Über den Glauben an eine moralisch saubere Marktwirtschaft

Maximale ­Dummheit

Eins steht bei den meisten Linken fest: Das Finanzkapital ist schuld an der Krise. Aber was das Finanzkapital von dem rest­lichen Kapital unterscheidet und welche Funktion es hat, wissen sie auch nicht so genau. Die derzeitige Antikapitalismus tritt gemeinsam mit dem Glauben an die moralisch saubere Marktwirtschaft auf.

Oskar Lafontaine staunte nicht schlecht: »Unsere Vorschläge werden so schnell akzeptiert, dass wir damit gar nicht mehr nachkommen.« Gerade hatte sein Amtsnachfolger Peer Steinbrück eine knallharte antikapitalistische Maßnahme präsen­tiert: Manager müssen sich künftig mit 500 000 Euro im Jahr begnügen. Dabei hätte ihnen Lafontaine glatt 100 000 Euro mehr genehmigt. Ein anderer bekennender Keynesianer, der dem Kapi­tal seit Jahrzehnten Tipps gibt, wie es eigentlich viel besser funktionieren könnte, wenn es sich bloß nicht immer so bockig anstellen tät, ist der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel. Er würde den gierigen Bösewichtern gerne ein wenig mehr genehmigen. Auf seiner Uni-Homepage kann man nachlesen, dass er dafür wissenschaftlich exakt 557 640 Euro errechnete. Mit­hilfe eines genialen Rezepts hätte er dann nämlich gleich den ganzen »finanzmarktgetriebenen Turbokapitalismus« in der Tasche. Denn erhielten die Manager grundsätzlich »das 15fache des durchschnittlichen Brutto-Arbeitnehmergehalts«, so würden sie »darauf ausgerichtet, die ökonomische Wertschöpfung zu erhöhen, um daraus höhere Gehälter zu finanzieren«. Wenn Ackermann künftig mehr Kleingeld braucht, muss er also bloß dafür sorgen, dass noch mehr Autos ge­baut werden und Schulze, Müller, Meier, Schmidt einen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle nehmen dürfen. Und schon brummt der Motor, und alle sind zufrieden. So macht Kapitalismus wieder Spaß, und der Herr Professor macht seinem Status als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac alle Ehre.
Solch fundamentale Antworten auf die Verwertungskrise des Kapitals basieren auf entsprechend tiefgründiger Analyse. DGB-Chef Michael Sommer weiß, wie alles anfing. »Die Regierung Schrö­der hat den angloamerikanischen Kapitalismus gewissermaßen nach Deutschland importiert und der Deformation der sozialen Marktwirtschaft den Weg bereitet. Dann wurden die Heuschrecken ins Land geholt, und danach öffnete man das Land für börsennotierte Immobilienfonds«, sagte er dem Tagesspiegel. Sommer, der seinem Zorn auch schon mal dadurch Luft macht, dass er die Arbeitgeber als »vaterlandslose Gesellen« bezeichnet, hat nicht gesagt: »Allein die Politiker haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass diese Spekulationsblase der internationalen Finanzhaie sich bilden konnte. Bis jetzt haben alle Bundesregierungen die Globalisierung der Finanzmärkte und die dubiosen Finanzmarktinstrumente, die uns heute um die Ohren fliegen, zielstrebig gefördert.« Das steht auf der »Hei­matseite« der NPD.
Leider kann man darüber nicht bloß den Kopf schütteln und zur Tagesordnung übergehen. Denn wo nicht begriffen wird, dass Kapitalismus ohne Streben nach Maximalprofit und ohne fiktives Ka­pital undenkbar ist, dass so genannte Realwirtschaft und Finanzsphäre nur zusammen gedacht, kritisiert und überwunden werden können, da herrscht auch die Vermutung, es wäre doch alles viel besser, wenn »uns« nur nicht einige gierige Spekulanten ins Unglück stürzen würden. Schon machen Youtube-Filmchen die Runde, in denen das Funktionieren des Geldes folgendermaßen erklärt wird: Ein gerissener Typ legt erstmal alle andern rein, und am Ende hat eine Krake die Welt im Griff: »Du regierst das Geld, und Geld regiert die Welt. Dir gehört der ganze Planet, und keiner hat’s gemerkt.« Diese Bilder und Vorstellungen fallen gerade in der Linken auf fruchtbaren Boden. So verbreitete sich in den vergangenen Wochen rasant ein fälschlicherweise Kurt Tucholsky zugeschriebenes Gedicht, in dem gegen »die Spekulantenbrut« gegeifert wird. Dieses schaffte es sogar auf ein Flugblatt des »Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegungen«, das auf einer Kundgebung Ende Oktober in Berlin verteilt wurde. Das Gedicht stammt allerdings nicht von Tucholsky sondern aus der Feder eines der FPÖ nahe stehenden österreichischen Anony­mus »Pannonicus«.
Es ist nicht nur zu befürchten, dass die Krise erst am Anfang steht und Millionen Menschen unmittelbar treffen wird, sondern auch, dass sich derlei Pseudo-Kritik irgendwann einmal äußerst handfest austoben wird. Auch das Ressentiment wird zur materiellen Gewalt, wenn es die Massen ergreift. Wehe dem, der dann zu den Bösewichtern und ihren Handlangern gezählt wird. Noch ist Zeit, um der billigen Haut-den-Ackermann-Nummer ernsthafte Kapitalismuskritik entgegenzusetzen.