Qigong und Außerirdische

Die Sekte Falun Gong fordert nach wie vor das Machtmonopol der KP Chinas heraus.

Die Demonstration hat ihren Zweck erfüllt. Rund 20 Mitglieder der Sekte Falun Gong demonstrierten vorletzte Woche, am Tag des Besuchs von UN-Generalsekretär Kofi Annan, in Peking. Einige konnten sogar noch ein Spruchband mit den Worten "Der große Weg von Falun Gong" ausrollen, bevor die Polizei sie wegschaffte. Daraus wurde eine Meldung für die internationale Presse.

Nur wenige Tage zuvor waren vier Personen, die als Führungspersönlichkeiten der Sekte angesehen werden, zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Weitere Mitglieder stehen unter Anklage. Ihnen wird vorgeworfen, "mit einem Teufelskult gegen das Gesetz verstoßen zu haben". Die South China Morning Post berichtete zudem, dass elf offiziell anerkannte Qigong-Heilgymnastik-Gruppen dazu angehalten wurden, sich einer "Selbstuntersuchung" zu unterziehen und den Staat über ihre Seriosität, Auslandskontakte, Gründer und ihren finanziellen Hintergrund zu informieren.

Hatte die chinesische Regierung Falun Gong bis zu deren erster Demonstration im April dieses Jahres unterschätzt, so sind ab diesem Zeitpunkt die staatlichen Maßnahmen gegen die Sekte umso härter. Einige Hundert Anhänger Falun Gongs wurden seither verhaftet, die Organisation im Juli verboten.

Zwar behauptet die Sekte, bereits seit Jahren verfolgt zu werden, und nennt dies als Grund für ihren Protest. Tatsächlich war vor der großen Demonstration im April dieses Jahres jedoch weder in der westlichen noch in der chinesischen Presse von Falun Gong oder deren Verfolgung zu lesen. Zumindest in chinesischen Medien aber hätte sich die Verfolgung von Falun Gong in ähnlichen Tiraden gegen die Gruppe niedergeschlagen, wie sie heute dort zu lesen sind.

Offensichtlich riefen erst die Demonstrationen eine Verfolgung durch den Staat hervor - und nicht umgekehrt, wie dies von Falun Gong behauptet wird. Dafür spricht auch, dass die chinesische Regierung vollkommen unvorbereitet auf die Aktionen im April reagierte und sie zuerst sogar genehmigte. Die Organisation hat wohl bewusst auf eine Eskalation gesetzt und dabei sowohl das Machtmonopol der KP herausgefordert als auch Werbung in eigener Sache betrieben.

Es ist zwar nicht zu erwarten, dass sich die Aktionen Falun Gongs zu einer Revolte ausweiten, wie es zur Zeit einige Kommentatoren in China andeuten. Auch werden die Aktivitäten Falun Gongs nicht den Sturz der chinesischen Regierung bewirken. Dennoch sind sie eine Warnung an die KP, die diese sehr wohl zu deuten weiß.

Vor allem die Größe und die Organisationsform Falun Gongs ziehen die Aufmerksamkeit der chinesischen Regierung auf sich. Falun Gong ist streng hierarchisch geordnet und übt strikte Kontrolle über die Mitglieder aus. Ihnen ist es beispielsweise verboten, Medikamente in jeglicher Form zu sich zu nehmen. Sollte die Sekte, wie von ihr selbst behauptet, wirklich 65 Millionen Anhänger haben, so wären dies fünf Millionen mehr, als die KP Mitglieder hat. Die Großpartei fasst die Großsekte somit zu Recht als gefährliche Konkurrenz auf - zumal bekannt ist, dass ihr auch KP-Mitglieder angehören.

Obwohl sich die Sekte als religiöse Vereinigung definiert und um die Anerkennung dieses Status kämpft, wäre es falsch, sie als ein religiöses Phänomen zu behandeln. Falun Gong hat es auf politische und propagandistische Wirkung in eigener Sache abgesehen. Ihr Erfolg mit der Mischung aus buddhistischen, taoistischen und esoterischen Versatzstücken sowie nationalistischen Ressentiments passt dazu.

Dabei könnte die KP mit vielem zufrieden sein, was Falun Gong fordert: Sauberkeit, Körperertüchtigung, Entsagung und Gehorsam sind Werte, die auch die Parteiführung der Bevölkerung nahe legt. Falun Gong stellt somit nicht nur auf politischer, sondern auch auf moralischer Ebene das Machtmonopol der KP in Frage. Zudem ist nicht auszuschließen, dass andere Gruppen Falun Gong als Vehikel nutzen, um politische Ziele durchzusetzen.

Dies erklärt die Schärfe des jetzigen Vorgehens der KP Chinas gegen die Sekte. Die Anerkennung Falun Gongs als eine unabhängige Organisation würde einen Präzedenzfall schaffen, den andere Gruppe ausnützen könnten, um unter dem Deckmantel scheinbar harmloser Verbände das Machtmonopol der KP zu untergraben. In der gespannten wirtschaftlichen und politischen Situation möchte dies die chinesische Regierung jedoch unter allen Umständen verhindern.

So ist auch die zur Zeit häufig formulierte historische Parallele zum 19. Jahrhundert in einer Gesellschaft, die politische Statements zumeist in verklausulierter Form äußert, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die jüngste Entwicklung in Sachen Falun Gong wird meist mit dem Erstarken und der Verfolgung religiöser Geheimgesellschaften in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts verglichen. Zwar kann die Kenntnis chinesischer Geschichte ein Schlüssel zur Erklärung aktueller politischer Ereignisse sein. Ein Passepartout ist sie aber nicht.

Einiges, was Falun Gong vertritt, sieht nicht nur die KP als Rückfall in die Zeiten tiefsten Aberglaubens, sondern sollte auch westliche Beobachter an der Sekte und am Verstand ihres Chefs Li Hongzhi zweifeln lassen. In einem Interview mit dem Time Magazine vom 10. Mai kam er zum Beispiel auf seine "Theorie" von außerirdischer Präsenz auf der Erde zu sprechen. Jede Inspiration der Wissenschaft sei eine Manipulation der Außerirdischen, die auf kultureller und geistiger Ebene bereits die Menschheit kontrollierten. Mit Hilfe von Falun Gong könnten ihre Anhänger nun mit den Außerirdischen in Kontakt treten und Inspiration und übernatürliche Kräfte abschöpfen.

Die Strategie der Sekte lässt sich mit dem Vorgehen von Scientology in Deutschland vergleichen. Auch hier wird versucht, den Eindruck vollkommener Harmlosigkeit und einen Opferstatus zu erzeugen. Dabei bedient sich Falun Gong bewusst politischer Mittel, besteht aber gleichzeitig darauf, apolitisch zu sein.

So lässt sich die Reaktion der chinesischen Regierung auf Falun Gong durchaus mit dem Umgang der Bundesregierung gegen Scientology oder dem Vorgehen der US-Regierung gegen die Davidianer vergleichen. Falun Gong erfüllt alle Voraussetzungen einer Sekte und wäre in den meisten Ländern dieser Welt verboten oder unter nachrichtendienstlicher Beobachtung.