Rüstungswahn am Bosporus

Die Türkei plant ein gigantisches Rüstungsprojekt. Deutsche Firmen freuen sich.

Glaubt man den Worten des türkischen Generalstabschefs Hüseyin Kivrikoglu, ist Ankara umringt von Feinden: »Die Türkei liegt im Zentrum einer der instabilsten Regionen der Welt. Deshalb wird sie von vielen Seiten bedroht.« Die nationale Verteidigungspolitik, so der Falke, müsse darauf ausgerichtet sein, Konflikten vorzubeugen, um »ein sicheres Umfeld zu schaffen«.

Solche patriotischen Gedanken stoßen in Regierungskreisen auf offene Ohren. Um die türkische Position in der islamischen Welt und im östlichen Mittelmeer auszubauen, steckt Ankara riesige Summen in eine schlagkräftige Armee. Nach den Plänen der Militärs sollen Marine, Landstreitkräfte und Lufwaffe bis zum Jahr 2007 von Grund auf modernisiert werden. Wie der britische Militärexperte Ron Matthews errechnete, kosten die Waffen der Zukunft rund 31 Milliarden Dollar.

Im Wettbewerb um die begehrten Aufträge der türkischen Armee mischen deutsche Rüstungskonzerne kräftig mit. Den Zuschlag für vier neue U-Boote im Wert von fast einer Milliarde Mark, erhielten die Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW). Eine deutsche Hermes-Bürgschaft sicherte den Deal ab. Im Glück wähnt sich auch die Oberndorfer Gewehrfirma Heckler & Koch: Mit Erlaubnis der Bundesregierung darf ihre türkische Partnerfirma MKEK bis zu 500 000 Schnellfeuergewehre des Typs HK33 nachbauen.

Den Schutz der türkischen Küstengewässer übernimmt das Bremer Werftenkonsortium Abeking & Rasmussen und Lürssen. In norddeutschen Docks werden Bootsteile für Minensuchboote gefertigt, die türkische Lizenzpartner zusammenschweißen. Auch Mercedes-Benz profitiert von den Muskelspielen Ankaras. Auf Wunsch der Armee baut die anatolische Tochterfirma 500 Unimogs im Gesamtwert von 135 Millionen Mark. Unentschlossen geben sich die Militärs noch bei der Wahl neuer Kampfhubschrauber. Das deutschfranzösische Unternehmen Eurocopter buhlt mit US-Firmen um den Verkauf von 145 Helikoptem vom Typ Tiger.

Das wichtigste Prestigeobjekt der Landstreitkräfte ist der angestrebte Lizenzbau von 1 000 neuen Kampfpanzern. Bekommt der von den Türken geschätzte Leopard II A5 den Zuschlag, könnte das für Krauss-Maffei Wegmann Einnahmen von bis zu sechs Milliarden Mark bedeuten. Zum Vergleich: Die Bundesregierung genehmigte im letzten Jahr eine Waffenausfuhr in die Türkei im Wert von 450 Millionen Mark.

Doch ob die deutschen Firmen von den Rüstungsausgaben tatsächlich profitieren werden, ist noch offen. Denn die ökonomischen Folgen der jüngsten Erdbeben drohen jetzt die Auftragslage erheblich zu erschüttern. Die Neue Zürcher Zeitung prophezeit, das Land könnte sich wegen der Katastrophe bis auf weiteres nicht von der anhaltenden Rezession erholen. Die Kosten für den Wiederaufbau würden die Leistungsbilanz verschlechtern, Steuerausfälle den Staatshaushalt stark belasten. Nach Schätzungen eines hohen türkischen Finanzbeamten belaufen sich die Gesamtschäden auf rund zwölf Milliarden Dollar - die Hälfte davon bezahlt die Regierung.

Noch glaubt das türkische Verteidigungsministerium allerdings nicht an eine Verzögerung seiner Rüstungspläne. Doch selbst Ministerpräsident Bülent Ecevit schlägt vorsichtige Töne an. Schließlich habe es in der Wirtschaft schon lange vor der Katastrophe Engpässe gegeben, sagte Ecevit vor kurzem.

Das entspricht durchaus der Realität. Zwar erhöhte die Türkei ihr Verteidigungsbudget über die Jahre auf heute 8,1 Milliarden Dollar (1988: 3,9 Milliarden); doch die zweitgrößte Nato-Streitmacht nach den USA stellt eine enorme Belastung für ein Land dar, das mit 78 Prozent Inflation und einer stetig fallenden Lira zu kämpfen hat.

Dabei liegt der Verteidigungshaushalt mit fast fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes höher als bei jedem anderen Nato-Mitglied. Das Land am Bosporus ist nach Taiwan und Saudi-Arabien drittgrößter Waffenimporteur. »Trotz knapper Kassen will die Türkei die Rolle einer regionalen Großmacht spielen«, erklärt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums Transatlantische Sicherheit.

Vor allem die Konflikte mit den Nachbarstaaten verleihen den fast 570 000 türkischen Soldaten ihre Existenzberechtigung. Die Propaganda Ankaras über die Gefahren von außen ließen eine Militärdoktrin entstehen, die es im Ernstfall erlaubt, mehrere bewaffnete Konflikte gleichzeitig zu führen - im Westen mit Griechenland, im Südosten mit Syrien und einen »halben« Krieg gegen die Kurden.

Besonders mit dem ebenfalls gut bewaffneten Erzrivalen und Nato-Partner Griechenland kommt es immer wieder zu Spannungen. Permanentes Streitobjekt ist die Grenzziehung in der Ägäis. Die Türken favorisieren einen Grenzverlauf mitten durch das Meer, während Athen eine von der Uno vorgeschlagene 12-Meilen-Zone anerkennt.

Eine andere Reibungsfläche bildet die bis heute ungelöste Zypern-Frage. Seit der türkischen Invasion im Jahre 1974 auf dem Nordteil der Insel hat sich der Konflikt zum Dauerstreit mit offener oder latenter Kriegsdrohung entwickelt. Erst vor kurzem verursachte die Absicht der griechischen Zyprioten, russische Luftabwehrraketen vom Typ S-300 zu installieren, erhebliche Aufregung. Die Türkei drohte mehrmals, die Anlagen im Falle einer Stationierung zu zerstören. Erst nach einer diplomatischen Intervention der USA kam es zu einem vorläufigen Verzicht der Griechen auf die S-300.

Dem internationalen Image schadet das türkische Säbelrasseln bei gleichzeitig diffuser Haushaltslage. Und nicht nur das: Nach den Kopenhagener Kriterien der EU von 1993 verfehlt das Land noch immer die Forderungen nach Stabilität, transparenter Demokratie, rechtsstaatlichen Verhältnissen oder dem Menschenrechts- und Minderheitenschutz. Deshalb bemüht sich Brüssel trotz des in Helsinki erteilten Status eines Beitrittskandidaten auch in Zukunft nicht, das Land der Gemeinschaft anzugliedern.

Die bündnisgrüne Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Claudia Roth, kritisiert diese Linie: »Man hat die Türkei über 36 Jahre am langen Arm ausgestreckt vor sich hergetrieben«, so Roth, »von Menschenrechten gesprochen und gleichzeitig Waffen geliefert.« Diese Heuchelei suggeriere Ankara, es sei alles in Ordnung. »Warum«, fragt Roth, »sollten sich die Türken dann ändern?«