Bizarre Bündnisse

In Serbien und Montenegro wächst der Druck auf Milosevic

Über mangelnde Sympathie kann sich die jugoslawische Bundesarmee derzeit nicht beklagen. Zumindest jene Soldaten nicht, die rund um die zentralserbische Stadt Cacak stationiert sind.

Am Dienstag vergangener Woche fungierten die schweren Lastwagen der Armee als Taxis für jene Zivilisten, die gerne im Zentrum Cacaks gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic demonstrieren wollten. Die serbische Polizei hatte die Zufahrten zur Stadt gesperrt und die Demonstration verboten. Doch mit der Armee wollten sich die Polizisten nicht anlegen und ließen die Transporter passieren.

Immerhin hatten die Soldaten der Garnison von Cacak schon in den Wochen zuvor bewiesen, daß sie gegenüber dem Regime widerstandsfähig sind: Knapp zwei Wochen lang fanden sie sich in der Umgebung der Stadt zu stillen, aber auffälligen Demonstrationen zusammen und weigerten sich, wieder in ihre Kasernen zurückzukehren. Zuerst war der Protest von pekuniärer Ungeduld motiviert: Die rund 400 Soldaten forderten den ausstehenden Sold für den Kosovo-Kampf ein. Doch selbst als das Belgrader Verteidigungsministerium das Geld schnell überwies, war an eine Rückkehr der Truppen nicht zu denken.

Dann erst wurde der Protest politisch: Die Soldaten beschuldigten Slobodan Milosevic, das Kosovo durch seine "wahnsinnige Politik" aufgegeben zu haben. Besonderen Zorn erregte die von der jugoslawischen Regierung bemühte Politik der Repatriierung von Kosovo-Serben: "Fuck!" entfuhr es etwa einem Leutnant der Armee, als er auf Milosevic angesprochen wurde. "Dieser Verbrecher schickt sie alle wieder zurück in das Kosovo, wo sie sich abschlachten lassen müssen."

Auch die serbischen Flüchtlinge befürchten, daß mit ihrer Zukunft gespielt wird: Die fliehenden Kosovo-Serben werden von der Polizei daran gehindert, bis nach Belgrad vorzustoßen, um den vom Regime herbeigesehnten Prozeß der Normalisierung des Hauptstadtlebens nicht zu stören. Also wird ein Gutteil der bisher 75 000 geflohenen Kosovo-Serben in Stadien unweit der Hauptstadt untergebracht - unter schlechten Bedingungen, die dazu animieren sollen, wieder ins Kosovo zurückzukehren.

Auch unter den rund 5 000 Demonstranten, die das Stadtzentrum Cacaks füllten, befanden sich viele Kosovo-Serben, und alle waren sich einig: Milosevic muß weg. Die Demonstration, vom oppositionellen Parteienbündnis Allianz für Veränderungen organisiert, war die erste größere Demonstration gegen Milosevic, seit die Proteste des Zajedno-Bündnisses im Winter 1996/97 eingestellt wurden - andere folgten: in Novi Sad und Uzice.

Vor rund zwei Jahren waren es die Zwistigkeiten zwischen den drei Oppositionsführern Zoran Djindjic, Vuk Draskovic und Vesna Pesic, diesmal war es der Krieg, der auch der serbischen Opposition schwer zu schaffen macht. "Wir senden eine Botschaft an unser Volk, um ihm zu beweisen, daß wir noch immer am Leben sind und unseren Kampf gegen das Milosevic-Regime fortführen werden", sagte Slobodan Vuksanovic, Vize-Chef der Demokratischen Partei.

Der Protest gegen Milosevic scheint in seiner Argumentation bizarr: Einerseits soll die Bevölkerung dafür sensibilisiert werden, was im Kosovo wirklich geschehen ist: Brandstiftungen, Raub, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. Andererseits wird mit mindestens soviel Eifer der Verlust der Provinz betrauert: In Cacak erinnerte beinahe jeder Redner daran, daß Milosevic gleich das Abkommen von Rambouillet hätte unterschreiben sollen. Damit hätte Serbien wenigstens noch eine geringe Chance gehabt, die politische Autorität über die Provinz zu wahren.

Zumindest die zweite Argumentationsebene können auch die Belgrader Nationalisten nachvollziehen. Doch bei der Sensibilisierung für die Massaker im Kosovo wird das politische Gedächtnis aus taktischen Überlegungen ausgeschaltet. Das Problem dabei: Gerade die gemäßigten und weniger gemäßigten Nationalisten haben die meisten Anhänger.

Eine der politisch cleversten Figuren im jugoslawischen Kabinett nämlich ließ sich in Cacak nicht blicken: Vuk Draskovic bereitete sich an jenem Dienstag auf eine Sitzung mit Milosevic und anderen Politikern am folgenden Tag vor. Der Präsident hatte geladen, um eine Regierung der "nationalen Rettung" vorzuschlagen. Milosevic versprach eine Annäherung an den Westen und marktwirtschaftliche Reformen. Er hegt keinen Zweifel daran, auch in Zukunft Herrscher der Serben zu sein.

Draskovic dient sich derzeit sowohl dem strauchelnden Staatschef wie auch der Opposition an. Milosevic ließ er unmittelbar nach der Demonstration ausrichten: "Ich werde von über einer Million Menschen in Serbien unterstützt. Die Pflicht aller demokratischen Kräfte in Serbien ist es daher, der stärksten politischen Partei zu folgen - und das ist die meine." Und wenn ihm die demokratischen Kräfte nicht folgen mögen, koaliert seine serbische Erneuerungsbewegung eben mit den Parteien des Ehepaars Milosevic. Die Rivalität zwischen dem serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj und Draskovic verhilft Milosevic zur sicheren Mehrheit. Erst ein Bündnis zwischen dem Ultranationalisten und Draskovic könnte die eigene Machtbasis ernsthaft gefährden.

Deswegen ging Milosevics Sozialistische Partei bereits in die Offensive: Die Regierung unter Ministerpräsident Momir Bulatovic werde alle größeren im Parlament vertretenen Parteien entsprechend ihren Sitzen berücksichtigen und an der Regierung beteiligen, wurde vergangenen Donnerstag von der Nachrichtenagentur Tanjug berichtet. Das würde auch die Radikale Partei von Seselj einschließen.

In dieser Situation könnte die einzige unabhängige Gewerkschaftsbund Jugoslawiens, die Gemeinschaft Autonomer und Unabhängiger Gewerkschaften (GAUG), eine Kraft für politische Veränderung werden. Sie agiert, ohne den Mythos Amselfeld zu bedienen und beruft sich bei ihrem Protest vor allem auf die wirtschaftlichen Folgen des Kosovo-Kriegs. In den nächsten Wochen jedenfalls möchte sie 100 000 Unterschriften für einen Rücktritt Milosevics sammeln.

Bedrängt wie der Präsident in Belgrad nun einmal ist, könnte er sich bald neuen Taten zuwenden: Die Teilrepublik Montenegro hat in der vergangenen Woche erste konkrete Schritte eingeleitet, um die Bande mit Serbien nachhaltig zu lockern. Die Regierung in Podgorica veröffentlichte in der letzten Woche einen Verfassungsentwurf, der Montenegro weitgehende Selbstbestimmung zugestehen soll.

So soll die jugoslawische Armee in zwei Teile - einen montenegrinischen und einen serbischen - zerschlagen werden. Außerdem gibt es fertige Pläne für eine eigene montenegrinische Währung. Sollte Belgrad dem Entwurf nicht zustimmen, will der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic bald ein Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros abhalten. Vorsorglich warnte Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark Milosevic davor, in Podgorica einen Putsch zu versuchen: Dies würde von der Nato unmittelbar beantwortet.

Im Kosovo selbst sind die Kfor-Soldaten eher damit beschäftigt, die Vergangenheit auszugraben: Auch in der letzten Woche entdeckten sie etliche Leichen von ermordeten Kosovo-Albanern. Nordwestlich von Djakovica, im Dörfchen Meja, wurden die Leichen von 100 jungen kosovo-albanischen Männern entdeckt - nach Angaben von Human Rights Watch sollen serbische Paramilitärs am 27. April an der Ermordung der Männer beteiligt gewesen sein.

Deutsche Kfor-Soldaten fanden in Nagafc und Celine im Südwesten der Provinz 140 tote Kosovo-Albaner, die übrigen Dorfbewohner geben an, daß noch mehr Leichen in den Häusern lägen und daß Paramilitärs die Ortschaften einen Tag nach einem Nato-Angriff gestürmt hätten.

Die freiberuflichen Militärs hatten offenbar viel zu tun: Am Donnerstag nahm die Kfor einen Serben fest, der beschuldigt wird, 56 Albaner getötet zu haben.