Matter Jubel für den blauen Jörg

Jörg Haider hat sein politisches Niveau beim Europa-Wahlkampf erneut unterboten

Für den gelernten Wiener ist der zentral gelegene Stephansplatz zum sicheren Barometer der politischen Aktualität in Österreich geworden. Während des Kosovo-Krieges demonstrierten dort Serben und Österreicher gegen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien und - ab und zu - für den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Am Donnerstag letzter Woche sammelte ein anderer Feldherr seine Anhängerschaft auf dem Platz: Österreichs Rechtsaußen Jörg Haider ließ sich wenige Tage vor der Europa-Wahl noch einmal bejubeln. Allerdings: Der Jubel war matt.

Schon Tage vor der Abschlußkundgebung der Freiheitlichen (FPÖ) versuchten Österreichs Kolumnisten, einen politischen Eklat herbeizuschreiben: Linke Gruppierungen hatten zum Sturm der Veranstaltung aufgerufen, die Wiener Polizei rückte zum Schutz des politischen Prinzen der Finsternis in Kompaniestärke aus, und dann geschah doch nichts.

Was besonders für Jörg Haider ernüchternd war, denn er hatte in seiner halbstündigen Rede versucht, eine schon ziemlich zerkratzte propagandistische Schallplatte abzuspielen und ordentlich zu provozieren. "Zum ersten Mal seit 76 Tagen ist dieser Platz wieder in der Hand von Österreichern", krakeelte der nicht mehr so junge Wilde, um sofort seine deutschnationale Wählerklientel anzusprechen: "Wir werden ethnische Vertreibungen nicht dulden. Egal, ob es sich um Kosovo-Albaner oder um die Sudetendeutschen in der Tschechei handelt".

Auch der Fall des während seiner Abschiebung aus Österreich gestorbenen Nigerianers Marcus Omofuma fehlte in Haiders Repertoire nicht. Zwar sollten keine Menschen bei der Abschiebung ums Leben kommen, dies ändere aber nichts an der Notwendigkeit rigoroser Abschiebepolitik. Weshalb die FPÖ im übrigen auch gegen eine rasche Ost-Erweiterung der EU sei, weil durch die offenen Grenzen auch die Kriminalität um sich greifen werde.

Anschließend ging Jörg Haider zur Beschimpfung anderer EU-Spitzenkandidaten über: Ursula Stenzel, die Spitzenkandidatin der konservativen "Österreichischen Volkspartei" (ÖVP) bezeichnete er als "Ursula, die Trinkfeste", die "gerne zu tief ins Glas schaut". Besonders abgesehen hatte es der Chef der Freiheitlichen auf den bisherigen Spiegel-Korrespondenten in Österreich und Spitzenkandidaten der österreichischen Sozialdemokraten, Hans-Peter Martin. Der hätte so etwas wie Nestbeschmutzung im Falle Kurt Waldheims betrieben. Der Ex-Präsidentschaftskandidat geriet 1986 in die Schlagzeilen, weil er sich an seine Aufgaben als Offizier der deutschen Wehrmacht zwischen 1938 und 1945 nicht erinnern konnte. Der damalige Spiegel-Journalist Martin sammelte gemeinsam mit jugoslawischen Historikern belastendes Material über Waldheim - Material, das sich allerdings nur teilweise als echt herausstellte.

Da Waldheim als Vaterfigur des österreichischen "Jetzt erst recht"-Syndroms gilt, bedient sich auch der Oppositionelle Haider gerne dieses Reflexes: Als politisch Verfolgter in einer grausigen Ahnengalerie mit dem bis 1992 amtierenden österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim zu stehen, beeindruckt natürlich Haiders Klientel.

Weshalb auch abermals eher mäßiger Jubel aufbrandete, als Haiders Rede schließlich bei den Frühpensionisten endete. "Seid ihr also doch noch aufgewacht", feuerte der Oppositionschef die Menge an. "Ich dachte schon, ihr seid alle in die Frühpension abgedampft". Frühpension nämlich, das muß man wissen, ist eine alte und stets beliebte Tradition der Österreicher, sich dem Leistungsdruck per chronischer Krankheit zu entziehen und frühzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden.

Für Haider, den Hüter des österreichischen Arbeitsfleißes, ist das ein Greuel. Daß ein Gutteil seiner Wählerschaft aus eben diesen Frühpensionisten besteht, ist da nicht weiter hinderlich. Daß sich das Europäische Parlament nur sehr peripher mit den österreichischen Frühpensionisten befaßt, ebenfalls.

Wenigstens aber ist den Besuchern am Stephansplatz eine allzu lange Rede der eigentlichen EU-Spitzenkandidatin der FPÖ, Daniela Raschhofer, entgangen. Die 39jährige Berufsschullehrerin sitzt schon seit 1996 im EU-Parlament, ist dort aber nicht besonders aufgefallen. Nicht einmal ihren Gegner bei den Sozialdemokraten, Hans-Peter Martin, kennt sie: Bei einer Fernsehdiskussion sprach sie Martin trotzig mit "Herr Bösch" an. Der sitzt zwar auch für die österreichischen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Spitzenkandidat ist er aber nicht.