Bomber-Harris' Blindgänger

Die pax americana führt im Kosovo auch einen Krieg gegen die spezifische Weise deutscher Friedensstiftung. Rückfragen an Gerhard Hanloser.

Es war eine wunderbare Idee der Bahamas-Redaktion in den ersten Wochen des Krieges, ins Kreuzberger "Pinox" zum Umtrunk für den schönen Fall zu laden, daß ein Bundeswehr-Tornado über Belgrad abgeschossen würde. Es war keine besonders gute Idee, diese Einladung mit einem "Nasdravlje, Partizani i Cetnici!" zu verbinden.

Allerdings offenbart der Trinkspruch auf eben jene Tschetniks, die Goldhagen ganz recht als rassistische Truppe eines "völkermörderischen Killers" (Süddeutsche Zeitung, 30. April 1999) bezeichnet hat, keinesfalls, wie Gerhard Hanloser (Jungle World, Nr. 26 / 99) meint, ein "Desaster" und damit die "Kapitulation" der antideutschen Kritik. Denn diese und andere, zweifelsfrei aus polemischem Überschwang resultierenden Entgleisungen sind nicht psychoanalytisch zu interpretierende Fehlleistungen, die ein "Eigentliches" aufdeckten oder aus einer "Aporie", in die sich antideutsche Linke hoffnungslos verstrickt hätten, notwendigerweise folgen müßten.

Es verhält sich vielmehr so, daß Kritische Theorie, als deren Sympathisant Hanloser sich bekennt, ihren Gegenstand ganz unsachlich behandeln würde, behandelte sie ihn so nüchtern, ausgewogen und irgendwie altersweise abgeklärt, wie er selbst das behandelt, was er die "imperialistische Normalität"

der BRD nennt. Denn die schlafwandlerische Sicherheit, mit der einige Fraktionen der Linken alles und jedes aufs schnöde Interesse durchschauen sowie auf die "krisenhafte Situation der kapitalistischen Weltgesellschaft" herunter sich erklären, hat einerseits den taktischen Vorteil, alles zu wissen, andererseits den strategischen Nachteil, darüber hinaus weiter nichts zu wissen. Nachts weiß man immer, wie grau die Katzen sind.

Hanlosers Einwand gegen Tjark Kunstreich, "daß Auschwitz der letzte Grund für den US-amerikanischen Kriegseintritt" war, daß vielmehr der "US-Kriegseintritt mit dem Weltmarkt eine Menge zu tun hatte", aber mit Antifaschismus überhaupt gar nichts, bedient einen in der Linken passablen Antiimperialismus, der einigermaßen deutsch darüber sich mokiert, daß die Amis auch nicht besser sind, daß Roosevelt und Churchill im Prinzip keinen wirklich legitimen Grund hatten, das unconditional surrender zu fordern und durchzusetzen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich?

Gerhard Hanloser hat recht: Es stimmt, leider, daß die US-Army keine Bomben auf die Gleise nach Auschwitz geworfen hat. Aber er hat auf eine Art und Weise recht, die sein Argument schlecht werden läßt und es verdirbt: Denn im Krieg gegen den Nazifaschismus ereignete sich der unerhörte, historisch erste und bislang einzige Fall, in dem das ökonomische Interesse des Kapitals und das moralische Interesse der menschlichen Gattung zu hundert Prozent identisch waren.

Der Nazifaschischmus war ein Verbrechen, nicht gegen die "Menschlichkeit", sondern gegen die Menschheit. Genau das, diese Identität von Kapital- und Gattungsinteresse im Angesicht der vollendeten Barbarei, ist es, was das allfällige Gerede von der "imperialistischen Normalität" verschwinden macht. Das ist es, was Matthias Küntzel mit der Frage, wie man es mit Bomber-Harris halte, dankenswerterweise auf den diskursiven Höhepunkt zuspitzte.

Die "prinzipielle Staats- und Nationenkritik" ist ein überaus lobenswertes Unternehmen. Aber dann darf man sich auch nicht vor den Konsequenzen dieser Kritik fürchten. Die Konsequenz, der Hanloser gerne ausweichen möchte, ist eben die, daß der Nazifaschismus die Grenze zwischen unten und oben aufgehoben hat: In dem Dresden, das Harris bombardierte, gab es keine Klassen mehr, sondern die Volksgemeinschaft, damit eine grandiose Lüge, die die Nazis praktisch wahr gemacht hatten. Der Nazifaschismus war die Transformation einer wie immer konfliktuellen, tendenziell antagonistischen Klassengesellschaft in das geschlossene Mordkollektiv. Es ist diese Wahrheit, die Goldhagen aussprach - wenn auch auf eine falsche Weise, die dann wiederum Linke, die aus Identifikationssucht von Wissenschaftskritik nichts wissen wollen, grandios ins Schlingern brachte (vgl. Matthias Küntzels Text zu Goldhagens Artikel in der SZ; Jungle World, Nr. 20/99).

Als eine bürgerliche Politik war dieses das Projekt der negativen Aufhebung der Klassengesellschaft zum Scheitern verurteilt; erst Hitlers Programm der "Nationalisierung der Massen" verwirklichte es als die blanke Barbarei der Deutschen Arbeitsfront, als Barbarei nicht allein im moralischen oder metaphorischen Sinne, sondern als Begriff einer qualitativ neuen, im Aufstiegsplan der Menschheit von der Urgesellschaft zum Kommunismus nicht vogesehenen und absolut nicht vorhersehbaren Gesellschaftsform. Die Resultate dieser Barbarei sind zugleich der gesellschaftliche Inhalt der postfaschistischen Staatsräson, die die BRD als ihre ganz besondere Krisenlösung gegen den Rest der Welt in Anschlag bringt. Der Staat des Grundgesetzes bewahrt das Resultat der Barbarei - den sozialen Frieden der Volksgemeinschaft als das große Plus des Standorts - als die um jeden Preis zu verteidigende historische wie logische Voraussetzung seiner selbst.

Mit deutschen Sonderwegen im Sinne Goldhagens hat das alles recht wenig zu tun. So wenig, daß der deutsche Sonderweg am 8. Mai 1945 erst beginnt. Denn der Nazifaschismus war nicht "bloß" ein Repressionsunternehmen, sondern dazu ein politisches Produktionsverhältnis, das die Menschen, die Deutschland damals bevölkerten, definitiv erst zu Deutschen machte. Die Deutschen haben es, ganz kapitalistisch gestimmt und der Idee des Gleich um Gleich im gerechten Tausch verpflichtet, nie verstanden, daß das Geschichtsverbrechen, das sie begingen, nicht nach dem Prinzip des Auge um Auge gesühnt wurde. Man hat sie um die gerechte Strafe gebracht. Das erscheint ihnen zu Recht unverzeihlich, denn "der Verbrecher will die Strafe", wie Hegel sagt.

Mir scheint, daß darin der psychodynamische Grund dafür liegt, warum die nationalisierte 68er-Linke den Nato-Krieg als praktizierten Antifaschismus zurechtlog: Das ist es, was sie so dreist macht. Sie glauben ihre Lügen wirklich. Bevor Gerhard Hanloser von der "imperialistischen Normalität" schreiben konnte, in der aller Nazifaschismus grau ist, hatte es Joseph Fischer schon dutzendfach getan.

Der Begriff des Kapitals, der der "prinzipiellen Staats- und Nationenkritik" zugrundeliegt, ist nicht radikal genug. Die Möglichkeit, "Volksgemeinschaft" als anderes denn bloße Ideologie zu sehen, ist damit an der Wurzel abgeschnitten. Daß der deutsche Staat im Krieg gegen Serbien sein ganz besonderes Programm abarbeitet, seine spezifische pax germanica stiften will gegen die pax americana, ist oft bemerkt worden. Der Geopolitiker Gregor Schöllgen etwa, Kumpan Fischers, schreibt: "Die stabilen Regionen der nördlichen Halbkugel, darunter die wohlhabende und in hohem Maße handlungsfähige Europäische Union mit ihrem deutschen Zentrum, sind aufgerufen, die Probleme der Dritten Welt als die ihren zu betrachten" (FAZ, 24. Juni 1999). Die pax americana führt im Kosovo auch einen Krieg gegen die spezifische Weise der deutschen Friedensstiftung, die darin sich ausspricht, das "deutsche Zentrum" als weltweit zuständig zu betrachten und den sog. Rheinischen Kapitalismus zu exportieren.

"If you can't beat them, join them": So hat Jürgen Elsässer treffend die amerikanische Strategie definiert (konkret, Nr. 5/99). Daß die Zerschlagung Jugoslawiens Inbegriff der Strategie einer einstweilen noch "kontinentalen Mittelmacht" mit allerdings "weltweiten Interessen" (General Klaus Naumann) ist, hatte vor fünf Jahren Alain Finkielkraut gewußt, als er den Westmächten den Willen zuschrieb, "Serbien als Bollwerk gegen die Errichtung eines deutschen Mitteleuropas einzusetzen" (FAZ, 28. Juli 1994). Als das wegen Milosevics Eigensinn nicht recht gelingen wollte, wurde der Krieg gegen Ex-Jugoslawien geführt: als "Krieg gegen den Euro" (so Mario Candeias, Das Argument, Nr. 230/1999), als der lautlose Krieg im Krieg.

Wenn in fünfzig Jahren die Archive geöffnet werden, wenn sich dann ein neuer Fritz Fischer finden sollte, um den dritten deutschen "Griff nach der Weltmacht" im einzelnen zu beschreiben, wird man erfahren, wie das kam. Gut, das sind Zitate, keine Beweise: Um allerdings ein Urteil zu fällen, das sich nicht in der Nacht der "imperialistischen Normalität" verliert, dazu reicht die Kenntnis der neueren deutschen Geschichte allerdings schon heute halbwegs hin.

Gerhard Hanloser sagt den Antideutschen ein schlimmes Ende voraus, denn die "Dichotomie westlich-aufgeklärte Gesellschaften hier, völkisch-barbarische dort" führe notwendig in eine Aporie, in die strukturelle Unfähigkeit nämlich, sich zu entscheiden. Was werden die Antideutschen tun, fragt er, "wenn ein vertragsbrüchiger, 'antizivilisatorischer' arabischer Despot, nur weil er IWF-Kredite nicht zurückzahlen will und kann, den Panarabismus durch eine Bedrohung Israels aktiviert und das Schröder- oder Schäuble-Deutschland gegen diesen Despoten an der Seite der Nato eingreift?"

Nun, die Antideutschen werden wahrscheinlich das tun, was sie meistens tun. Sie werden nämlich erkennen, daß das gar keine Aporie ist. Denn so wenig wie die Kritik der "imperialistischen Normalität" und die Wertschätzung für Bomber-Harris sich ausschließen, sowenig werden die Antideutschen in einer Gesellschaft, die als eine durchaus kapitalistische die vollendete Entfremdung zwischen der Absicht und ihrem Ergebnis konstituiert, auf die blöde Idee kommen, Schröder-Deutschland für das Gute, das es dann täte, aber nicht wüßte, und, wenn es das denn wüßte, nicht begreifen könnte, über Gebühr zu loben.

Die Antideutschen würden nämlich erstens wissen, daß Antisemitismus kein bloßer Vorwand ist und kein manipulatives Spektakel, um dem Finanzkapital eins auszuwischen; und zweitens würden sie wissen, daß es, wie Ulrike Meinhof vor dreißig Jahren schrieb (konkret, Nr. 7/67), auch allerhand "falsche Freunde Israels" gibt, die glauben, daß, "hätte man die Juden, statt sie zu vergasen, mit an den Ural genommen, der Zweite Weltkrieg anders ausgegangen wäre".

Die Aporie, die Gerhard Hanloser konstruiert, löst sich überaus zwanglos auf, wenn man anerkennt, daß die Demokratie in Deutschland wenig mehr ist als die tatsächlich aussichtslose Selbstkritik des faschistischen Staates, d.h. eine gigantische Camouflage, die sich danach sehnt, die Tarnung abzuwerfen und endlich mit sich ins reine zu kommen, identisch zu werden und ganzheitlich. Das allerdings wäre es wert, die Konsequenz einer prinzipiellen Kritik an der Nation und ihrer Staatlichkeit genannt zu werden. Antinationale Kritik,

hat Justus Wertmüller in dieser Zeitung geschrieben, ist entweder antideutsche Kritik oder Lüge.

Das heißt im Klartext, wenn es dessen noch bedürfte, daß die Sozialkritiker dem Bomber-Harris dafür dankbar zu sein haben, daß er die Minimalbedingungen der sozialen Revolution in Deutschland wiederhergestellt hat, gegen den Willen der Deutschen.

Joachim Bruhn ist Mitarbeiter der Initiative Sozialistisches Forum in Freiburg i. B. - Bisher erschienen von Gerhard Hanloser "Kapitulation - theoretisch und konkret" (Jungle World, Nr. 26/99) und von Oliver Tolmein "Menschen, Rechte, Imperialismus" (Jungle World, Nr. 27/99). Die Diskussion wird fortgesetzt.