https://jungle.world/artikel/2000/11/der-shareholder-transvestit
Elfriede Jelinek erklärt das Phänomen Haider als Queer-Inszenierung. Über die Verwechslung von Homosexualität und Modernität mit Glam und Faschismus.
Anfang Februar im Kölner Altstadtpub: Einige hochfahrende Männer zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig standen gut gelaunt zusammen und waren noch besser gekleidet - und ich stand daneben. Der große Auftritt war durch die Nähe zur Herren-Mode-Messe schnell erklärt. Kaum bemerkten sie meine Neugier, begannen die Augen auch schon listig zu blitzen. Dann aber siegte der Mitteilungsdrang: Ja, Haider, das werde doch alles nicht so heiß gegessen, man müsse denen eine Chance geben, das Boot sei nun aber einmal voll - und außerdem sei man der Herrenausstatter vom Jörg.
Haider und der Herrenausstatter, das sieht man sofort, haben ein gutes Verhältnis zueinander. Das macht ihn auch zum Objekt einer Sehweise, die die Postmoderne inzwischen dem politischen Journalismus vererbt hat: vom Äußeren ausgehen - »Wie sieht der denn aus!« -, um daraus interessante Schlüsse zu ziehen. Was dem österreichischen Rechtsradikalismus zu einem modernen Erscheinungsbild verhilft, eröffnet aber auch die nahe liegende Möglichkeit, am Dandy noch ganz andere Dinge zu entdecken.
So Elfriede Jelinek. Eingebunden in die Klage über das sich mit Haider verschlechternde kulturelle Klima in Österreich, antwortete sie im Interview der Berliner Morgenpost auf die Frage, ob Haider ein Macho sei: Nein, im Gegenteil. »Er wird auch nicht so empfunden. Frauen sind weder seine Wählerinnen, noch sind Frauen seine bevorzugten Kandidatinnen, mit wenigen Ausnahmen. Er ist der Führer eines homoerotischen Männerbunds und arbeitet bewusst mit homophilen Codes, natürlich ohne sich wirklich als homosexuell zu bekennen. Er lässt sich auf Nacktfotos veröffentlichen, und er spielt mit seiner sexuellen Ambivalenz. Ich glaube, dass das Phänomen Haider nicht zuletzt ein erotisches ist, denn er kann Mann und Frau zugleich sein, das gibt ihm das Schillernde, das die Massen 'einfängt'. Mit Hitler war es ähnlich, Heidegger hat von seinen schönen Händen und blauen Augen geschwärmt, obwohl man sich das heute kaum vorstellen kann.«
Homophil? Homophiler Code? Mann und Frau zugleich? Worum geht es hier? Um Dress-, Körper- oder Politik-Codes? In der Tat: Für seine 50 hat sich Haider gut gehalten, er kleidet sich modisch, liebt naturnahe Extremsportarten und weiß vor allem sehr genau, wie man den braun gebrannten Jugendstil zur Selbstvermarktung nutzt.
Dabei wirkt Haider aber längst nicht so angestrengt wie andere bestangezogene Männer des Jahres, etwa Guido Westerwelle, Alfred Biolek oder Gerhard Schröder. Vielmehr teilt er mit Joseph Fischer ein Konzept von Verkleidung, obwohl sich Haider auch nach dem Machtzuwachs von seiner »rebellischen« Kleiderordnung nicht zu verabschieden gedachte. In Sakko-Pullover-Kombinationen in die Koalitionsverhandlungen und zum Bundespräsidenten zu gehen, das waren ganz eindeutige »Lifestyle»-Aussagen. Haider hat den New Look der Neuen Ökonomie, das Helmut-Lang-Understatement, in die politische Arena eingeführt und schlägt damit die Barolo- und Brioni-Version, mit der seinerzeit Schröder zeitgenössisch zu punkten versuchte, um Längen.
Nun zog das »andere Österreich« mit Jelinek daraus einen eigenartigen Schluss und sonderte den, der so schnell »wir« sagt, aus, weil er im Grunde »anders als du und ich« ist. Indem Jelinek als »homophilen Code« bezeichnete, was eigentlich die Effekte von Eitelkeit und Narzissmus sind, übersieht sie, wo sich Haiders Selbstinszenierung mit den herrschenden Idealen verbindet. Mode und Maskerade, Labels als Idole, die Ästhetisierung von Körper und Alltag, das sind Werte, die für eine wachsende Zahl von Menschen Gültigkeit haben, ich meine die gar nicht so weichen und vielleicht auch nicht neuen Faschismen der Körperbilder, die Narzissmen des Shareholder Value, das von immer weniger, dafür aber größeren Luxus-Konzernen betreut wird.
Das ist der Rahmen, in dem Haider gut aufgehoben ist und »schillern« kann - verkörpert er doch eine Modernität, die international verbindlich ist und sich dadurch umso nachhaltiger mit seinen Kerngeschäftsfeldern »Nationalismus« und »Rassismus« verbinden lässt. Und niemand hat je behauptet, dass Rechtsradikalismus nicht glamourfähig wäre und Stars produzieren könnte.
Aber es ist vielleicht noch einmal etwas anderes, wie Jelinek diese Situation wahrnimmt und beschreibt, und was die Mühlen der Kolportage daraus machen. Als Kurzmeldung klang es dann so: »Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider als 'Führer eines homoerotischen Männerbundes' bezeichnet.«
Unterm Strich bleibt also eine Anspielung: Nicht nur Faschist, sondern irgendwie schwul! Homoerotisch, homophil - das sind Begriffe, die nach Eulenburg-Kreis, vielleicht SA klingen und auch Klaus Theweleits »Männerphantasien« mitmeinen und hier rechtsradikale Männerbünde umschreiben, die hinter allerlei Taktiken ihre Strategie verbergen und, verkappt, klandestin und schwül, anders reden als denken.
Diese Strategie, die den Faschisten nach innen und außen diskreditieren soll, spielt »das Geheime« gegen »das Offene« aus. In Zeiten einer gesellschaftlich halbwegs anerkannten Homosexualität, in der Sich-Verstecken und Sich-Maskieren ihre Bedeutung verloren haben, wird daraus fast ein doppelter Vorwurf: der der Homosexualität und der, nicht dazu stehen zu wollen. Zugleich entsteht der Widerspruch, dass das, was zur Denunziation taugt, gleichzeitig auch positiv besetzt bleiben muss, weil es all die nicht treffen soll, die in der Offenheit leben.
Dennoch ist Jelineks Äußerung auch ein schlichtes Outing, allerdings eins, das die durch Schwule geprägte Outing-Politik gegen diese wendet. Indem Heteros den Part des Outens übernehmen, zeigen sie auch, dass das Wissen um homoerotische Latenzen in Männerbünden zu einem Gemeinplatz geworden ist - der sich beliebig nutzen lässt (den Autoren in dem von Christian Kracht herausgegebenen Buch »Mesopotamia« wurden in einigen Feuilletons ähnliche Vorwürfe gemacht). Was Narzissmus ist, soll Homo werden - diese Logik der Haider-Rezeption muss die tatsächlichen Verhältnisse verkennen.
Außerdem: »Riskantes Denken« in einfachen Mustern war bisher die Spezialität von Jörg Haider selbst. Nun hat es auch die Standards der Abwehr gegen ihn gesetzt. So wurde er also wiedergeboren, der Homo-Vorwurf als Waffe im politischen Kampf. Und niemand scheint sich darüber zu wundern.