausnahme von der Rechtswidrigkeit eines Abbruchs bei Gefahr für das Leben der Schwangeren oder ihre körperliche oder psychische Gesundheit vorsieht, würde tatsächlich beinahe ausschließlich als embryopathische Indikation angewandt, also im Fall von möglichen Missbildungen des Fötus. Psychosoziale Indikationen werden der Gynäkologin zufolge »sehr wenig gestellt«, was viele Frauen dazu zwinge, in den Niederlanden abzutreiben. Hierüber seien genaue Zahlen nicht bekannt, sie wüsste jedoch von ­einer niederländischen Klinik, in der jedes Jahr etwa 800 deutsche Frauen ihre Schwangerschaft abbrechen ließen, sagt Kothé.

Späte Abtreibungen waren aber nicht nur ein politisch wichtiges Thema des Kongresses, auch neue medizinische Erkenntnisse wurden vorgestellt und diskutiert, beispielsweise zur Anwendbarkeit medikamentöser Methoden des Abbruchs. Untersuchungen zufolge sind medikamentöse Abbrüche auch lange nach der in Deutsch­land festgesetzten Frist von 63 Tagen nach Beginn der letzten Monatsblutung anwendbar und sicher.
Auch Fragen zu Verhütungsmethoden spielten eine große Rolle. Die Chinesin Linan Cheng, Forscherin am Shanghaier Institut für Familienplanung, betont in der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse, dass die »Pille danach« als Notfallverhütungsmittel und nicht als Abtreibungsmittel anzusehen sei, da sie »bei bereits be­stehender Schwangerschaft unwirksam ist«.
Der Medizinreferentin von Pro Familia, Ines Thonke, geht es vor allem um einen verbesserten Zugang zur »Pille danach«. In 18 europäischen Ländern sei diese bereits rezeptfrei erhältlich. Warum dies in Deutschland nicht möglich sein solle, sei ihr »unverständlich«. Die durch die Rezeptpflicht entstehenden Hürden führten zu langen Wartezeiten, hohen Kosten und psychischem Stress, zudem zu mehr ungewollten Schwan­ger­schaften, wenn das Medikament zu spät oder wegen des erschwerten Zugangs gar nicht eingenommen würde. So berichtet Thonke aus ihren Erfahrungen: »Wir kennen Fälle, in denen Frauen bis zu 48 Stunden herumtelefonierten, bis sie einen Notarzt fanden, der ihnen die ›Pille danach‹ verschrieb.« Sie ergänzt: »Diese Praxis ist ernied­rigend für die Frauen. Es ist absolut unnötig, und es erhöht das Risiko einer Schwangerschaft.«
Barbara Lang*, eine Medizinstudentin aus Wien, betont, wie wichtig der Kongress für den Austausch der Fachkräfte und wie bedeutend die Fiapac als Netzwerk sei. In den Lehrplänen der Universitäten kämen Schwangerschaftsabbrüche kaum vor, und eine notwendige praktische Ausbildung werde in Österreich nicht angeboten. »Als Studentin bist du darauf angewiesen, dir das selber zu organisieren«, berichtet Lang. Angesichts des hohen Altersdurchschnitts der engagierten Abtreibungsärzte wünscht sie sich eins: Die Fiapac solle sich stärker darauf konzentrieren, den Nachwuchs gezielt zu fördern.

* Name von der Redaktion geändert