Die Kfor kommt, der Krieg geht

Die UCK streitet, die Russen marschieren ein, die NATO folgt, und der Friedensplan birgt reichlich Kleingedrucktes

Ziemlich resigniert gab sich der ehemalige US-Außenminister James Baker dieser Tage bei einer Konferenz über die Zukunft Europas in Wien. "Ich glaube nicht, daß wir die Ziele von Rambouillet erreicht haben. Es wird kein Referendum geben, und die Souveränität Serbiens über den Kosovo wird weiter anerkannt", äußerte sich Baker in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Die Unzufriedenheit des Außenministers der Ära George Bush rührt weniger aus der Sorge über die Zukunft des Balkan. Vielmehr ist die Kompromißlösung, die nun mit dem Abzug jugoslawischer Truppen aus dem Kosovo realisiert wird, auch ein Ausdruck von Bakers indirektem Versagen.

Der Mann hat durchaus recht, wenn er behauptet, das wirkliche Problem werde die Abrüstung der UCK sein. Schließlich muß er es wissen. Baker nämlich tourt nicht bloß als Polit-Pensionist durch die Metropolen dieser Welt, sondern beschäftigt sich zu Hause in den USA vor allem mit militärischen Dingen. Er kontrolliert von Texas aus den Konzern Carlyle Group, dessen Tochtergesellschaft B.D.M. sich vorzugsweise mit militärischem Outsourcing beschäftigt.

Eben diese B.D.M. befaßte sich 1995 intensiv mit der militärischen Lage in Kroatien und trat als Konsulent auf, als es um die Planung der Rückeroberung der Krajina durch die kroatische Armee ging. In der modernen Kriegsführung trainiert wurde damals auch Akim Cehu, ein gebürtiger Kosovo-Albaner, der nach dem Krajina-Feldzug 1995 zum Kommandanten des 5. Militärdistriktes Kroatiens aufstieg. Mitte Mai schließlich erklomm Cehu die nächste Stufe auf seiner Karriereleiter: Hashim Thaqi, von der UCK gekürter Schatten-Premier des Kosovo, berief den geübten Feldherrn Cehu zum Generalstabschef der UCK.

Doch der Job ist nun nach der militärischen Niederlage Jugoslawiens gegen die ungleichen Verbündeten Nato und UCK nicht mehr so attraktiv. Zwar steht im Abkommen zwischen dem Westen und Jugoslawien, die UCK müsse demilitarisiert werden. Das aber läßt den Guerillas eine Hintertür in der Interpretation offen. Bislim Zyrapi, stellvertretender Verteidigungsminister der Thaci-Regierung sagte vergangenen Donnerstag im albanischen Kukes, Entmilitarisierung bedeute eine Verkleinerung einer bestehenden Armee. Doch selbst die Sache mit der Verkleinerung könnte an einer rein arithmetischen Hürde scheitern: Die UCK hat zwar mit Akim Cehu einen Generalstabschef, wieviel Leute dieser aber befehligt, weiß eigentlich niemand: Zwischen 15 000 und 50 000 könnten es sein.

Auch die jugoslawischen Behörden stoßen sich neuerdings am Kleingedruckten des G 8-Vertrages. Obwohl da klar etwas von Demilitarisierung steht, möchte die jugoslawische Regierung plötzlich lieber doch eine Entwaffnung der UCK sehen. Nebojsa Vujovic, der jugoslawische Vize-Außenminister, meinte am vergangenen Freitag während der üblichen Pressekonferenz seines Ministeriums: "Lesen Sie von meinen Lippen: Die UCK wird nicht demilitarisiert, sondern entwaffnet."

Natürlich sieht das die gerade in den letzten beiden Kriegswochen sehr erfolgreiche Guerilla ganz anders. Der stellvertretende Verteidigungsminister Bislim Zyrapi erklärte, die UCK werde wohl in "irgendeiner Form" weiterbestehen. Vielleicht in Form einer Polizeitruppe. Denn die OSZE hat sich der sogenannten internationalen Gemeinschaft als Ausbilder für eine Polizeitruppe aus ehemaligen UCK-Kämpfern angeboten. Nach Informationen, die Jungle World aus Bonn erhielt, sei dieses Angebot von der UNO auch angenommen worden. Daß die UCK Polizeiaufgaben übernehmen wird, ist auch für den Flüchtlingsbeauftragten der deutschen Regierung für Bosnien-Herzegowina, Hans Koschnick, klar: "Die wird sie bekommen."

Die Regierung von Hashim Thaqi, einem UCK-Hardliner, freut sich denn auch schon auf die neue Aufgabe. In einer Presseaussendung ließ sie verlauten, man sei in Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen gerne bereit, ordnend beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft zu helfen. Da umgeht man als OSZE-Cop wenigstens der Entwaffnung. Auch Akim Cehu kann sich möglicherweise auf ein neues Betätigungsfeld einrichten: Der Generalstabschef soll in der UN als künftiger Polizeichef gehandelt werden.

Doch noch ist man nicht so weit. Ähnliche Ungereimtheiten wie jene mit der Demilitarisierung ergeben sich beim serbischen Truppenabzug. Zwar bleibt das Kosovo vorerst für serbische Uniformierte erstmals restricted area, doch nach einer gewissen Übergangsfrist soll sich das laut G 8-Plan wieder ändern. Rund 1 000 serbische Beamte wie etwa Grenzpolizisten oder Zöllner dürfen dann das Amselfeld bewachen. Da kann es durchaus zu Grenzstreitigkeiten mit kosovo-albanischen Sicherheitskräften kommen - möglicherweise mit den von der OSZE ausgebildeten UCK-Kämpfern. Sabri Kicmari, Europa-Sprecher der UCK in Bonn meinte gegenüber Jungle World, daß die Präsenz serbischer Offizieller gar nicht in Frage komme: "Wenn auch nur ein einziger serbischer Beamter nach Kosova zurückkehrt, wird es keine Entwaffnung geben."

Eine Entwaffnung der UCK-Profis wird es nach einhelliger Meinung der politisierenden Kosovo-Albaner auch nicht geben, solange der Status der bisherigen serbischen Provinz nicht geklärt ist. Zwar erklärte Jugoslawiens Staatspräsident Slobodan Milosevic anläßlich seiner Ansprache zum vermeintlichen Sieg über die Nato, die einzige Lösung des Problems Kosovo wäre dessen Autonomie, doch das ist den UCK-Mannen natürlich zuwenig. Anders als im Abkommen von Rambouillet sind im G 8-Plan keine Übergangsfristen vorgesehen, nach deren Auslauf eine Volksabstimmung über das Kosovo entscheiden soll.

Dennoch fordert etwa Sabri Kicmari eine machtvolle Demonstration des Volkswillens: "Es wird eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Kosovo geben. Ich glaube schon, daß die Mehrheit der Kosovaren für die Unabhängigkeit stimmen wird und dieses Ergebnis wird man dann akzeptieren müssen", so Kicmari. Auch Bujar Bukoshi, der Mann, der laut Kicmari "den ganzen Tag in Bonn im Kaffeehaus sitzt", hatte zumindest am vergangenen Freitag etwas anderes zu tun. Während der obligatorischen Bundespressekonferenz erklärte der Bonner "Exil-Premier" Bukoshi trotz aller Rivalitäten zur Thaqi-"Regierung" und damit auch zu Kicmari: "Milosevic hat Kosova endgültig verloren. Nach all dem, was uns Serbien angetan hat, soll niemand glauben, daß wir irgendeine Form serbischer Herrschaft hinnehmen werden."

Ein Gutes hat die Unbestimmtheit des G 8-Planes ja: Bis auf weiteres sind die Rivalitäten zwischen der Regierung von Hashim Thaqi und jener von Bujar Bukoshi vertagt. Momentan müssen die Polit-Kosovo-Albaner noch um ihr großes politisches Ziel kämpfen - die Vereinigung Albaniens, wie es zumindest auf ihrer Homepage heißt. Dabei haben sich zwei Fraktionen historisch herausgebildet: Eine Fraktion der UCK-Führungsgarnitur rekrutiert sich vor allem aus den Nachkommen albanischer Ultranationalisten, die andere aus den Nachfahren ehemaliger Anhänger des Steinzeit-Stalinisten Enver Hoxha, der Albanien bis 1985 streng isolationistisch führte. Obwohl nach einhelliger Meinung beider Fraktionen heute diese traditionelle ideologische Frontstellung überbrückt ist, wird der künftige Kampf schlicht um die Macht geführt. Der Gegner beider Gruppierungen wird dann wohl der ehemalige Verbündete über den Wolken, die Nato, sein.

Serbische Zivilisten werden in den nächsten Wochen das Angebot der UCK, auch sie zu beschützen, nicht zu schätzen wissen. Schon jetzt fliehen Hunderte Serben aus den Nato-Schutzzonen, weil sie Angriffe der UCK befürchten. Einzig im Nordwesten der Provinz haben die serbischen Einwohner - dort die Mehrheit der Bevölkerung - Grund zum Jubeln: Während sich vom Süden her die Nato-Truppen mühsam in das Kosovo vortasteten, besetzten rund 500 russische Soldaten vom Grenzübergang Pavlovica Cuprija aus den nordwestlichen Zipfel der Provinz.

Sie behielten sich das Recht vor, dies ohne Information der Nato, aber in Absprache mit den jugoslawischen Behörden zu tun. Seit die russische Armee am Wochenende dann auch noch dem westlichen Militärbündnis zuvorkam und den Flughafen von Pristina eingenommen hat, finden hektische Verhandlungen statt. Dem Anspruch auf einen eigenen Sektor ist Moskau noch nicht entscheidend nähergekommen. Die Russen könnten, sagte die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright, einen "Bereich haben, in dem sie arbeiten". Von der geplanten Nato-Oberkontrolle, der sich auch die russische Armee unterordnen soll, ist die Allianz freilich nicht abgerückt.

Zumindest rein humanitär waren die russischen Aktionen trotzdem durchaus sinnvoll: Gegenüber den Russen haben die serbischen Zivilisten Vertrauen, und die UCK wird in dem Gebiet wohl ihre Aktivitäten einstellen müssen. Politisch aber könnte der Wettlauf in das Kosovo desaströs enden. Die Frontstellung zwischen Russen und Nato-Militärs könnte die Provinz aufteilen: Der Norden bleibt bei Jugoslawien, der Süden wird nach einer Phase der Unabhängigkeit an Albanien angeschlossen. Ein Plan übrigens, der in den letzten Wochen nicht nur in der Belgrader Staatskanzlei kursierte: Auch Kroatiens Präsident Franjo Tudjman legte einen solchen Teilungsplan Mitte Mai vor.